Die Thoralesung der vergangenen Woche (Beha'alotcha) endete damit, dass Miriam aussätzig und sie aufgrunddessen aus dem Lager entfernt wurde. Nach ihrer Heilung kam sie wieder zurück. Miriam hatte den Aussatz als eine Strafe G - ttes erhalten, da sie gegenüber ihrem Bruder Aharon Moshe kritisierte. Dieses Ereignis soll die Menschen lehren, ihre Zunge im Zaum zu halten und keine Laschon HaRah (üble Nachrede) zu sprechen.
Aber sprach Miriam tatsächlich Laschon HaRah über ihren Bruder ? Nein, sie tat es nicht, doch wäre der optimale Adressat ihrer Kritik nicht Aharon, sondern Moshe selbst gewesen. Zu ihm hätte sie gehen und mit ihm sprechen sollen, und keine Dritten (in dem Falle Aharon) einschalten sollen.
Parashat Shlach beginnt damit, dass Moshe Spione in das Land Canaan sendet. Der Kommentator Raschi stellt die berechtigte Frage, warum gerade die Erzählung von den Spionen auf die Story der Miriam folgt. Seine Antwort lautet, dass die vorherige Parasha mit Laschon HaRah (übler Nachrede) endete und die Israeliten anscheinend nichts aus der Strafe Miriams gelernt haben, denn die Laschon HaRah wurde fortgesetzt.
Die Parasha beginnt mit den Worten G - ttes, der zu Moshe sagt, dass er Spione in das Land Canaan schicken soll. Allerdings müssen wir an dieser Stelle genau auf die hebräische Wortwahl achten:
G - tt sagt: "Shlach Lecha - Sende Dir”.
Hierzu kommentieren Raschi sowie auch der Ramban (Nachmanides), dass G - tt Moshe nicht aufgetragen hat, die Spione zu senden, sondern dass Moshe die freie Wahl hatte es zu tun oder zu lassen. Woraus erkennen wir diese Schlussfolgerung der beiden Kommentatoren ? Aus der Wortwahl G – ttes “Shlach LECHA – Sende DIR !”
Ursprünglich hatte Moshe G - tt darum gebeten, denn wieder einmal beschwerten sich die Israeliten hatten sich bei Moshe. Sie wollten selbst herausfinden, in welches Land sie da jetzt eigentlich gehen und so fragte Moshe G - tt um Rat, was er machen solle. G - tt hingegen zeigte sich nicht besonders begeistert von der Idee, wußte Er doch um die Folgen. Außerdem sah Er einen weiteren Vertrauensbruch. Hatte Er nicht den Israeliten oft genug gesagt, dass es sich um ein Land handelt, wo Milch und Honig fließt ? Stattdessen aber haderten sie ständig mit sich selbst und mit Ihm. Nach all den Wundern, die Er für sie vollbracht hatte, glaubten sie immer noch nichts und nörgelten. Siehe dazu, u.a., den Thorakommentar des Ramban.
Was eigentlich war die Logik der Israeliten ? Stellte sich das Land als gut heraus, ziehen sie weiter, nehmen es ein und siedeln sich an. Und was, wenn sich das Land als schlecht heraustellte ? Was dann ? Umkehren nach Ägypten, in der Wüste bleiben oder doch einfach weitermarschieren und man werde dann schon sehen ?
Moshe entschloß sich, 12 Spione nach Israel auszusenden. Ein Oberhaupt von jedem Stamm.
40 Tage lang waren die Spione in Canaan unterwegs. Besonders auffallen taten sie nicht, handelte es sich doch für sie um eine Art Geheimmission. Die einheimische Bevölkerung sollte keinen Verdacht schöpfen.
Calev war der einzige, der nach Hebron ging, um am Grab der Vorväter zu beten. Auch dies ergibt sich aus dem hebräischen Originaltext, wo es heißt, dass sie in die Gegend Hebron hinaufstiegen, doch nur einer nach Hebron selbst ging. Im Text ersehen wir dieses aus den zwei Verben, wovon eines im Plural und eines im Singular steht.
Im Buch "Likutei Torah" (sowie im ARIZAL – Buch “Torat Natan – Shorashe’i Neshamot – Die Wurzeln der Seelen) sieht der große Kabbalist, Rabbi Yitzchak Luria - der ARIZAL, Calev als Reinkarnarion des ehemaligen Diener Avrahams: Eliezer. Ursprünglich handelte es sich bei Avrahams Diener Eliezer um eine Canaaniter, doch folgte er Avraham auf dessen religiösen Wegen und sagte dem, damals so üblichen, Götzendienst ab.
