B"H
Allgemein: Chassidim sind ultra - orthodoxe Juden, die der Lehre des Baal Shem Tov (Besht) folgen.
Viele Buecher wurden ueber die Reaktion der Juden auf den Holocaust (hebrae. Shoah) geschrieben, doch gibt es nur ganz wenige Publikationen ueber die Reaktion der Chassidim.
Mein Beitrag zu diesem Thema stuetzt sich ueberwiegend auf eine Publikation von Pesach Schindler (Leiter einer konservativen Yeshiva und Holocaust - Experte).
Tausende Chassidim sind im Holocaust umgekommen und fast ganze Dynastien wie Belz oder Bobov wurden vernichtet. Erst Jahrzehnte nach dem Krieg "erholten" sich chassidische Gruppen von den Verlusten ganzer Gemeinden und Generationen und formierten sich neu.
Die Mehrheit der Chassidim nahm die Verfolgung und den Holocaust als G-ttesurteil auf. Niemand hat das Recht, G-ttes Urteile und Handlungen in Frage zu stellen. Alle Antworten bekommen wir vom Meschiach. Ausserdem ist Leiden eine Einleitung fuer das Kommen des Meschiach (hierzu gibt es untershiedliche Interpretationen).
Der Grodzisker Rebbe, Rabbi Yisrael Shapira, sagte noch in Treblinka: Wir sollen G-ttes Handlungen nicht anzweifeln.
Diese Meinungen basieren auf einem sehr komplizierten chassidischen Konzept: Selbst das Boese hat seine Wurzeln im Guten. Dadurch, dass die Thora und Mitzwot (Gebote) in den schlimmsten Zeiten eingehalten werden, bringen wir den Meschiach naeher. Chassidim hielten auch weiterhin an der Idee fest, G-tt mit totaler Selbstaufgabe zu dienen. Die Diaspora (Galut) sei nun einmal eine Tragoedie.
Aber es gab auch andere Stimmen. Viele Chassidim formierten sich in Partisanengruppen. Der Belzer Rebbe verlangte von seinen Chassidim Europa zu verlassen. So auch der Komarner Rebbe.
Zwanzig Chassidim des Ostrower Rebben wollten sich opfern, um ihrem Rebben das Leben zu retten, doch die Nazis erschossen alle Zwanzig und den Rebben.
Chassidim weigerten sich, soweit moeglich, ihre Kleidung auszutauschen und die Baerte abzurasieren. Chassidische Admorim (Rebbes) liessen ihre Anhaenger micht allein und gingen mit ihnen in den Tod.
Noch in Auschwitz gab es Gebets - Service und in Birkenau wurden sogar illegal Mazzot gebacken.
Einige chassidische Rebbes stellten G-ttes Handlungen dennoch in Frage. Ob G-tt nicht seine eigenen Gebote missachte.
Rabbi Aharon Rokeach (Belz) wurde gefragt, ob man nicht ein g-ttliches Einschreiten arrangieren sollte. Seine Antwort: Nein, alles sei ein G-ttesurteil.
Es gibt mehrere Berichte und ich selbst habe dies von jemandem gehoert:
In Auschwitz haben viele Gefangene einmal die Kabbalisten gefragt, ob man nicht kabbalistische Flueche gegen die Deutschen aussprechen solle. Man fragte sogar G-tt selbst um Rat. Doch eine "Bat Kol" (das Echo einer himmlischen Stimme, siehe Talmud Traktate Yoma 9b und Eruvin 13b) sagte nein.
Antworten auf den Holocaust gibt es keine. Auch keine Religioesen. Wie heisst es doch ? Wir erfahren alle Geheimnisse nach unserem Tod oder dem Eintreffen des Meschiach.
Fuer die Chassidim ist das Leiden vor dessen Eintreffen nicht vorueber. Alle, auch wir, sehen den Krieg Gog und Magog vor dem Meschiach. Doch der letzte Lubawitscher Rebbe, Menachem Mendel Shneerson, vertrat einen anderen Standpunkt: Der Zweite Weltkrieg sei schon Gog und Magog gewesen und nun sei der Weg frei fuer Meschiach.
Eines aber ist gewiss: Deutsche insgesamt haben auch heute noch einen schweren Stand bei den Chassidim. Ich kenne einen Gerer Chassid (gebuertig aus Polen), welcher seine gesamte Familie verlor. Er heisst Shalom Mark und schrieb ein Booklet ueber seine Erlebnisse in verschiedenen Konzentrationslagern. Der Titel seines Booklets: "Choose Life".
Auch bei Shalom Mark finden Deutsche keine Vergebung. Aber nicht nur die Chassidim verhalten sich so; auch die Nationalreligioesen haben aehnliche Meinungen. Oder wurde Angela Merkel schon einmal vom Gerer Rebben, Rabbi Yaakov Aryeh Alter, oder von Rabbi Mordechai Eliyahu eingeladen ?
Tatsache ist, dass 99% der Chassidim Deutschland meiden. Selbst bei den dort ansaessigen Chabadnikkim bleibt immer ein bitterer Nachgeschmack.
