Freitag, Oktober 24, 2008

Aus weiblicher Sicht: Sukkot in Mea Shearim

B"H

Einiges habe ich schon von den Vorgängen im ultra - orthodoxen Mea Shearim an den letzten Sukkotfeiertagen berichtet. Zusätzlich gibt es jedoch noch mehrere Infos, die ich an dieser Stelle einmal ansammeln will. Darüber hinaus habe ich einige delikate Einzelheiten von den Chassidim selber erhalten und das israelische Online - Magazin YNET hatte auch schon seine Berichterstattungsfühler ausgestreckt. Hier jedoch erst einmal ein persönlicher Erfahrungsbericht einer "weiblichen" Person, nämlich von mir. Weiblich betone ich deswegen, weil es gerade zu Sukkot in Mea Shearim so manche unfreiwillige Geschlechtereinschränkung gab.

Ich bin es gewohnt, anderen hingegen kommt es total fundamentalistisch bzw. sogar absurd vor. Da werden einige Straßen in ultra - orthodoxen Stadtteilen einfach nach Männlein und Weiblein getrennt. Die Mea Shearim Hauptstraße, die Gegend um die Synagoge der extremen chassidischen Gruppe Toldot Aharon, aber auch die nähere Umgebung der Beit Midrasch der Satmarer Chassidim mit einem der zwei Satmarer Rebben, Rabbi Zalman Leib Teitelbaum, dessen Beit Midrasch in Yoel Street steht (gegenüber Karlin - Stolin).

Wer seinen Weg zu den chassidischen Tischen bei dem Rebben der Toldot Aharon, ganz unten in der Mea Shearim Street, begann, den traf folgendes Bild: Die zwei Fraueneingänge der Synagoge waren unterteilt in einen Eingang und in einen Ausgang. Heißt, im hinteren Teil des Gebäudes ging man hinein, im vorderen Teil kam man wieder heraus. Schon auf der Eingangstreppe kam es zum Stau. Unzählige Besucher verlangten nach Einlaß; Toldot Aharon Frauen, litvisch - haredische Frauen, Nationalrelig. oder chassidische Frauen anderer Gruppen. Alles rannte im wahrsten Sinne des Wortes den Toldot Aharon die Bude ein. Aus dem Gebäude selber klang lebhafte chassidische Musik, welche von der hauseigenen Band gespielt wurde. Wer die Musik draußen hörte, der wollte nur noch hinein, um sich das Spektakel der tanzenden Männer im Erdgeschoß anzuschauen.

Oben angekommen, kam es zu weiteren Staus im endlos langen Korridor der Synagoge. Zwei junge Mädels eines privaten Wachunternehmens, gekleidet in knallgelben Westen, sorgten für Ordnung und wer in die zwei großen Räume der Frauenempore trat, der sah nur ein Bild: Frauenbeine auf den riesigen Metallgestellen. Alles queschte sich dort zusammen und jeder zog sich irgendwie an den Metallstäben hoch, um ins Erdgeschoß blicken zu können. Ein Rockkonzert ist dagegen gar nichts und das letzte Mal sah ich diese Euphorie beim Tisch des Satmarer Rebben Aharon Teitelbaum in Jerusalem (im Aug. 2007). Manchmal hatte man das Gefühl, dass die Gestelle jetzt bald zusammenkrachen. Stattdessen aber hingen sich immer mehr Frauen daran; manchmal sogar erfolgreich. Ein einziges Mal sah ich etwas ohne irgendwo zu hängen, und bei den zwei weiteren Malen kam ich hinein und ging durch die andere Tür gleich wieder hinaus. Null Chancen auf Sicht.

Ging man rechts in die Mea Shearim Street, so hielten sich die Frauen auf der linken Seite. Auf der Straße gingen die Männer und auf dem linken schmalen Gehsteig befanden sich die Frauen. Alles viel zu eng und richtig heikel wurde es immer dann, wenn eine Frau mit Kinderwagen kam. Nicht zu erwähnen die doppelte Kinderkarre für Zwillinge. Das wars dann und der Stau war perfekt. YNET schrieb, dass jeden Sukkotabend 15.000 Besucher nach Mea Shearim strömten und zu den chassidischen Tischen drangen.

