Donnerstag, Juli 08, 2010

Parashat Mattot - Maasei


Gesehen in Jerusalem

Photo: Miriam Woelke


B"H

Die Thoralesung für diesen Shabbat


Parashat Mattot

Die Parashat Mattot wird in jedem Jahr innerhalb jener drei Wochen (Bejn HaMitzrim) gelesen, welche dem Tisha Be'Av (dem Gedenktag an die Zerstörung beider Tempel) vorausgehen. Am Sonntag abend (11. Juli + Montag (12. Juli) beginnt der neue jüdische Monat "Menachem Av". Zusammen mit dem Rosh Chodesh geginnen die neun Tage vor dem 9. Av, welche von absoluter Trauer um die beiden Tempelzerstörungen geprägt sind. Ferner gelten für eben jene neun Tage separate Halachot wie kein Fleisch essen oder keinen Wein trinken, außer am Schabbat innerhalb dieser neun Tage. Der Schabbat nimmt fast immer eine Sonderrolle ein, denn dann ist jegliche Trauer verboten und man soll den Schabbat mit Freude begehen.

Zu all den Halachot an den drei Wochen vor dem Trauertag 9. Av nehme ich in der nächsten Woche ausführlicher Stellung !

Die beiden an diesem Schabbat anstehenden Thoralesungen Mattot sowie Ma'asei werden in einigen Jahren zusammengelesen, in anderen dagegen getrennt. In Parashat Mattot nehmen die Schwüre zu G - tt ein breites Spektrum ein und jeder von uns sollte sich bewußt sein, dass schon die kleinsten Schwüre Auswirkungen haben können. Viele Male sagen wir etwas im Unbewußten, aus Ärger oder überschwenglicher Freude. "Ja, ich gehe ab heute mehrere Male in der Woche in die Synagoge oder lerne daheim Thora. Das schwöre ich bei G - tt".
Kurz darauf vergesse ich mein Versprechen oder beginne mein Vorhaben zu verschieben. Das halachische Problem jedoch ist, dass in der Tat eine Art Schwur bzw. Versprechen stattgefunden hat und ich verpflichtet bin, wenn ich nichts annulliere. Wir vergessen es, G - tt nicht.

Ich bin wahrlich kein halachischer Experte auf dem Gebiet des Eides in G - ttes Namen und wer sich damit näher beschäftigen will, der kann den Talmud Traktat Nedarim lernen. Kein leichtes Unterfangen übrigens. Vielmehr möchte ich meine Erklärungen darauf richten, was solch ein Schwur in G - ttes Namen bewirkt. Die besten Ausführungen dazu fand ich bei chassidischen Rabbinern.

Zuerst einmal stellt sich die Frage, warum jemand einen solchen Schwur in G - ttes Namen ablegen will. Überwiegend handelt es sich dabei um Themen wie, dies und das nicht mehr zu essen oder eine bestimmte Handlung nicht mehr zu begehen. Aber kann ich das nicht auch ohne Schwur sowie ohne Benutzung von G - ttes Namen tun ?

Sicherlich ja, doch sind u.a. der Sefat Emet und der Koznitzer Maggid (Rabbi Israel Hofstein) der Meinung, dass die Ablegung eines Eides unter G - ttes Namen der Person mehr Motivation gibt, den Schwur auch einzuhalten. Theoretisch kann sich ein jeder die intensivere Einhaltung der Mitzwot selber auferlegen und diese Art der Verpflichtung kann denjenigen auf einen höheren Level befördern. Bedeutet, dass sobald ich eine spezifische Verpflichtung (den Schwur) eingehe, muss ich das halten und somit bin ich angespornt. Doch nicht jeder Mensch hält dem Stand und sehr schnell kann der Schuss nach hinten, sprich in den Verdruss, losgehen.

Außerdem verbindet solch ein Schwur die Seele (Nefesch, niedrigster Seelenlevel) mit G - tt (Rabbi Moshe Alschich). Andererseits sollte sich jeder im Klaren darüber sein, was solche ein Schwur für Folgen haben kann und nicht jeder verfügt über das wirkliche Verständnis (kabbalistisch: Bina) hierzu. G - tt will nicht, dass jeder so einfach in Seinem Namen schwört. Man muß nicht unbedingt Seinen Namen benutzen, um Ihm näher zu kommen (Devekut anstreben), sondern kann dies auch anhand vom Thorastudium erreichen (Midrash Rabbah). Ein Beweis dafür bieten der Chassidismus sowie die Kabbalah wo es heißt, dass die gesamte Thora nur ein einziger Name G - ttes darstellt.

Vor allem der Sefat Emet (ein früherer Rebbe der Chassidut Gur) geht sehr ausführlich auf das Thema Schwur (Neder) ein. Eine Person sollte nur einen Schwur in G - ttes Namen ablegen, wenn er sich auf einem hohen religiösen Level befindet. Vornehmlich ein Zaddik (Gerechter). Der Schwörende hat die Absicht, G - tt näher zu kommen und vor allem sich selbst zu perfektionieren und nur noch den Willen G - ttes zu tun. Aber nicht jeder von uns ist ein Zaddik und kaum jemand ist ein Spezialist für solche Schwüre. Sich einfach so Dinge aufzuerlegen, davor warnt auch Rabbi Zadok HaCohen von Lublin.

Die nächste Frage ist, warum ausgerechnet der Vater oder der Ehemann einer Frau die Macht haben, ihren Schwur (soweit er diesen bekannt ist) zu anullieren. Hierzu kommentiert Rabbi Samson Raphael Hirsch, dass ein Schwur nur auf sich genommen werden soll, wenn dieser keine negativen Auswirkungen auf das Umfeld mit sich bringt. Aufgrund eines Schwures kann jemand sein Leben sehr bitter machen und sich jegliche Lebenslust nehmen. Niemals sollte soetwas spontan und ohne Überlegung getan werden.

Auch Rabbi Naftali Zvi Horowitz von Ropshitz sagt etwas Ähnliches. Durch einen Schwur ist die Seele eingeschränkt und es wird uns eine Portion Freiheit genommen. Von daher also vorsicht mit solchen Schwüren. Jeder sollte auf seinem Level bleiben und sich nicht übermäßig viel selbst auferlegen ! Wer unbedingt etwas tun will, der beginne mit dem Thorastudium bevor er sich auf Höheres konzentriert.

Der Ishbitzer Rebbe, Rabbi Mordechai Yosef Leiner, fragt, warum die beiden Parashot Mattot - Ma'asei oftmals zusammen gelesen werden. Eine seiner Erklärungen lautet, dass die erste Parasha uns von Schwüren erzählt und die zweite beschreibt die 42 Stationen der Israeliten in der Wueste. An jedem Ort haben wir eine bestimmte Lebensaufgabe und wir sollten immer vorsichtig sein, uns nicht von negativen äußerlichen Einwirkungen beeinflußen zu lassen. Genauso ist es mit den Schwüren, denn wir sollten die gleiche Vorsicht walten lassen.



Parashat Maasei


"Dies sind die Stationen der Kinder Israels, welche unter der Führung von Moshe und Aharon aus dem Land Ägypten kamen".

Das Wort "Stationen" findet man in der englischen Übersetzung mit dem Wort "Reisen". Ich jedoch lege mich auf das Wort "Stationen" fest, da eben dies im Deutschen besser klingt und insgesamt den gleichen von der Thora beabsichtigten Sinn ergibt.

Nach dieser extrem kurzen Einleitung werden uns sogleich die 42 Stationen der Israeliten nach ihrem Auszuge aus Ägypten aufgelistet. Diese Auflistung geschieht nicht zum ersten Mal, denn sobald die Israeliten von einem Ort zum anderen zogen, berichtet uns die Thora davon. Warum also wird in der Parashat Maasei nochmals alles zusammen aufgelistet ?
Der Schüler des Baal Shem Tov, Rabbi Yaakov Yosef von Polonoye (Polna), vergleicht die Liste der Stationen mit Avraham. In der Parashat Lech Lecha befahl G - tt dem Avraham in ein anderes Ihm auserwähltes Land zu gehen. Lech Lecha heißt wörtlich übersetzt: "Geh zu dir selbst. Suche deinen eigenen Weg und deine Lebensaufgabe".
Der Baal Shem Tov selber sah die 42 Stationen in der Wüste genauso als unsere privaten Lebensstationen von der Geburt bis zum Tod. Symbolisch vergleicht er die Auszug aus Ägypten mit dem der "Auszug des Neugeborenen aus dem Mutterleib". Hinterher reist jeder Mensch in seinem Leben von Station zu Station.

