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Wer der englischen Sprache mächtig ist, der findet auf dem amerikanisch – jüdischen Markt eine unbeschreibliche Auswahl guter Literatur. Von berühmten Rabbinern Verfasstem bis hin zur jüdischen Philosophie oder gesellschaftlichen Themen. Alles ist zu haben, denn, im Gegensatz zur Vergangenheit, wird im Judentum heutzutage alles auf dem freien Markt angeboten. Bis zur Zeit des 2. Weltkrieges waren gute jüdische Bücher nur beschränkt erhältlich bzw. viele Inhalte waren noch nie gedruckt worden. Insbesondere die 90iger Jahre lieferten uns ein wahres Eldorado von Angeboten. Allein schon wegen des neu aufgekommenen Internets. Plötzlich wurde fast alles zugänglich gemacht und kaum ein Thema bleibt unerwähnt.
Bereits im Jahre 2005 erschien auf dem amerikanischen Markt das Buch "Off the Derech – How to respond to the Challenge". Verfasst von der amerikanischen Jüdin Faranak Margolese. "Off the Derech" ist die jüdische – orthodoxe Beschreibung für "vom (frommen / traditionellen orthodoxen) Wege abgekommen".
Das Buch beschäftigt sich mit dem aktuellen Thema der jüdischen Assimilation. Warum werden einst orthodoxe Juden säkuler ? Warum heiraten immer mehr Juden Nichtjuden ? Bietet uns die Orthodoxie heute noch das, was wir für wichtig halten ? Faranak Margolese sah den Ansatzpunkt ihres Buches in der Tatsache, dass immer mehr ihrer Freunde und Bekannten zugaben, einst die jüdischen Thoragesetze eingehalten zu haben, doch dann irgendwann begannen, weniger Schabbat zu halten und vielleicht nicht ganz so auf koscheres Essen achteten.
Amerikas Juden sehen sich seit vielen Jahren diesem gravierendem Problem ausgesetzt. Worin aber liegt die Herausforderung der Orthodoxie gerade junge Mitglieder zu halten ?
Zu Beginn ihres Buches zeigt Frau Margolese auf, dass das Problem der Assimilation nicht erst seit heute oder gestern besteht. Hierzu liefert das Buch einige sehr interessante Statistiken und um die geht es in diesem Artikel, bevor ich etwas später auf weitere Inhalte des Buches eingehe.
Bis zur Zeit der Aufklärung im 19. Jahrhundert gab es weder ein reform – noch progressives - noch ein konservatives Judentum. Juden waren ganz einfach Juden und die Mehrheit identifizerte sich mit der Religion. Ferner wird im Judentum das Judentum an sich als Volksgemeinschaft betrachtet. "Am HaYehudi – Das jüdische Volk". Bis heute in den modernen Staat Israel hinein gilt der Ausdruck "Das jüdische Volk" und selbst säkulere Juden sehen sich diesem Volk zugehörig und nicht nur israelisch.
Schon vor dem 10. / 11. Jahrhundert gab es Judenverfolgungen seitens der Christen. Mit den Kreuzzügen nahm das Ausmaß der Judenverfolgung erheblich zu. Nicht nur, dass die Kreuzritter auf ihrem Weg von Europa nach Palästina eine unbeschreibliche Blutspur hinterliessen. Man schaue nur auf das Rheinland, wo Abertausende Juden von Kreuzrittern niedergemetzelt worden sind. Bei ihrem Einzug in Jerusalem löschten die Kreuzritter jegliches jüdische Leben in der Stadt aus. Als der Ramban (Rabbi Moshe ben Nachman, Nachmanides, 1194 – 1270) nach Jerusalem kam, fand er kaum mehr eine Minyan (10 jüdische Männer) zum Gebetsservice vor. Erst langsam erholte sich die jüdische Gemeinde Jerusalems und neue Synagogen entstanden.
Das europäische Judentum wurde über Jahrhunderte hinweg von der Kirche verfolgt, gefoltert oder ermordet. Selbst die Maranos (spanische Juden, welche unter Zwang der Kirche zum Christentum konvertiert waren), wurden auch weiterhin von der Kirche mit Argwohn betrachtet. Nicht wenige der Maranos waren zwar zum Christentum übergetreten, lebten jedoch heimlich ihr Judentum weiter.
