Samstag, Januar 19, 2008

שבת חתן בקרלין - סטולין ( Schabbat Chatan bei Karlin - Stolin)

B"H

Die litvishen Juden unter dem Gaon aus Vilna kritisierten den neu aufgekommenen Chassidismus der Baal Shem Tov - Bewegung aufs Schärfste. Unter anderem hieß es, dass da Chassidim in einer Art und Weise beten, die einem alkoholisierten Zustand gleich käme. Besagte Chassidim würden sich wild hin und her bewegen und aus vollem Hals ekstasisch beim Gebet schreien. So etwas könne ja nicht normal sein und Gutes verheissen. Gestern Abend erlebte ich ein großartiges Beispiel zu diesem Jahrhunderte alten Vorurteil und hatte die Gelegenheit, alles live zu sehen.

Wieder einmal änderte ich meine ursprünglichen Pläne.
Zuerst ging ich jedoch pünktlich nach dem Anzünden der Schabbatkerzen auf nach Mea Shearim. Das Wetter war eiskalt, was aber niemanden in Mea Shearim abhielt, in die Synagogen zum Abendgebet Maariv zu stürmen. Wie ich zuvor schon mehrere Male erwähnte, gehen bei vielen chassidischen Gruppen die Frauen am Erev Schabbat nicht in die Synagoge, sondern erst am Morgen. So machte ich mich zu einer Gruppe auf, bei denen ich nebenbei die spärlich anwesenden Frauen fragen wollte, wann einer ihrer wichtigsten Rabbiner (Mitglied im Beit Din Zedek der anti - zionistischen Dachorganisation Edah HaCharedit) Sprechstunde hat.

Das Vorhaben zerschlug sich schnell, denn ausgerechnet gestern Abend nahm keine einzige Frau am Abendgebet teil. Ich beschloss, woanders hinzugehen und passierte den riesigen Gebäudekomplex der Neturei Karta. Allerdings stand mir der Sinn nach euphorischen Schabbatgesängen und dafür gibt es eine gute Adresse. Die chassidische Gruppe von Karlin - Stolin. Eine der ältesten chassidischen Gruppen überhaupt. Zusammen mit Chabad hat Karlin die älteste History in Lithauen.

Den Fraueneingang zu finden, ist zu Beginn recht schwierig, doch ich war schon einige Male in der Synagoge und hatte keine Probleme. Bei meiner Ankunft war ich das einzige anwesende weibliche Wesen. Bei Karlin ist die Mechitza eine Glasscheibe und man hat einen super Überblick über die im Erdgeschoss betenden Chassidim. Wer sich dem Karliner Gebäude nähert, der hört die euphorischen Gesänge schon von weitem.

Im Inneren ging es noch besser zu. Mindestens 200 Chassidim incl. Kinder beteten; wie die Litvishen schon sagte, sie bewegten sich wirklich wild hin und her und schrien laut auf im Gebet. Wer den Anblick oder den Chassidismus nicht kennt, der wird sich wahrscheinlich wundern. Wer aber dagegen einen Sinn für die Chassidut hat und weiss, was spirituell geschieht, dem fällt es schwer, sich dem Treiben zu enthalten. Zugegeben, die wenigen anwesenden litvishen Haredim enthielten sich aber doch und schauten erstaunt drein. Nichts gegen die Litvishen, aber mit Euphorie oder enthusiastischem Gebet ist bei ihnen nichts. Sie stehen da und schauen drein. Für meine Verhältnisse zu lahm, aber wem es gefällt....

Etwas später trat eine junge chassidische Frau ein und wir begrüßten und kurz. Nach dem G - ttesdienst kamen wir ziemlich gut ins Gespräch. Sie ist Amerikanerin und in New York in der Gruppe Karlin aufgewachsen.

Wann es denn einen chassidischen Tisch mit dem Rebben gebe ?

Der Rebbe wohnt etwas ausserhalb in Givat Zeev und kommt nur einmal im Monat oder alle zwei Monate nach Jerusalem, um einen Tisch abzuhalten. Genau weiss man das im voraus nie.

Karlin - Stolin plant nichts Besonderes am Montag Abend / Dienstag anstehenden Feiertag Tu Be'Shevat.

Ich erzählte ihr, dass ich im Internet über chassidische Gruppen schreibe und sie fragte mich nach der Adresse meines eng. Blogs. Sie habe einen PC und würde sich das Anschauen.

Insgesamt redeten wir eine halbe Stunde. Sie war interessiert zu erfahren, was ich bisher über Karlin - Stolin erfahren habe. Nicht viel, gab ich zu, obwohl ich ein Buch über die Gruppe begonnen habe zu lesen.

Zum Schluss lud sie mich zum heutigen Morgengebet ein, welches um 8.00 Uhr früh beginnt.


Der Rebbe Baruch Yaakov Meir Shochet von Karlin-Stolin



Anstatt zu Satmar oder anderswo hinzugehen, ging ich tatsächlich zurück zu Karlin und bereute es nicht. Dieses Mal war die Frauenempore total überfüllt, aber ich fand einen guten Stehplatz. Wer in das Untergeschoss schauen will, der muss sich schon hinstellen. Sitzend sieht man nichts.

Wieder wurde ekstasisch gebetet.

Karlin - Stolin hat den Brauch, Süssigkeiten an die Kinder zu verteilen. So geschieht es nach dem Freitagsg - ttesdienst an die Jungen und beim Morgengebet für die Mädels in der Frauenempore. Alle Kinder stuerzten auf die grossen blauen Plastiktüten los und nahmen sich eine kleine Tüte heraus. Bonbons, Schokolade, alles war dabei.

Nach der Thoralesung versammelten sich alle kleinen Jungen auf der Bimah und die Frauen schmissen Süssigkeiten ins Erdgeschoss auf die Jungen. Warum das ?

Schabbat Chatan. Jemand heiratet in dieser neuen Woche und der zukuenftige Ehemann bekam einen extra Aufruf zur Thora. Danach flogen sie Süssigkeiten und man kann sich das Gewimmel kaum vorstellen. Alle Jungen drängelten und griffen nach den herabfliegenden Tüten.

Ich war schon dabei, mich zu verabschieden als eine ältere Dame auf mich zukam und sagte, dass eine spezieller Kiddush stattfindet. Im hinteren Teil der Frauenempore war ein langes Bufett aufgebaut. Ich wurde eingeladen, mitzukommen und sah mich sofort mit einem Teller voll Jerusalemer Kugel (Nudelpastete), sauren Gurken und Kuchen dastehen. Die Amerikanerin vom Vorabend traf ich auch gleich wieder.

Alles in allem gibt es bei Karlin - Stolin total nette Leute und ich war froh, am G - ttesdienst teilgenommen zu haben. Nicht nur wegen des Kugels.

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