Ein sephardischer Chassid meinte zu mir, dass Angela Merkel zwar sehr israelfreundlich sei, doch es fuer Deutschland insgesamt keine Vergebung gebe.
Dass, was vielen Israelis immer noch missfaellt, ist das Hoeren der deutschen Sprache. Eine nationalreligioese Frau sagte, dass sie zwar keine deutschen Produkte aus dem Haushalt verbanne, wie ihre Mutter. Doch sehe sie im deutschen Charakter immer eine Kultur, die von sich meint, besser zu sein als andere Kulturen.
In anderen Worten: Mit Kranzniederlegungen ist es nicht getan. Deutschland muss auch in der Zukunft weiterhin beweisen, dass es den Antisemitismus bekaempft und ein demokratisches Land bleibt.
Freitag, Januar 19, 2007
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Vielen Dank Miriam für den interessanten Text.
AntwortenLöschenIch hätte einige Fragen dazu:
Ist es so, dass viele Chassidim grundsätzlich alle Deutschen ablehnen? Wenn ja, hieße das wohl, dass sie eine Art von Kollektivschuld vertreten, denn nur noch 20% der Bevölkerung haben schon während der Nazizeit gelebt, es gibt ja heute eine völlig andere Generation.
Wie bringen diese Chassiden es mit der Mitzwa "Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst" in Einklang? (Zugegeben eine recht provokante Frage.)
Und weißt du, wie sie zu denjenigen Deutschen stehen, die Juden geworden sind? Es gibt ja vielfach die Meinung, dass viele aus schlechten Gewissen oder aus dem Wunsch heraus, keine Deutschen mehr sein zu wollen, Juden werden wollen oder geworden sind.
Wobei man natürlich nie aus der Geschichte aussteigen kann.
Ich hoffe, ich habe nicht zu schwierige Fragen gestellt.
PS: Übrigens hatte ich, als ich 3 Monate in Israel war, keinerlei Probleme, wenn ich deutsch gesprochen habe. Eher das Gegenteil, wenn wir Probleme hatten und jemand verstand deutsch, wurde uns sofort geholfen. Ich fand das sehr erstaunlich, weil ich damit nicht gerechnet habe.
Gruß
Yael
B"H
AntwortenLöschenShavua Tov Yael.
Ich denke, es kommt auf die Situation drauf an, wo und wann man deutsch spricht. Ich habe oefters einige deutsche Touristen im Cafe Hillel erlebt, welche nicht gerade rumgroelten, aber dennoch ziemlich laut daher redeten. Sie zogen nicht gerade freundliche Blicke auf sich.
Ich kenne viele Leute, die grundsaetzlich keine Deutsch hoeren wollen und anderen wiederum macht es kaum etwas aus. Kommt immer darauf an.
Bei den Haredim, insbesondere den Chassidim, gibt es ein Thorakonzept, welches Amalek heisst. Ich glaube, du weisst was ich damit meine. Genauso werden die Deutschen gesehen. Wobei ich nicht verallgemeinern will. Aber das Konzept ist weit verbreitet und als ich bezueglich meines Beitrages Leute befragte, bekam ich das fast immer zu hoeren.
Ich denke nicht, dass die Mitzwa hier zutrifft. Liebe deinen Naechsten und so. Wer gesamte Generationen im Holocaust verlor, der denkt da sicher etwas anders. Insgesamt kann man doch sagen, dass die Chassidim Deutsche in Ruhe lassen und man im Gegenzug das gleiche will. Keinen Kontakt.
Bei Gerim ist es wieder etwas anders; kommt drauf an, wer wo und warum konvertiert ist. Wer nicht bei einem haredischen Beit Din konvertierte, ist problematisch. Es kommt auf das orthod. Beit Din an. Ueberfluessig zu erwaehnen, dass Reformkonvertiten natuerlich nicht als Juden gesehen werden. Und ich wuerde auch keine Reformkonvertiten in die chassidische Gesellschaft mitnehmen. Shabbatot etc. Das ist fuer alle Seiten zu unangenehm.
Deine Fragen sind nicht ganz leicht zu beantworten und ich koennte noch stundenlang schreiben. Ich hoffe, dir aber etwas geholfen zu haben.
Miriam
Hi Miriam,
AntwortenLöschendanke für deine Antwort.
Ja, sicher Amalek ist mir bekannt. Ich kann diese Reaktion sicher gut verstehen, denn niemand weiß, wie jeder in dieser Situation umgeht.
Ich habe aber immer wieder Probleme damit, dass es auf die Generation der Deutschen übertragen wird, die keinerlei Schuld trifft und die deutschen Verbrechen trotzdem auch auf sie übertragen wird und sie in eine Ecke gedrängt werden, in die sie nicht gehören (von den heutigen Nazis/Antisemiten klar abgesehen, wobei das Europaweit leider nicht anders ist).
Ich denke, niemand sucht sich aus, wo hinein er/sie geboren wird, wer seine Vorfahren sind, es sei denn bei den Chassiden wird das anders gesehen.
Und ohne Kontakt ist es leider unmöglich, sich kennenzulernen und auf chassidischer Seite diese Vorurteile abzubauen.
Aber wie gesagt, ich könnte auch nicht sagen, wie ich auf die Katastrophe der Shoa reagieren würde.
Schawua Tov
Yael
Für mich sind das indiskutable Fanatiker und, wenig verwunderlich, auch Rassisten. Leider sind sie es, die gerade in den deutschen Medien das Israelbild prägen. Kaum ein Spiegel-Artikel, in dem nicht ein schwarzer Kaftan für "Israel an sich" steht.
AntwortenLöschenDie Meinung, der Holocaust wäre eine Strafe gewesen ist so ziemlich das antisemitischste Statement das man vertreten kann. Sorry, Spiritualität hin oder her, aber das kann ich nicht akzeptieren. Nicht umsonst gibt es in diesen Kreisen eine Ablehnung Israels selbst. Für mich indiskutabel.
Noch eine kleine persönliche Bemerkung: Die Großeltern meines israelischen Mannes sind Holocaustopfer. Nicht nur daß sie mich, meine Herkunft und meine Sprache akzeptiert haben, nein, sie machen auch noch regelmäßig Urlaub - von Berlin bis Wien. Autos und Haushaltsgeräte werden prinzipiell NUR made in Germany gekauft, denn das ist gleichbedeutend Qualität. Wäre in der Familie auch nur eine einzige Bemerkung über meine Herkunft gefallen, wäre ich weg wie der Wind.
Leider glauben gerade viele Deutsche, die meisten Israelis hassen alles Deutsche. Aber die Erfahrung mache ich nicht. Viele Israelis lernen sogar Deutsch.
Aber mein Umgang sind eben keine Chassidim sondern "ganz normale Israelis".
Diese Dinge zu lesen macht mich sehr wütend, da Menschen wie diese Gruppen das Bild Israels verzerren und dem Judentum insgesamt schaden.
B"H
AntwortenLöschenAb heute abend (in einem ersten Beitrag) werde ich einige chassidische Gruppen erklaeren und vielleicht damit einige Vorurteile abbauen.
Miriam
@ Schmetterlingsfrau:
AntwortenLöschenDer Spiegel ist aber keine chasidische
Zeitschrift. Du solltest den Vorworf wegen
dem Verzerrten Israelbild an den Spiegel
richten.
Jakobo
B"H
AntwortenLöschenDas Bild der Haredim bzw. der Chassidim wurde schon allein durch die unwissende Presse bezueglich der Gay Parade in Jerusalem verzerrt.
Da hiess es immer: die Haredim und keiner wusste den Unterschied zwischen Chassidim und Midnagdim. Des weiteren nahmen z.B. die Gerer Chassidim ueberhaupt nicht an den in Mea Shearim stattfindenden Krawallen teil, sondern nur ein ganz kleiner Teil der Toldot Aharon. Ich schrieb dazu einen Kommentar auf: http://www.readers-edition.de/2006/11/09/sodomiter-nach-sodom wo Unglaubliches ueber einen Kamm gezogen wurde.
Miriam
HI, Miriam:
AntwortenLöschenIch denke das das mit der Gay Parade
auch ein etwas komplexeres thema ist.
Ich fände es zum Beispiel richtig wenn
so etwas auch in Jeruselem stattfinden
könnte, aber es ist klar, dass es dort
schwieriger sein würde sowas zu machen
als zum Beispiel in Tel Aviv. Für mich ist
das fast schon logisch. Aber einer seits
ist ja Jerusalem auch nicht der einzige
ort an dem man so eine Parade machen
kann, es gibt eben auch tel aviv und
außerdem denke ich dass gleich eine
Parade dort zu machen etwas hochtrabend
ist, wenn man eher etwas vorischtigere
Weisen suchen sollte um für akzeptanz zu
werben.
Das mit dem Spiegel hatte ich erwähnt,
weil es weiter oben für mich so klang,
als ob chassidim für ein Israelbild
verantwortlich gemacht werden sollen,
das der Spiegel von sich gibt, aber der
spiegel ist ja nun mal keine
chassidische zeitschrift sonder eine
sekuläre deutsche zeitschrift, warum
werden dann in diesem zusammenhang die
chassidim kritisiert?? Ich verstehe das
irgendwie nicht richtig.
Jakobo
B"H
AntwortenLöschenEine Gay Parade in Tel Aviv waere mir egal, aber Jerusalem ist ein anderes Thema.
Miriam
Du hast ja recht, Jakobo, das war unfair. Am schlechten Nahostjournalismus sind die Chasidim nicht schuld. Andererseits ist es nunmal so, daß eine Gesellschaft an ihren Extremen gemessen wird.
AntwortenLöschen@ Schmetterlingsfrau:
AntwortenLöschenhmm... willst Du damit sagen, dass
nicht alle deutschen neonazis sind?
Jakobo
@ Miriam:
AntwortenLöschenJerusalem ist für viele ein anderes
Thema und ich denke das sollte man
respektieren. Schließlich ist
Jerusalem ja nicht die einzige Stadt
in Israel. Das wollte ich ja auch aus
drücken.
Jakobo