Gleich vorne an der Breslover Synagoge ging nichts mehr. Die Frauen liefen hinter einer weißen Plastikplane entlang, damit auch bloß kein Mann sie sehen konnte. Dann aber tauchte das Problem der Straßenüberquerung auf. Was, wenn ich oder ein Mann die Straße in die entgegengesetzte Richtung überqueren wollte ? Was dann ?
Um in die Querstraße an der Breslover Synagoge und in den Mea Shearim Markt zu gelangen, gingen die Männer über eine eigens aufgestellte Holzbrücke. Die Frauen gingen unten durch. Wie jedoch sollte Frau in die Straße zum Markt gelangen ? Davor standen Absperrgitter mit privaten Wächtern und wer auf alles keine Lust verspürte, dem blieb nichts anderes übrig als die Mea Shearim Street bis zum hinteren Teil des Markteinganges zu entlangzulaufen und so in den Markt zu gelangen. Am Ende nämlich war alles offen und nicht mehr nach Geschlechtern getrennt. Eine chaotische Situation, denn einerseits waren alle getrennt und woanders trafen die Geschlechter wieder aufeinander. Wozu also das Chaos und die Brücke ?

Und hier beginnen die Spekulationen, Fakten oder was auch immer sich jemand vorstellt. Inoffiziell war zu hören, dass die Toldot Aharon (ggf. zusammen mit den extremen Mishkenot HaRoim) die Geschlechtertrennung organisierten. Dafür spricht, dass ich einzelne Toldot Aharon Chassidim sah, wie sie den privaten Anstandswachleuten halfen und sogar den Autoverkehr regelten.

Inoffiziell ist zu hören, dass das gesamte Chaos nur dazu dienen sollte, den Besuchern den Zugang zum Mea Shearim Markt so schwer wie möglich zu machen. Warum ? Weil sich dort die große Konkurrenz, die Abspaltung der Toldot Aharon, die Toldot Avraham Yitzchak, befinden. Der Rebbe der Avraham Yitzchak, Rabbi Shmuel Yaakov Kahn, ist der ältere Bruder des derzeitigen Toldot Aharon Rebben David Kahn. Die Beziehung der beiden Brüder zueinander sowie der Mitglieder ist schwer zu beschreiben. Einerseits macht man öffentlich auf Freundschaft, andererseits hingegen gibt es nicht selten Dispute. Und so auch wieder einmal an diesem Sukkot.

Ein Chassid ließ mir von einem anderen Chassid ausrichten, dass der aktuelle Kampf der beiden Gruppen aufgrund des Essens entstand. Der Toldot Aharon Rebbe wollte an die Besucher nur reguläre Kost ausgeben und keine Fleischsuppe (Cholent). Der Avraham Yitzchak Rebbe jedoch plante das Gegenteil. Was ist richtig und wer hetzt gegen wen ?

Außerdem krachte es einmal wieder erneut im Gebälk zwischen der Neturei Karta und den Toldot Aharon. Den Grund habe ich noch nicht ganz herausfinden können, doch brodelt es zwischen den beiden Gruppierungen schon lange. Weiterhin wurden die Toldot Aharon beschuldigt, einige Yeshivastudenten verprügelt zu haben.

Die säkulere Presse und anderweitige Außenstehende betrachten solcherlei Vorfälle jedesmal als gefundenes Fressen. Den betroffenen Chassidim hingegen ist das egal, denn hier geht es um die eigene Machtstellung und die Machtposition des Rebben. Allerdings bleibt immer die Frage, inwieweit die jeweiligen Rebben was veranlassen und ob die Chassidim nicht vieles selbst unternehmen. Wer kann das noch im Eifer des Gefechtes überschauen ? Und wer hetzt da wen gegen wen ?

Was mich immer interessiert ist, wie sich die Frauen dabei fühlen. Da kommt man in eine Straße, in welcher fast in der Mitte ein Metallgitter bezogen mit einer weißen Plastikplane prangt. Solche Bilder kennen wir bestenfalls aus dem Iran oder aus Afghanistan, aber aus dem modernen Israel ?

Zu Anfang nervte mich der Einfallsreichtum total. Wer denkt sich bloß solche idiotischen Sachen aus ? Wer kann sich überhaupt soetwas ausdenken ?