Die 42 Stationen sind somit auch unsere Lebensstationen. Auch wir bewegen uns in unserem Leben von Level zu Level und bleiben nie irgendwo stehen. Es gibt immer Ups and Downs, die wir bewältigen müssen. Unser Endziel sollte sein, sich weitgehend vom Materialismus etwas loszusagen und sich auf mehr Spiritualität zu konzentrieren. Wir haben die Macht, unseren Level selbst zu bestimmen, indem wir richtige oder falsche Entscheidungen treffen. G - tt stattete uns mit einem eigenen Willen aus und wir sollten am besten wissen, wie diesen Willen einsetzen.

Der berühmte Thorakommentator Ohr HaChaim unterteilt die Stationen der Israeliten in zwei verschiedene Kategorien ein: Die erste davon sind die Stationen, welche die Israeliten im ersten Jahr vor dem g – ttlichen Urteil (nach dem Vergehen der Spione) durchliefen. Die zweite Kategorie sind demzufolge die Stationen, welche die Israeliten nach dem g – tlichen Urteil noch weitere Jahre durch die Wüste gehen müssen, durchliefen.

In der Kabbalah gelten die 40 Jahre der Wüstenwanderung als eine Art Reinigungsprozeß der Seele (Neshama). Jede einzelne Station sollte symbolisch ein inneres Wachstum darstellen. Der Weg zur eigenen Perfektion im Handeln, Glauben sowie der Spiritualität. Wer will, der kann die Wüste als riesige Mikweh (Ritualbad) betrachten, aus der man Tahor (rein) hervorkommt und somit ins Land Israel geführt wird.

Die Midrash Rabbah nennt einen weiteren Grund, warum Parashat Maasei eine Liste der einzelnen Stationen aufführt. Niemals soll vergessen werden, welche Wunder G – tt für uns vollbracht hat. Vom eigentlichen Auszug aus Ägypten bis hin zum Manna, dem Brunnen Miriams oder den Wundern des Mischkans (Tabernakels).

Ursprünglich hatte G – tt geplant, die Israeliten nach der Gabe der Thora an sie sofort nach Israel zu führen. Doch dies schlug fehl, denn einige von ihnen entschieden sich, ein Goldenes Kalb anzubeten. Alles aus war dann nach der Rückkehr der Spione und dem einsetzenden Jammern vieler Anwesender. Man begann an G – tt zu zweifeln und trotz all der Wunder fand alles ein klägliches abruptes Ende. Die Generation mußte ausgewechselt werden und eine neue entstand innerhalb der vierzig Jahre. Die Kabbalah sieht einen Zusammenhang zwischen der Generation Noachs, jener des Turmes von Babylon, jener von Sodom und jener Generation, welche durch die Wüste wanderte. Alle haben dieselben Seelenwurzeln und wurden in jeder hier genannten Generation neu reinkarniert, um sich endlich zu perfektionieren. Und immer wieder schlug alles fehl, weil die Betroffenen ihren freien Willen zu Negativem benutzten. Und immer wieder wurde weiter reinkarniert, damit die Generation sich eines Besseren besinnt und so die eigene Seele perfektioniert.

Wie perfektionieren ?
Anhand der Einhaltung von Thoramitzwot erreiche ich eine allmähliche Perfektion, die mich immer näher an G – tt heranführt (Devekut). Genauso zu diesem Zweck wurden wir ursprünglich erschaffen, selbst wenn wir dies heute vor lauter Moderne nicht mehr sehen wollen bzw. nur allzu schnell und gerne vergessen.
Die 42 Wüstenstationen sind keine nette antike Story, sondern wie die Israeliten damals, durchlaufen wir dieselben Stationen in unserem Leben. Unser Weg zur Perfektion und danach oder sogar vorher soll Meshiach kommen. Vielleicht sollten wir aus den Fehlern der Israeliten lernen …..


Parashat Maasei ist zugleich die letzte Lesung aus dem Buch Numeri (Sefer BaMidbar) und am kommenden Schabbat beginnen wir in den Synagogen mit dem Sefer Devarim (Deuteronomy) !

Soweit die allgemeinen Erläuterungen zu den beiden Thoralesungen an diesem anstehenden Schabbat. Einige Kommentare möchte ich allerdings noch hinzufügen:


Rabbi Zadok HaCohen von Lublin:
Die beiden Thoralesungen werden stets an den "Bejn HaMitzrim", den drei Wochen vor dem Tisha be'Av gelesen. Anhand der Parasha - Inhaltes sollen wir in uns gehen und versuchen, uns zu perfektionieren. Niemals sollten wir aus den Augen verlieren, dass G - tt über alles wacht und Er uns sozusagen erst mit viel Positivem belohnt und falls wir Seinen Mitzwot nicht folgen, unser Leben schnell in Tragik übergehen kann. Siehe die Juden in der Vergangenheit als beide Tempel (einmal von den Babylonier und dann von den Römern) zerstört wurden. Mit unseren Mitzwot sollen wir unseren eigenen Tempel (Beit HaMikdash) bauen und wenn uns dies nicht gelingt und wir in unserem Leben G - tt auslassen, dann ist dies so als haben wir Juden einen weiteren Tempel zerstört.


Der Maggid von Mezritch (Nachfolger des Baal Shem Tov):
An jedem Ort, auf dem wir uns auf Erden befinden, haben wir eine bestimmte Aufgabe. Wer, z.B., oft die Wohnung oder gleich den Wohnort (Stadt oder Dorf) wechselt, der tut dies nicht nur aus persönlichen Belangen, sondern G - tt bestimmte dies in seinem Leben so vor. An jedem Ort wartet eine spezielle Aufgabe, die derjenige nicht unbedingt kennt, doch sie erfüllen sollte. Und sei es nur einer Nachbarin kurz helfen. Es gibt nichts auf der Welt, was umsonst oder zufällig geschieht, so die Botschaft des Judentums.
Rabbi Dov Baer Friedman von Mezritch sagte, dass jeder Ort sowie jede dort wartende Aufgabe einen Seelentikun (Seelenkorrektur) für uns darstellt. Wir bemerken es kaum, doch mit jeder positiven Tat sammeln wir in gewisser Weise Punkte. Andererseits erfährt aber genauso der Ort seine Seelenkorrektur.


Rabbi Avraham Yitzchak HaCohen Kook (der erste Oberrabbiner von Palästina, verstorben im Jahre 1936):

Ich bin ein grosser Fan des Buches "Orot - Lichter" von Rabbi
Araham Yitzchak Kook. Wer kann, der sollte unbedingt eine der englischen Ausgaben lesen. Hier ein kleiner Auszug aus OROT zum Thema: 

Sobald ein Jude sein Thorastudium erweitert und somit mehr Mitzwot einhält, verstärkt er seinen individuellen Bund zum jüdischen Volke und fühlt in sich selbst die "kollektive Seele", welche das Volk Israel (die Juden) verbindet.

Rabbi Kook beschrieb unaufhörlich die Verbundenheit der Juden mit ihrem Land Israel. Die spezielle Luft, die wir nirgendwo finden, außer im Heiligen Land. Niemals sollten Diasporajuden ihre Sehnsucht nach Israel verlieren und niemals sollten sie aufhören, sich in der Diaspora als Fremde zu fühlen. Als dortige Fremde mit nur einer wahren Heimat: Israel.

Rabbi Nachman von Breslov:
Seit der Zweiten Tempelzerstörung wartet G - tt darauf, dass wir Juden zu Ihm zurückkehren und somit der Dritte Tempel (wie in Yechezkel prophezeiht) gebaut werden wird. Innerhalb der drei Wochen vor dem Tisha be'Av sollten wir um Mitternacht aufstehen und spezielle Tehillim (Psalmen), oder anders genannt, einen "Tikun Chatzot - Seelenkorrektur um Mitternacht" beten. Theoretisch könnte in uns eine Seele reinkarniert sein, welche zu Tempelzeiten in einerm Juden steckte, aufgrunddessen Vergehen der Tempel zerstört worden war. All das gilt es zu reparieren.

Auch Rabbi Avraham Yitzchak HaCohen Kook ging auf diesen Brauch des "Tikun Chatzot" ein. Nebenbei gesagt: Wer sich in der chassidischen Gruppe Breslov etwas besser auskennt, der weiss um die Prägnanz, welche dieser Tikun verschieder Psalmen innerhalb der Gruppe einnimmt.

In Pslam 119:62 lautet es:
"Um Mitternacht werde ich aufstehen und Dir danken".

Schon König David praktizierte diesen Brauch und kreierte dabei unzählige seiner Psalmen. Spätere Kabbalisten wie Rabbi Yitzchak Luria übernahmen den Brauch und beteten um Mitternacht Psalmen.

Allein an diesen beiden Thoralesungen vor dem Tisha be'Av sehen wir, wie breitgestreut jüdische Konzepte liegen. Nur - die Panik sollte einen nicht gleich erfassen !

Schabbat Schalom und einen erfolgreichen und gesunden Monat Menachem Av.

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