B"H
Die chassidische Gruppe Karlin ist nur allzu bekannt für die Freundlichkeit ihrer Chassidim sowie für ihr euphorisches Gebet. Wer noch nie bei den
Karlinern an einem G - ttesdienst teilgenommen hat, der hat noch kein richtiges chassidisches Gebet miterlebt. Die Gebete werden nur so herausgeschrien und anhanddessen erreichen die Chassidim die höchst mögliche Devekut (Nähe zu G - tt). Die Karliner sind einfach unbeschreiblich und fast jeden Freitag abend zum Schabbatg - ttesdienst finde ich mich in der Karlin - Stoliner Synagoge ein.
Die Chassidut Karlin teilt sich heute in zwei Gruppen auf:
Zum einen in den kleineren Teil "Karlin - Pinsk", ansäßig im relig. Stadtteil Beit Israel in Jerusalem, sowie den größeren Teil Karlin - Stolin, ansäßig in Mea Shearim (Yoel Street, gegenüber Satmar).
Karlin ist mit eine der ältesten chassidischen Gruppen überhaupt. Gegründet wurde sie von Rabbi Aharon dem Großen (1736 - 1772) ca. im Jahre 1770. Bei Karlin selbst handelt es sich um einen Vorort der litauischen Stadt Pinsk. Rebbe Aharon von Karlin war ein Anhänger des Rabbi Dov Bear Friedman (der Maggid von Mezritch). Und der Maggid wiederum war der Nachfolger des Baal Shem Tov. Neben Chabad ist Karlin also eine der ältesten chassidischen Gruppen überhaupt und beide kommen ursprünglich aus Litauen.
Heute sind die Karlin - Stoliner Chassidim in New York, Bnei Brak, Beitar, Jerusalem sowie in einem Vorort Jerusalems, in Givat Ze'ev zu finden. Der derzeitige Stoliner Rebbe baute in Givat Ze'ev seine Hauptzentrale auf und leider kommt er nur recht selten am Schabbat in die Jerusalemer Synagoge in Mea Shearim. Trotz meiner stetigen Anwesenheit in Karlin, sah ich den Rebben nur ein einziges Mal.
Der derzeitige Stoliner Rebbe, Rabbi Baruch Yaakov Me'ir ShochetAuch am letzten Freitag abend ging ich zur Kabbalat Schabbat in die Stoliner Synagoge, wobei ich ausgerechnet an dem Abend fast schon bei der chassidischen Gruppe Munkatch landete. Die Munkatcher sind ebenso in der Yoel Street zu finden; einige Meter vor Satmar und Karlin. Allerdings entschloß ich mich dann aber doch für Karlin, denn ein Karliner Chassid, den ich seit längerem vom Sehen her kenne, lud mich zu Karlin ein. Am Schabbatmorgen sollte der Aufruf für einen seiner Söhne stattfinden, welcher in dieser Woche heiratet. Und so ging ich dann doch zu Karlin - Stolin.
Bei meinem Eintreffen war nur eine einzige Frau auf der Frauenempore zu finden. Nicht viele chassidische Frauen gehen freitags abends in die Synagoge. Und bei Karlin - Stolin treffe ich fast jedesmal auf dieselbe ältere Dame.
Nach dem G - ttesdienst kam sie, wie gewohnt, auf mich zu und wir redeten ein paar Worte miteinander. Diesesmal sogar recht lange, aber dazu mehr in einem eigenen Beitrag. Ich erkundigte mich nach dem Aufruf am nächsten Morgen und sie meinte, dass nicht nur einer stattfinde, sondern DREI. Drei Karliner Chassidim heiraten also in dieser Woche.
Gestern früh dann nahm ich eine Freundin mit zum Karliner Morgeng - ttesdienst Schacharit. Mittlerweile benutze ich sogar das Karliner Sidur (Gebetbuch), wenn ich bei ihnen in der Synagoge bin. Sie haben ihr eigenes Sidur, welches den Namen "Beit Aharon ve'Israel - Das Haus Aharon (nach dem Gründer Rabbi Aharon von Karlin) und Israel" trägt. Obwohl ich selber ein chassidisches Sidur benutze, fehlen mir jedoch einige Karliner Gebete, welche sie dem regulären Ritus hinzufügen.
Als wir in der Synagoge eintrafen, war die Thoralesung schon in vollem Gange. Auf der Frauenempore war es rappelvoll, von der Männerseite im Erdgeschoß ganz zu schweigen. Die Karliner Synagoge ist relativ neu und die Frauenempore recht groß gehalten. Riesige Fenster bilden die Mechitzah (Trennung zu den Männern) und man kann von oben alles bequem beobachten, was im Erdgeschoß vor sich geht. Die Männer andererseits können nicht durch die Fenster zur Frauenempore hindurchschauen, da das Glas so gehalten ist, dass nur die Weiblichkeit hinausschauen kann. Dies geschieht, wie in jeder orthodoxen Synagoge aus, aus Anstandsgründen.
Die drei Bräutigame wurden traditionell zur Thora aufgerufen und stolz standen sie da, in ihrem Streimel (Pelzmütze). Diesen tragen eigentlich nur verheiratete Männer, doch ein chassidischer Brauch besagt, dass ein Bräutigam den Streimel in der Woche vor seiner Hochzeit täglich trägt. Nach der Hochzeit nur am Schabbat oder an Feiertagen.
Als die Thoralesung beendet wurde, machten die Frauen eines der Fenster auf und schmissen Süßigkeiten inab ins Erdgeschoß. Alle kleinen Jungen griffen sofort in die Luft, um eine der Tüten aufzufangen. Der Ansturm glich dem eines Rockkonzertes.
Nach dem G - ttesdienst kam die ältere Dame, die ich freitags treffe, auf mich zu und gab mir die Hand: "Gut Schabbes, gut Schabbes", sagte sie. Unten im Erdgeschoß, in einem Nebenraum zu den Männern, gebe es einen riesigen Kiddusch für die Frauen und meine Freundin und ich seien eingeladen. Also machten wir uns mit all den Frauen auf den Weg hinunter, wo sich ein kleiner Raum mit gedeckten Tischen befand. Was dort auf einem Bufett an Kuchen stand, war unbeschreiblich. Obstkuchen, handgemachte Trüffel mit Schokolade und Marzipan, Rumkugeln und Kokoskuchen, es war alles da. Unsere Augen kamen fast heraus. Zwei Frauen machten sich emsig daran, uns an einen der Tische zu führen und sofort wurden wir mit Jerusalemer Kugel (Nudelpastete) sowie mit sauren Gurken versorgt. Kuchen und Trüffel gab es reichlich und wir mußten uns total zusammennehmen, um nicht allzu sehr zuzugreifen.
Mittlerweile war eine Frau in braunem Kostüm auf mich zugekommen, denn alle waren irgendwie neugierig, wer wir denn überhaupt waren. Unter all den Karlin - Frauen waren wir die Einzigen von außerhalb. Besagte Frau stellte sich bei mir als die Schwester einer der drei Bräutigame vor. Sie komme aus Bnei Brak, sei ursprünglich Karlin, doch mit einem Vishnitzer Chassid verheiratet. Ich stellte mich auch vor und verheimlichte nicht, dass ich im Internet über chassidische Gruppen schreibe. Meine Freundin und ich blieben bis zum Ende des Kiddusch, denn wir hatten bis zum Mittagessen bei der Machlis - Family noch einiges an Zeit. Als wir gehen wollten, kam wieder die Vishnitz - Dame auf mich zu und fragte, wo wir denn jetzt hingehen. "Zu den Machlises", meinte ich. Die waren ihr gänzlich unbekannt und sie sagte, dass jetzt alle gemeinsam zum Mittagessen in einen Saal in einem Gebäude der chassidischen Gruppe Zhvil gehen. Es sei nicht weit und ob wir mitkommen wollen. Und so kam es, dann dann auch die Mutter der Bräutigams kam und mich total ausquetschte. Meine Freundin ist nur des Englischen mächtig und so rede eigentlich immer nur ich. Anschließend, nach eingehendem "Verhör" entschlossen sich die Frauen, uns tatsächlich zum Mittagessen mitzunehmen.
Eigentlich dachten wir, jetzt alle Karliner Frauen dort anzutreffen als wir im Zhviler Gebäude ankamen. Doch nichts da, denn das Mittagessen war nur für eine einzige Karliner Familie und wir fühlten uns als absolute Außenseiter recht unbehaglich. Man hatte einen kleinen Saal angemietet, der in der Mitte von ein paar Holzwänden aufgeteilt war. In eine Frauen - sowie eine Männerhälfte. Sofort wies uns eine Frau Plätze an einem der vier oder fünf runden gedeckten Tische zu. Wir wissen bis heute nicht, wie die Familie eigentlich heißt, was ich aber noch herausfinden will.
Wir saßen mit der Mutter des Bräutigam, einer weiteren Karliner Frau sowie zwei anderen Frauen aus der
Chassidut Slonim zusammen. Die Familie schien einigige Familienmitglieder bei Vishnitz und den Slonim (Jerusalem) zu haben. Obwohl ich viel mit meiner Freundin aus Englisch redete, führte ich doch viele Gespräche mit den Frauen an unserem Tisch auf Hebräisch. Die Slonim - Frauen erzählten mir so Einiges über ihre Gruppe, was sehr interessant war. Gleichzeitig fragten sie, ob wir denn schon einmal bei den Slonim zum Tisch des Rebben waren. Waren wir. Und als die Frauen hörten, dass ich im Internet schreibe, fragten sie mich erst recht nach chassidischen Gruppen aus.
Nebenbei wurde ein grandioses Mahl serviert. Salate, gefillte Fisch, Filet, Kugel (Pastete), wieder Kuchen, Popcorn und Wassermelone. Wir waren noch vom vorherigen Kiddusch total vollgestopft und als wir den Saal nach dem Mittagessen verliessen, konnten wir kaum mehr gehen. Kurz gesagt, verbrachten wir eine tolle Zeit mit den Karliner Frauen und der Familie. Gegen 16.00 Uhr kamen wir dann doch noch bei den Machlises an und blieben bis zur dritten Schabbatmahlzeit. Zwischenzeitlich gingen wir zur Synagoge der Boyaner Chassidim, wo ein Tisch des Rebben stattfinden sollte. Anscheinend waren wir wohl etwas zu früh dran, denn bei unserem Eintreffen war die Frauenempore noch abgesperrt. Also kehrten wir zu den Machlises zurück.
Es war ein phänomenaler Schabbat mit vielen tollen Erfahrungen und netten Leuten.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass es auch bei der antizionistischen Gruppe "Mischkenot HaRoim" einen Aufruf gab, doch waren wir leider schon busy mit Karlin. Leider, denn die Zeremonie bei den "Mischkenot HaRoim" hätte ich gerne miterlebt.
Mit oder ohne Essen.