Das Ergebnis kennen wir. Die Spione kamen zurück und redeten nur schlecht über das zukünftige Gelobte Land. Gleich darauf wurden die Israeliten von G - tt bestraft und viele andere Israeliten starben in einer Plage. Zugleich erließ G - tt, dass sie nicht sofort in das Gelobte Land ziehen, sondern 40 Jahre in der Wüste umherwandern müssen, damit die Generation der Rebellen sterbe. Erst die nachfolgende Generation wurde in das Gelobte Land geführt.
Die Gemara im Talmud Traktat Sotah 34b lehrt, dass schon allein der Wunsch nach Spionen aus bösen Absichten heraus ausgesprochen wurde. Laut dem Maharal sowie dem Chidushei HaRim hatten die Israeliten Angst vor einer ungewissen Zukunft. Statt auf G - tt zu vertrauen, sahen sie sich allein und verlassen. In der Wüste hatten sie alles, was sie zum Leben brauchten: Kleidung und das Manna.
G - ttes Plan war es, sie sofort nach Israel zu führen, doch die Israeliten wären gerne in der Wüste geblieben. Wer will schon gerne einschneidende Veränderungen in seinem Leben, wenn es einem gutgeht ? Sie waren nicht bereit, ihr bequemes Wüstenleben gegen ein anderes einzutauschen. Sobald sie in Israel ankämen, wären sie auf sich gestellt und müssten allein für ihren Lebensunterhalt aufkommen.
Die Gemara in den Talmud Traktaten Sotah 35a und Taanit 29a lehrt uns, dass die Spione am Abend des 8. des judischen Monats Av (Juli - August) zurückkamen. Sofort gab es eine Versammlung und die Spione erzählten von ihren Eindrücken. Das Land Canaan wäre eine einzige Katastrophe. Es gebe zwar genügend Nahrung und es sei ein sehr fruchtbares gutes Land, aber die Bevölkerung dort sei militärisch zu überlegen. Auch gäbe es die drei Riesen bei Hebron und gegenüber denen hätten sie sich wie Grashüpfer gefühlt.
Im Grunde genommen beantworteten die Spione nur die Fragen Moshes, doch ihr Vergehen war, dass sie selbständig Kommentare hinzufügten. Alles wurde übertrieben dargestellt und somit machten sie den Zuhörern Angst (u.a. Rabbi Samson Raphael Hirsch).
Das Resultat war, dass die Israeliten keine Lust mehr hatten, dass Land für sich einzunehmen und sie begannen zu jammern. Da halfen auch die Einwände Yehoshuas und Calevs nichts mehr. Die Menschen weinten die ganze Nacht bis hin zum kommenden Tag, dem 9. Av (Gemara in Sotah 35a).
Wiederum gab es das Vergehen der Laschon HaRah (üble Nachrede). Die Spione hatten nicht nur eine G - tteslästerung begangen, indem sie Seine Entscheidungen in Frage stellten, sondern sie sprachen Laschon Harah über das Gelobte Land und über die Israeliten selbst. "In den Augen der Riesen waren wir wie Grashüpfer." Nicht, dass die Riesen sie gesehen und so gedacht hätten. Nein, eher haben sich die Spione (außer Yehoshua und Calev) selbst so gefühlt. Auf G - ttes Hilfe wollten sie nicht vertrauen.
Die Thora und die Halacha (jüd. Gesetz) verbieten uns, Laschon HaRah zu sprechen. Nicht alles fällt unter diese Regel, denn es gibt Dinge im Leben, die ausgesprochen werden müssen.
Allerdings gibt es nicht nur Laschon HaRah über andere, sondern es ist uns ebenso verboten, Laschon HaRah über uns selbst zu reden. Sobald wir dieses tun, ziehen wir uns in ein spirituelles Loch, in dem wir allen Mut verlieren und aufgeben. Genauso sahen sich die Spione als sie sich als Grashüpfer bezeichneten. Egal, wie unmöglich oder gefährlich die Dinge erscheinen, wir sollten uns nicht kleiner machen als wir sind und vor allem nicht aufgeben.
