Sonntag, Dezember 13, 2009

Sefer HaChinuch und Talmud Yevamot zu "Seid fruchtbar und vermehret Euch"

B"H



Photo: Virginia Jewish Life


Das Buch "Sefer HaChinuch" (Sefer = Buch, Chinuch = Erziehung) wurde schon zu mittelalterlichen Zeiten verfasst und listet uns alle 613 Thoramitzwot (Gesetze) auf. Ebenso werden die Gesetze allgemein erläutert. Im Jahre 1549 ordnete Rabbi Gedalya ibn Yahya das Buch dem Rabbi Aharon von Barcelona zu.


Alle 613 Mitzwot, die G - tt in der Thora an die Juden weitergab gelten bis in alle Ewigkeiten ! Bei der allerersten Mitzwah handelte es sich um "Seid fruchtbar und vermehret Euch - Pru u'revu". Diese Mitzwah, wie schon zuvor ausgeführt, gilt für ALLE Menschen auf unserem Planeten, egal welcher Religionszugehörigkeit.


Anmerkung: Es darf nicht vergessen werden, dass kaum ein Jude sämtliche 613 Mitzwot erfüllen kann, denn nicht alle Juden sind Männer, sondern Frauen und nicht alle Juden sind Cohanim (Tempelpriester) und dürfen einen Tempeldienst verrichten. Heutzutage sind wir bestensfalls in der Lage 70 - 80 Mitzwot auszuführen, denn derzeit warten wir immer noch auf die Ankunft des Meschiach und somit auf den Dritten Tempel. Erst danach werden alle 613 Mitzwot wieder möglich sein !



Nur nebenbei bemerkt: Das Vorwort zum "Sefer HaChinuch" ist grandios und gibt eine Menge Insights in die Beschaffenheit der Thora. Dazu ggf. später, doch hier erst einmal die erste Mitzwah der Thora:


Seid furchtbar und mehret Euch - Pru u'revu (Bereshit - Genesis 1:28)
G - ttes Wille war, dass die von Ihm erschaffene Welt von Menschen bevölkert wird und daher gab Er diese Mitzwah.


Wie ich schon zuvor erwähnte, lehrt die Gemara (rabbinische Diskussionen) des Talmud Yevamot:


Laut dem Hause Schammai muss ein Mann zwei Söhne und zwei Töchter zeugen.
Laut dem Hause Hillel muss ein Mann einen Sohn sowie eine Tocher zeugen.

In derselben Gemara entstehen Dispute über die tatsächliche Aussage von Schammai und Hillel. Unter anderem heißt es, Schammai sehe einen Sohn und eine Tochter vor und Hillel hingegen nur ein Kind (das Geschlecht spielt keine Rolle). Weiterhin bestehen Differenzen darüber, ob ein Konvertit zum Judentum die Mitzwah des "Pru u'revu" mit seinen Kindern von vor der Konversion erfüllte oder nicht. Reish Lakish sagt hier ganz klar: "Nein, er erfüllte die Mitzwah nicht" und der moderate Rabbi Yochanan gab er, der Konvertit habe sogar anhand seiner vorherigen nichtjüdischen Kinder die Mitzwah erfüllt. Zusatz: Allerdings nur dann, wenn die Kinder mit ihm zum Judentum konvertieren !


Reish Lakish nennt an dieser Stelle einen einleuchtenden Grund: "Ein Konvertit zum Judentum ist wie ein neugeborenes Kind / Baby. Somit kann der Konvertit keine vorherigen Kinder gehabt haben". Hierzu jedoch gibt es in Yevamot 62a sowie des Ausführungen des Chatam Sofer (dessen Talmudkommentar) einen neuen Disput bezüglich einer Aussage des Rambam: Ein Nichtjude, der einen Juden umbrachte und danach zum Judentum übertrat, muss nach wie vor halachisch hingerichtet werden. Dieser Aussage zufolge ist es wiederum fraglich, ob ein Konvertit zum Judentum nun ein "neu geborener Mensch" ist oder nicht.


Aber ich will hier nicht zu sehr verwirren, sondern nur aufzeigen, dass fast alles in der Halacha oder den Mitzwot nie einfach im Ruckzuck - Verfahren zu beantworten ist.


Zurück zum "Sefer HaChinuch" und der Ursprungsfrage, warum nur der Mann der Mitzwah sich fortzupflanzen unterliegt und nicht die Frau:


"Sefer HaChinuch" gibt an, dass die Frau von dieser Mitzwah entbunden ist ! Warum ? Weil Frauen nicht verpflichtet sind, die Initiative zu ergreifen und um alles in der Welt zu heiraten. Sollte sich eine Frau weigern zu heiraten, verstösst sie gegen keinerlei relig. Verpflichtung !
Im Buch "Meshech Chochmah" kommentiert Rabbi Me'ir Simcha von Dvinsk (Genesis 9:1): Die Thora verpflichtete nicht die Frau zu dieser Mitzwah, denn mit jeder Schwangerschaft setzt sie ihr eigenes Leben aufs Spiel. Doch stattete G - tt die Frau mit einer intensiveren Sehnsucht nach Kindern aus als den Mann und somit drängt die Frau sehr wohl auf Kinder. Der Ausdruck nach der "verborgenen Vollfüllung" einer Mitzwah sozusagen.


Die Mischna (G - ttes mündlich überliefertes Gesetz am Berg Sinai) in Yevamot 65b lehrt:
"Ein Mann ist dazu verpflichtet, sich fortzupflanzen, aber nicht die Frau !"