Aufgrund der Verfolgung hielt man im Judentum zusammen und der Weg hinaus hätte eh nicht viel eingebracht. Die Kirche sowie Nachbarn hätte auch dann weiter herumgeschnüffelt und gedroht. Große Freiheiten hat die Welt des Mittelalters und auch danach nicht geboten und so blieb ein Jude ein Jude. Wie oben erwähnt, kam es erst mit dem Aufkommen des Reformjudentums zu einer massiven Umschichtung innerhalb des Judentums. Faranak Margolese in ihrem Buch: Bis zum 19. Jahrhundert waren ungefähr 250,000 Juden zum Christentum konvertiert. In den Jahren 1812 – 1845 verliessen 85% der Berliner Juden ihre Religion und liefen zum Christentum über. Als Quelle hierfür nennt Frau Margolese: Rabbi Ephraim Buchwald (Founder and Director of the National Jewish Outreach Program), Personal Interview, 22 August 2000. See also Chaim Dov Rabinowitz: The History of the Jewish People – From Nehemia to the Present.
Bis zum Jahre 1929 heirateten 30% der Judenheit Europas Nichtjuden. Bis zum Jahre 1930 besuchten 70% der jüdischen Kinder Polens keine jüdischen Schulen mehr. Rabbi Ephraim Buchwald gibt weiterhin an, dass ca. 30% der ehemals orthodoxen Studenten der berühmten Volozhin – Yeshiva im späteren Verlauf ihres Lebens zu säkuleren Bolschewiken wurden. Und bei diesen Studenten handelte es sich nicht um Juden, die ihre Religion nicht kannten und diese ihnen deswegen nicht viel bedeutete. Ganz im Gegenteil, denn im 19. Jahrhundert war die litauische Yeshiva (relig. Schule) VOLOZHIN das Harvard des Judentums.
Zu der Zeit gab es in Europa ca. 3000 – 4000 Yeshiva Studenten. Im Vergleich zu heute: Die berühmte Yeshiva von Lakewood (bei New Jersey) hat allein 3000 Yeshiva Studenten.
Zusammen mit der Moderne kam nach vielen Jahrhunderten die Zeit des "freien Willens" der Menschen auf. Die Bewohner Europas wurden nach all der Knechtschaft der Kirche sowie des Adels freie Bürger und diese Freiheit liess viele Juden die Orthodoxie oder die Religion als Ganzes verlassen. Man wollte sein, wie alle anderen oder halt sein Leben so leben, wie man es selbst für richtig hielt.
Frau Margolese zitiert hier Rabbi Norman Lamm, den einstigen Präsidenten der amerikanischen Yeshiva University: "Es ist so als sitze man vor einem Bufett und habe die Qual der Wahl das auf seinen Teller zu legen, was man will".
Die wichtigste Frage aber ist, warum diese gewonnene Freiheit viele ehemalige relig. Juden säkuler werden läßt. Liesse sich denn nicht Beides miteinander verbinden ? Faranak Margolese diskutiert im Verlauf ihres Buches mehrere Perspektiven, die vielleicht ein paar Antworten geben. Unter anderem den Einfluss der Außenwelt auf unser Verhalten.
Nicht selten ringt das orthodoxe Judentum um seine Mitglieder und hierbei insbesondere um die Jugend. Was bei Eltern und Großeltern noch als wichtig und selbstverständlich galt, scheint der jungen Generation eine zunehmende Last. Eine Alternative zur Orthodoxie gibt es nicht, denn man kann, wie im Reformjudentum, nicht eine ganze Religion so zurechtrücken, wie es einem gerade passt. Was die Orthodoxie hingegen tun muss ist, jene Punkte aufzuzeigen, welche gerade die Orthodoxie so lebenswert macht, denn sie ist gewiss nicht das, wofür sie fälschlicherweise immer gehalten wird: Eine störende Last, die nur darauf aus ist, strenge Gesetze einzuhalten und einem das Leben zu vermiesen.
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In der folgenden Zeit werde ich das Buch von Faranak Margolese des Öfteren erwähnen. Nebenher ebenso die Volozhin – Yeshiva: Ihre große Vergangenheit bis zum Holocaust, ihre Rabbiner sowie ihre heutigen Ableger in Israel und den USA. Außerdem stehen demnächst die drei Wochen vor dem jüdischen Trauer – und Fastentag Tisha be’Av (9. Av) an und dazu werde ich sehr viele Infos in den Blog stellen.