G - tt war so "ärgerlich" über den Vorfall mit den Spionen und dem Weinen der Israeliten, dass er diesen versprach, dass Er ihnen in Zukunft einen richtigen Grund geben werde, am 9. Av (Tisha Be'Av) zu weinen. Wie sich historisch herausstellte, hielt G - tt sein Versprechen, denn der 9. Av stellte sich für das Jüdische Volk als Katastrophe heraus.
- An jenem Datum wurden beide Tempel zerstört (Talmud Taanit 26b).
- Am 9. Av, 52 Jahre nach der Zerstörung des Zweiten Tempels, ermordeten die Römer die Einwohner der Stadt Beitar (siehe Talmud Gittin 57a).
- Im Jahre 1914 begann der Erste Weltkrieg am 9. Av und stellte sich später als Katastrophe heraus, verursachte doch der Erste Weltkrieg das Aufkommen des Nationalsozialismus.
Was lernen wir aus dem Verhalten der Spione ? Vor allem, dass wir G - ttes Entscheidungen nicht in Frage stellen sollten. Andererseits gibt es dennoch Fälle, in denen ein "In - Frage- stellen" akzeptierbar wird (siehe hierzu den Propheten Chavakuk - Habakuk). Jeder einzelne Mensch unterliegt einer "Haschgacha Pratit", Seiner persönlichen Überwachung. G - tt hat für alle einen bestimmten Lebensplan und unsere Aufgabe besteht darin, unser Leben und Seine Entscheidungen zu akzeptieren. Im Judentum heißt es, dass alles, sollte es auch noch so furchtbar erscheinen, sich zum Guten wenden wird.
Jüdische Kommentatoren, Rabbiner, Kabbalisten, Historiker und sogar Philosophen beschäftigen sich ausgiebig mit der eigentlichen Bedeutung der Thora. Aber, wie wir wissen, hat die Thora 70 Gesichter und unterliegt damit vielfältigen Interpretationen. Dies bedeutet auf gar keinen Fall, dass nun jeder alles nach seinem eigenen Belieben auslegen darf. Gewisse Richtlinien, wie die von Raschi, zum Beispiel, sollten schon eingehalten werden. Dennoch kann jeder die Thora in gewissen Sinne auch individuell auslegen.
Vor einiger Zeit hatte ich eine Idee einer Auslegung, die vielen beim ersten Anhören vielleicht apikorsisch (ketzerisch) erscheinen mag. Irgendwie kam ich zu der Theorie, was denn wäre, wenn die gesamte Thora "nur" eine einzige Metapher sei und uns in Wahrheit etwas ganz andere lehren will. Wer will, der kann sich diesbezüglich mit dem Kommentar des Philo an der Midrasch beschäftigen. Aber Philo bitte nicht nach christlichen Maßstäben auslegen, wie dies immer gern getan wird.
Aber nicht nur Philo ließ sich darüber aus, sondern auch andere Denker wie den von mir besonders verehrten Rambam (Maimonides) in seinem "Moreh Nevuchim – Führer der Unschlüssigen". Kann es demzufolge sein, dass die Personen und Handlungen in der Thora nur Metaphern sind ? Avraham könnte demnach für die ultimative Güte stehen.
In der Chassidut kommen nicht unbedingt diese Gedanken auf, aber dennoch ist auch in ihren Auslegungen alles mit Metaphern gespickt. So vergleicht einer der Rebben der Chassidut Ruzhin (Jiddisch: Rizhin) in seinem Buch "Ner Israel" die Entsendung der Spione mit dem Streben nach Gut oder Böse. Selbst ein Zaddik (Gerechter) kann auf Irrwege geraten und daher seiner Yetzer (schlechten Seite in sich selbst) folgen. Andere, wie Calev und Yehoshua, hören nicht auf ihre Yetzer, sondern setzen unbeirrt ihren gerechten Weg fort.
Der Sefat Emet der Chassidut Gur nennt eine weitere Metapher:
Er nämlich vergleicht die Entsendung der Spione mit der Seele bzw. einem Menschen, welcher von G – tt in diese Welt gesandt wird. Auch seine Aufgabe besteht darin, gewissen, von G – tt gegebenen Regelungen zu folgen. Moshe trug den Spionen genau auf, worauf sie zu achten hatten und was er wissen wollte. Später berichteten sie es ihm, fügten jedoch ihre eigene Meinung hinzu.
Genau so ist es mit uns in der hiesigen Welt. Wir sollen G – ttes Auftrag erfüllen, ohne unsere eigenen Ausreden, Schwächen und Bequemlichkeiten mit einzubringen.
Schabbat Schalom
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen