B"H
Auf meinem Weg durch den haredischen Stadtteil Ge'ulah (Jerusalem) am Dienstag abend wurde ich Zeugin eines Vorfalles, der mir nicht mehr richtig aus dem Kopf ging. In der vielbefahrenen engen Yechezkel Street fiel eine etwa 50 - jährige schwergewichtige Frau hin. Ich befand mich auf der gegenüberliegenden Straßenseite und konnte der Frau nicht helfen, denn der Verkehr war zu dicht und eine Ampel war gerade nicht in Sicht.
Die Frau versuchte sich hochzurappeln, wobei es nur allzu offensichtlich war, dass sie mehr oder weniger hilflos war. Ihre Beine schienen wehzutun vom Fall und das Aufstehen fiel ihr wegen ihres Gewichtes ebenso schwer. Hilflos tastete sie umher und suchte nach einem festen Halt, an dem sie sich hochziehen konnte.
Einen Halt den sie nicht fand.
Neben ihr stand ein auch in die fünfzig Jahre alter Chassid, der auf die umhertastende Frau hinabschaute. Er war perplex und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Es ist nicht gerade an der Tagesordnung, dass ein haredischer Mann eine fremde Frau anfässt. Gewöhnlich gilt dies nur für seine eigene Familie wie Frau und Tochter.
Der Chassid war hin und hergerissen. Einerseits wollte er der Frau aufhelfen, andererseits dachte er nach, was wohl die Umwelt sagen täte. Die Frau tastete und schließlich gelang es ihr, aufzustehen. Der Chassid ging seiner Wege, aber ich denke, dass ihn der Vorfall innerlich bewegte.
Etwas später fragte ich Rabbi Mordechai Machlis um Rat. Was wäre die richtige Reaktion gewesen. Hätte der Chassid nich einen Moment lang seine "Anstandsgedanken" beiseite legen können, um der Frau aufzuhelfen? Immerhin war die Frau ebenso haredisch und kein 20 - jähriges leicht bekleidetes Mädchen.
Rabbi Machlis nannte mir eine Stelle aus dem Talmud Traktat Sotah 21b, welche ebenso im Jerusalemer (Yerushalmi) Talmud Sotah zu finden ist. Dort wird eine Situation beschrieben, in welcher ein relig. Mann einer Frau, die am Ertrinken ist, nicht hilft, weil er keine fremde Frauen berührt. Die Frau kommt um und der Talmud bezeichnet besagten Mann als "Chassid Schoteh - dummer Chassid". Er hätte der Frau selbstverständlich helfen müssen, keine Frage.
Nun ist die Frage, ob diese Hilfeleistung nur im Falle einer Todesgefahr gilt. Hierauf gingen wir nicht ausführlich ein. Rabbi Machlis meinte, dass der Chassid in Ge'ulah der Frau habe helfen sollen. Und überhaupt, meinte der Rabbi zu mir:" Was mache es aus, ob da ein junges halbbekleidetes Mädchen am Boden liegt oder eine haredische Frau ? Verletzt ist verletzt und wir alle sind angehalten zu helfen".
Von kleinauf lernen Haredim (Ultra - Orthodoxe) all die Anstandsregeln. Ab einem gewissen Alter spielen Jungen nicht mehr mit Mädels, es sein denn, es handelt sich um die eigenen Geschwister. Anfassen ist verboten, es sei denn, man ist verheiratet oder halt die Mutter oder der Vater. Niemand wagt es, sich öffentlich gegen diese Halacha zu stellen, denn jede Gegenreaktion in der haredischen Gesellschaft kann leicht zur Ausgrenzung führen und wer will schon sein Leben ruinieren, wenn da plötzlich die Kinder, die Frau oder man selbst schief angesehen wird. Sprich zum "Outlaw" wird.
All dies ging dem Chassid in der Yechezkel Street sicher durch den Kopf und es ist nur allzu schade, dass er es nicht wagte, über seinen eigenen Schatten zu springen. Nach wie vor finde ich es sehr traurig, dass wenn da jemand verletzt nach Hilfe sucht, zuerst der Unterschied des Geschlechts eine Rolle spielt.
Freitag, Januar 02, 2009
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