Die darauffolgende Gemara (rabbinische Diskussionen) nimmt an dieser Stelle sämtliche Thoragrammatik auseinander, denn es besteht ein Disput, ob die Mitzwah im Singular oder im Plural ( an Mann und Frau) gegeben worden ist. Zu beachten sei, dass die Mitzwah der Fortpflanzung schon an beide Geschlechter gegeben wurde, denn nur einer allein kann kein Kind zeugen. Somit bestehen wiederum zwei Meinungen; die Frau ist genauso verpflichtet wie der Mann und nur der Mann muss sich fortpflanzen, die Frau nicht, wenn sie nicht will.


G - tt sagte in Genesis 1:28, dass man sich fortpflanzen solle, und auf diese Art der Mensch die Welt einnehme / beherrsche. Der Thorakommentator Raschi basiert an dieser Stelle seinen Kommentar auf entsprechender Gemara in Yevamot 65b, wo es heißt, dass eigentlich nur der Mann derjenige ist, welcher über die Charaktereigenschaft des Kämpfens, Einnehmens und Herrschens verfügt. Hieraus interpretiert Raschi, dass der Mann seinen Jagdtrieb auslebt, die Frau einnehmen will und danach zwangsläufig Kinder gezeugt werden. Von daher ist der Mann verpflichtet, sich fortzupflanzen und die Frau wird somit nur eingenommen.
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Das sind die Erklärungen zum Thema, die ich bis hierher fand. Wahrscheinlich bestehen noch andere Gründe und sobald etwas Neues aufwartet, werde ich dies kundtun.


In den Kommentaren zum vorherigen Artikel kamen jedoch noch weitere Fragen auf (unabsichtlicher Samenerguss in der Nacht, Sünde, welche Rechte hat die Frau und wer darf sich dem Geschlechtsverkehr wiedersetzen). Zu diesen Fragen muss ich erst weitere Talmudtraktate (u.a. Niddah und Kidduschin) durchgehen, um antworten zu können.

2 Kommentare:

  1. Anonym5:37 PM

    ""Sefer HaChinuch" gibt an, dass die Frau von dieser Mitzwah entbunden ist ! Warum ? Weil Frauen nicht verpflichtet sind, die Initiative zu ergreifen und um alles in der Welt zu heiraten."

    Bis zu diesem Punkt äußerte ich mich ja genauso. Auch mein Verständnis von Raschi hast du weiter unten mit deinem neuen Post ja noch einmal bestätigt.

    "Sollte sich eine Frau weigern zu heiraten, verstösst sie gegen keinerlei relig. Verpflichtung !"
    Kannst du die Quelle, wo das steht, wörtlich zitieren? Darin wiederum kann ich keinen Sinn erkennen.

    Wie du schreibst, gibt die Gemara auch meine Meinung wieder, dass eben auch die Frau sich der Pflicht der Vemehrung nicht entziehen sollte, denn diese gilt auch für die Frau =)

    Ein Jude heiratet eine Nicht-Jüdin, und zeugt seine Kinder. Ganz abgesehen davon, dass die Heirat verboten war/ist: werden die Kinder für das Gebot angerechnet? Was wenn er zum Baal Teschuwa wird und seine Familie konvertiert? Kann man dann den Zusatz machen: Wenn seine Familie konvertiert? Wahrscheinlich so, oder?

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  2. B"H

    "Sollte sich eine Frau weigern zu heiraten, verstösst sie gegen keinerlei relig. Verpflichtung !"
    Kannst du die Quelle, wo das steht, wörtlich zitieren? Darin wiederum kann ich keinen Sinn erkennen.


    Dieser Satz ist in einem Kommentar zum Sefer Chinuch erwaehnt - basierend auf der Aussage des Sefer HaChinuch: Die relig. verpflichtung liegt nicht bei der Frau (siehe 1. Kapitel).

    "Sefer HaChinuch" mit Erlaeuterungen von Charles Wengrov
    Feldheim Publishers, 5738 (1978)

    Die Aussage ergibt sich weiterhin aus der Mischna, dass die Mitzwah grundsaetzlich nur fuer den Mann gilt !

    Nicht entziehen sollte, doch es geschieht im Grunde genommen nichts, wenn sie keine Kinder hat. Im Gegenteil zum Mann (siehe Sefer HaChinuch, 1. Kapitel, sowie Talmud Kidduschin 29b).

    Ein Jude heiratet eine Nicht-Jüdin, und zeugt seine Kinder. Ganz abgesehen davon, dass die Heirat verboten war/ist: werden die Kinder für das Gebot angerechnet? Was wenn er zum Baal Teschuwa wird und seine Familie konvertiert? Kann man dann den Zusatz machen: Wenn seine Familie konvertiert? Wahrscheinlich so, oder?

    Laut Reish Lakish nicht, laut Rabbi Yochanan nur dann, wenn die Kinder konvertieren. Gemaess der Mutter sind sie ja keine Juden.

    Wenn er Baal Teshuva wird und die Familie mit ihm konvertiert, dann hat er, gemaess Talmud Yevamot 62a, seine Mitzwah erfuellt.


    Deine letzte Frage ist eine heikele Frage, auf die der Talmud mehrere Antworten parat haelt. Hier wuerde ich den Rat eines fachkundigen Rabbiners empfehlen:

    http://www.chabad.org/asktherabbi/default_cdo/jewish/Ask-the-Rabbi.htm

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