Irgendwann gewöhnte ich mich an die Absperrungen. Auch, weil ich dort nicht wohne und das nicht unentwegt an den Sukkotfeiertagen mitmachen mußte. Außerdem findet diese extreme Art der Geschlechtertrennung nur einmal im Jahr, nämlich an Sukkot, statt. Ich traf auf Frauen, die das Ganze für absurd hielten und ebenso vernahm ich Stimmen, die das alles begrüßten. Endlich einmal ist Frau unter sich und setzt sich keinen ständigen Männerblicken aus. Beides hat so seine Vort - u. Nachteile. Ehepaare zeigten sich manchmal recht genervt, wenn sie getrennt wurden und sehr viele männliche Chassidim betrachteten die Geschlechtertrennung ebenso als viel zu weit hergeholt. Aber was will man machen, wenn Toldot Aharon dasteht und alles regelt. Wem es nicht passt, der braucht ja nicht zu kommen. Und wer kommt, der hat sich gefälligst an die Spielregeln zu halten.

Chaotisch wurde es für mich als ich die Hauptstraße überqueren wollte, um in die Synagoge der Mishkenot HaRoim zu gelangen. Vor der Synagoge hatten nur Männer Zutritt, aber im Fraueneingang befanden sich Frauen. Wie waren die nur dahin gekommen ? Ich sprach mit einem der privaten Wachposten und der ließ mich schnell passieren. Ich rannte über die Straße, inmitten der Männer hindurch, und kam in die Synagoge. Eine Frau zog gerade ihren Kinderwagen die Treppe hinauf und grinste mich an, dass ich es doch tatsächlich geschafft hatte.

Geschlechtertrennung hin oder her - ich habe mich längst an vieles gewöhnt oder besser gewöhnen müssen. Als Frau kann ich mich nicht so bewegen wie ein Mann. Beim chassidischen Tisch stehe ich auf der Hinterbank im Obergeschoß und sehe den Rebben und die Chassidim bestenfalls durch eine Glasscheibe. Frauen spielen nur die zweite Geige und bekommen bei einem Mea Shearim Tisch nichts vom Essen des Rebben ab. Wer Glück hat, der bekommt Kuchen bei Kretchnif in der Yoel Street, aber sonst läuft gar nichts. Bei den Toldot Aharon werden die Frauen sogar gebeten, den Tisch mindestens 15 Minuten (besser 30 Minuten) vor dem offiziellen Ende zu verlassen und heimzugehen. Rebbe David Kahn erließ diese Anordnung, denn es soll verhindert werden, dass sich bei einem gemeinsamen Strömen aus der Synagoge die Geschlechter unnötig in den umliegenden Straßen tummeln.

Für jemanden, der noch nie mit diversen chassidischen Strömungen zu tun hatte, mag dies frauenfeindlich erscheinen. Wer oft mit den Chassidim zu tun hat, wundert sich über fast gar nichts mehr und gewöhnt sich daran. Wer meint, er müsse rebellieren, wird auf taube Ohren stoßen, denn nichts wird die haredische Gesellschaft ändern. Und falls doch, erfolgen die Innovationen Schritt für Schritt und sehr langsam; und nicht, weil ich jetzt etwas unternehmen will.

Auch zum nächsten Tisch werde ich mich wieder anständig anziehen und mich ebenso anständig benehmen. Alles ist Gewöhnungssache und nicht jede chassidische Familie benimmt sich daheim so extrem. In den eigenen vier Wänden wird das Leben zur Privatsache und nichts geht den Nachbarn mehr etwas an !

2 Kommentare:

  1. Wir waren an einem Abend bei Karlin - Stolin. Ja, es hatte viele Menschen.

    Unsere Männer haben getanzt und wir haben zugeschaut.
    Und ich habs genossen.

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  2. B"H

    Da hattest Du Glueck, etwas gesehen zu haben. Ich kam zu den Karlinern und der Stau der wartenden Frauen zog sich bis hin auf die Yoel Street. Einfach unglaublich, wenn man von dort den Weg auf die Frauenempore bedenkt.

    Allerdings sieht man mehr, wenn die Maenner alles draussen vor der Synagoge abziehen und man sich nicht irgendwo hineinquetschen muss.:-)

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