Donnerstag, Dezember 02, 2010

Parashat Miketz



B"H

Die Thoralesung für diesen Schabbat

Parashat Miketz wirft einige Fragen auf, die niemand so richtig zu beantworten in der Lage ist. Wir erfahren, wie Yosef aus dem Gefängnis freikam, der Aufstieg zum Stellvertreter Pharaos und dann das Wiedersehen mit den Brüdern in Ägypten.
Die berühmte Frage, welche diese sowie die nächste Parashat Vayigash aufwirft lautet:


Wie war das Verhältnis des Yosef zu seinen Brüdern nach all der 
Wiedersehensfreude ? 


Er selber unterwarf seine Brüder allen nur erdenklichen Tests um festzustellen, ob sie nicht doch noch die alten, ihm feindlich gesinnten, Charaktäre waren.
Aber selbst wenn sich die gesamte Familie wiederfindet, inwieweit gibt es ein 
Vergeben ?

Ich las alle möglichen Kommentare, doch immer wieder kam in mir der Gedanke an ein Interview hoch, welches vor einiger Zeit in der israelischen Tageszeitung MAARIV veröffentlicht wurde. Dort beschrieb ein israelischer Soldat, der sich einst nach dem Yom Kippur Krieg (1973) dreieinhalb Jahre lang in ägyptischer Kriegsgefangenschaft befand, von seiner Zeit nach der Freilassung und dem "Leben danach".


Zu Zeiten Yosefs hasste man alles, was aus dem damaligen Canaan kam und verachtete jeden als Primitivling. Yosef bildete da keine Ausnahme, denn für die hochkultivierten Ägypter war er anfangs soetwas wie ein Dorftrottel.

Der ehemalige israelische Soldat ging nicht auf die Zeit seiner Kriegsgefangeneschaft ein, sondern teilte den Eltern des gekidnappten Soldaten Gilad Shalit mit, was sie erwartet, wenn ihr Sohn freikommen sollte. Er wird ein anderer Mensch sein und nichts ist mehr so, wie es war. Das ist es, was die Shalits nicht begreifen bzw. noch nicht wahrhaben wollen. Zwischen ihnen und ihrem Sohn werden stets die Jahre der Gefangenschaft stehen und genauso stelle ich es mit bei Yosef und seiner Familie vor. Bei ihnen ist die Angelegenheit noch gravierender, denn es stehen viel mehr Jahre zwischen dem Verkauf des Yosef sowie dem letzendlichen Wiedersehen.

Selbstverständlich war alles ein G - ttesplan, so wie alles in unserem Leben nach Seinem Plan verläuft. Der Verkauf des Yosef musste erfolgen, um die Israeliten so nach Ägypten zu bewegen, damit der Auszug sowie die Vergabe der Thora stattfinden konnte.

"Und es geschah nach zwei Jahren…." - So lautet der erste Satz der dieswöchigen Thoralesung. Das Wort "Miketz" wird gewöhnlich dem " nach Ende…." übersetzt. "Nach dem Ende / Ablauf von zwei Jahren.

Die Frage ist nur, welches Ende / Ketz ist an dieser Stelle eigentlich gemeint ? Was oder wann war der Beginn der hier erwähnten zwei Jahre ?

Wenn wir uns die vorherige Parashat Vayeshev ansehen, dann lautet das dortige Ende, dass der Mundschenk des Pharao freikam und Yosef vergaß. Wörtlich heißt es sogar: "Der Mundschenk erinnerte sich nicht mehr an Yosef; er vergaß ihn".

Yosef hatte sich von dem Mundschenk einiges erwartet, denn dieser hätte die Traumdeutungen an hoher Stelle erwähnen und so eine Freilassung Yosefs ermöglichen können. Folglich ist also anzunehmen, dass der Mundschenk vor zwei Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde und nun Pharao seine Traum hatte. Und siehe da, der Mundschenk erinnerte sich wieder.

Allen Kommentatoren machen insbesondere die ersten Worte dieser Parasha zu schaffen. Am eindringlichsten geht wohl das kabbalistische Buch "Zohar" auf das Wort "Miketz" ein. Zuerst einmal wird Yosef schwer angeklagt. Aber das nicht nur im Zohar, sondern genauso vom Kommentator Ohr HaChaim und allen nur erdenklich anderen Kommentatoren. Wie konnte Yosef sein Vertrauen nur auf den Mundschenk
beschränken ? In dem Moment der Freilassung des Mundschenks dachte Yosef, dass auch er bald freikäme, denn sicher werde der Mundschenk dafür sorgen. Doch nichts geschah und Yosef saß weitere zwei Jahre in Haft. Diese zusätzlichen zwei Jahren werden als G - ttesstrafe bezeichnet.

Der "Zohar" fährt fort, dass Yosef einzig und allein hätte auf G - tt vertrauen sollen und nicht auf einmenschliches Wesen. Rabbi Shimon bar Yochai sagt im Zohar, dass das "Ende - Ketz" die Zeit "des sich nicht erinnern" darstellt. Symbolisch werden diese zwei Jahre in je zwei Level unterteilt: in der des Vergessens und in den des sich erinnern. G - tt erinnerte sich an Yosef und bewirkte, dass Pharao träumte und sich der Mundschenk erinnerte.

In der chassidischen sowie der kabbalistischen Lehre hat das Wort "Miketz - nach Ende" jedoch noch eine weitere wichtige Bedeutung. Der Sefat Emet sowohl als auch der Chozeh (Seher) von Lublin, Rabbi Yaakov Yitzchak Horowitz (1745 - 1815), sehen in dem Wort sowie im Traum des Pharao versteckte Metaphern, die noch eine ganz andere Botschaft für uns bereithalten. Die Thora kann in vielfacher unterschiedlicher Weise gelernt werden. Die einfachste ist, sie als Geschichtsbuch zu lesen oder nur das einfache Peshat zu studieren. Heißt, eine einfache Bedeutung des Textes ohne irgendwelche Zwischeninterpretationen. Andererseits wissen wir, dass die Thora eine offene Botschaft genauso wie viele versteckte Botschaften für uns bereit hält. Die Kabbalah und ebenso die Chassidut helfen uns diese verborgenen Hinweise zu erfassen und zu begreifen.

"Miketz - Ende" ist gleichzusetzen mit "Dunkelheit", so der Ohr HaChaim, der Sefat Emet, der Seher von Lublin und viele andere Kommentatoren. "Dunkelheit" auf der Welt bedeutet, dass die Menschen ihre Yetzer HaRah, ihren negativen inneren Neigungen, folgen. Sobald es jedoch Licht wird, verwandelt sich das Negative in Positives. Demnach ist das Ende der zwei Jahre symbolisch gleichgesetzt mit dem Kommen des Meschiach, denn in dem Moment wird es Licht und die Yetzer HaRah des Menschen verschwindet. Im Zeitalter des Meschiach wird es keine negativen menschlichen Eigenschaften mehr geben. Nach der Dunkelheit ließ G - tt das Licht erstrahlen, heißt, er sorgte dafür, dass Yosef freikam.

Aber wieso bezieht sich die Interpretation auf die Gegenwart bzw. die Zukunft. Yosef kam aus dem Gefängnis frei, aber was hat das nach all den Tausenden von Jahren mit uns und dem Kommen des Meschiach zu tun ?

Den Fehler, welchen viele Leute begehen ist, die Thora und die Propheten als Geschichtsbücher zu lesen. Das war einmal und wen interessiert heute schon groß, was König David oder Avraham taten ? Was hat das mit mir zu tun ?
Ganz im Gegenteil, denn die Thora darf niemals als Geschichtsbuch gelesen werden, sondern so als ob es jetzt und heute mir passieren tut. Es soll uns etwas mitgeteilt werden, was genauso einen Bezug zu meinem persönlichen Leben hat als seinerzeit auf Avraham etc. Da die Thora auf alle Zeiten gültig sein wird, hat sie jederzeit einen aktuellen Bezug.

Und so sieht der chassidische Sefat Emet im Traum des Pharaos die aktuelle Botschaft für uns, denn auch unsere Aufgabe besteht darin, uns in guten Zeiten auf eventuelle schlechte Zeiten vorzubereiten. Wie die mageren Kühe im Traum des Pharao die fetten Kühe fraßen, so kann es uns ergehen. In Zeiten, in denen es uns gut geht, ist es extrem leicht, an G - tt zu glauben. Falls überhaupt, denn wer braucht G - tt, wenn es mit gutgeht. Sobald jedoch schlechte Zeiten für jemanden beginnen, erinnert er sich schnell an G - tt und erwartet Hilfe. Wenn es geht sofort. Deshalb sollen wir uns in guten Zeiten mental auf eventuell folgende schlechte vorbereiten, damit wir die Keduscha (Heiligkeit) mitnehmen können, um nicht zu verzweifeln.

Als Yosef letztendlich aus dem Gefängnis freikam, war er fast 30 Jahre alt. Zwölf Jahre war er unschuldig inhaftiert gewesen. Sein Vater Yaakov war zu dem Zeitpunkt 120 Jahre alt und die Gemara im Talmud Traktat Rosh HaShana 10b läßt uns wissen, dass Yosef im Jahre 2230 nach der Welterschaffung freikam.

Neun Jahre nachdem Yosef zum Stellvertreter Pharaos ernannt wurde, kamen seine Brüder nach Ägypten, um Getreide einzukaufen. Sie erkennen Yosef nicht mehr, da dieser andere Kleidung trägt, eine fremde Sprache spricht und sich anhand eines Übersetzers verständlich macht und vorgibt, die Sprache der Brüder nicht zu kennen.
Und dann folgt eine kaum endende Odyssee. Erst werden die Brüder verhaftet, dann zum Vater zurückgeschickt um Benjamin zu holen, dann wird Benjamin des Diebstahl bezichtigt. Warum das alles ? Warum offenbarte sich Yosef seinen Brüdern nicht spätestens nach dem Zusammentreffen mit seinem Bruder Benjamin ?
Hierauf hat Rabbi Samson Raphael Hirsch einen vortrefflichen Kommentar bereit. Nach all dem, was die Brüder Yosef angetan hatten, konnte es theoretisch immer noch sein, dass diese einen innerlich verborgenen Haß auf ihn verspürten. Um herauszufinden, ob dem so war und ob die Brüder nicht auch seinen kleinen Bruder Benjamin haßten, testete Yosef die Brüder und offenbarte sich ihnen erst später.

Und warum wußte Yaakov nicht, dass sein Sohn Yosef noch am Leben war und nicht von einem wilden Tier getötet worden war ? Wieso ließ G - tt ihn dies nicht wissen ? Und hätte Yaakov es nicht anhand seiner Fähigkeiten Prophezeihungen auszusprechen selber sehen können ?

Das kabbalistische Buch "Zohar":" beantwortet auch diese Fragen.
Als Yosef nach Ägypten kam, ging die Shechinah (G - ttes Anwesenheit) mit ihm ins Exil. Dadurch verlor Yaakov seine Fähigkeit zu prohezeihen. Er glaubte, dass sein Sohn umgekommen war und verfiel in Depressionen, doch die Schechinah (G - ttes Anwesenheit) bleibt nicht bei jemandem, der depressiv ist. Besonders Rabbi Nachman von Breslov sowie das Buch Tanya der Chassidut Chabad warnen uns vor dem Fall in die Depression. G - tt liebt keine depressiven Menschen und unsere Aufgabe ist es, uns so schnell wie möglich davon zu befreien. Insbesondere aus der religiösen Depression.
Das beste Rezept laut Rabbi Nachman von Breslov ist, sich auf seine guten Taten sowie Eigenschaften zu besinnen und darauf zu bauen. Niemals sollen wir nur die schlechten Punkte in uns ausfindig machen. Und sollte es heute einmal nicht so klappen mit dem perfekten Leben, dann folgt morgen ein neuer Tag.

Die Schechinah ging mit Yosef ins Exil und hieraus lernen wir, dass die Schechinah immer mit uns geht, egal, wo wir uns befinden. Mehrmals in der Thora verspricht G - tt, die Juden niemals allein zu lassen und den Beweis dafür erhalten wir durch Yosef.

"Schabbat Schalom + Chanukkah Sameach"

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen