Mittwoch, März 10, 2010

Bilbulim - Verwirrungen

B"H

"Die heutige jüdische Welt ist total voll Irrungen und Wirrungen, so liebt es eine Freundin von mir aus dem ultra - orthodoxen Mea Shearim (Jerusalem) zu sagen. Soviele Juden finden zurück zur Orthodoxie, doch findet eine Menge unter ihnen keinen richtigen Weg (Derech). Stattdessen hopst eine immense Anzahl ohne groß nachzudenken in den Chassidismus, ohne erst einmal das jüdische Basiswissen zu erlangen. Man kann sich nicht einfach so mir nichts dir nichts einen schwarzen Hut überstülpen und einen Kaftan anziehen, wenn das Grundwissen der Thora, Halachot (Gesetze) und sonstiges noch gar nicht richtig gelernt bzw. verinnerlicht worden sind. Wenn ich kaum etwas an Wissen vorweise und daraufhin folglich nicht viele Gesetze einzuhalten in der Lage bin, nenne ich mich nicht "chassidisch". Wie kann es denn sowas geben ?"

Meine Freundin hat, wie ich finde, absolut Recht und HIER berichtet jemand "live" von seinen Erlebnissen. 

Einem ernsthaften Baal Teschuva (Jude, der im späteren Verlauf des Lebens religiös wird) oder Konvertiten zum Judentum sei es anzuraten, zuerst ein fundiertes Basiswissen aufzubauen. Thora, Halachot und alles Jüdische stehen dabei auf dem Programm, um einen Weg sowie seine Identität zu finden. Nicht jeder ist gleich bzw. trägt dieselben Vorstellungen in sich. Allerdings kann sich erst für einen Weg entschieden werden, wenn genügend Wissen vorhanden ist. Wie ansonsten soll ich mich zurecht finden ? Ich schmeisse mich nicht einfach so in einen Kaftan oder in die haredische (ultra - orthodoxe) Welt und verkünde lauthals (so sehe ich das vielerseits auf FACEBOOK), ich sei bei den chassidischen Gruppen Boyan, Satmar oder Karlin Mitglied. Im Internet lassen sich derlei Phantasien leicht ausleben, aber wie schaut es mit der Wirklichkeit aus ? Keine der Gruppen hat den Angeber bzw. Schreihals je akzeptiert und derjenige beruft sich auf falsche Tatsachen. In einigen Fällen ist derjenige noch nicht einmal halachischer Jude. Die "exotische fremde" Kleidung der Chassidim mag viele Phantasien und Träume hervorrufen, wie von einem "perfekten" Lebensstil. Dies jedoch sind Einbildungen und mit der chassidischen Realität hat derlei Exotik wenig zu tun.

Im Grunde genommen kann ich die Leute verstehen, denn irgendwie wurde auch ich anfangs von einigen "Attraktionen" beeinflusst. Die fromme Mea Shearim Gesellschaft weckt Phantasien, aber holt einen ebenso schnell aus der Scheinwelt in die Wirklichkeit zurück. Und das in einigen Fällen rigoros. Von daher kann ich nur empfehlen, stets auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Es gibt Leute, die springen einfach in etwas hinein, ohne davon die geringste Ahnung zu haben. Der "Neuankömmling" nennt sich dann "Bochur" (Yeshivastudent) und schmeisst auch sonst nur so mit jiddischen Ausdrücken um sich. Je weniger die säkulere Außenwelt begreift, desto überlegener freut er sich. "Yeah, Satmar hört sich gut an und antizionistisch war ich ja schon immer. Ergo bin ich Satmar !"

An alle Newcomer: Die chassidische Gruppe Satmar besteht nicht allein aus dem Antizionismus. Hat sich jemand einmal die Mühe gemacht, die Thorakommentare des ersten und im Jahre 1979 verstorbenen Satmarer Rebben Yoel Teitelbaum z"l zu lernen ? Dessen Kommentare sind brilliant, doch habe ich wenig von ihnen begriffen. Jedenfalls bisher. Beim Nachlesen bin ich schnell zu dem Entschluss gekommen, dass ich dazu einen Rabbiner brauche, um das zu interpretieren.

Es ist so einfach sich Satmar zu nennen oder Satmarer Bräuche zu halten, doch um dort Mitglied zu werden, muss man akzeptiert werden. Antrag stellen, eine Probezeit mitmachen und nicht einfach seine Mitgliedschaft vorausposauen, ohne die Anforderungen je erfüllt zu haben.
Heute nenne ich mich Satmar, morgen renne ich zum Amschinover Rebben nach Beit Vagan (Jerusalem) und morgen zu Erloi in Katamon (Jerusalem), aber wo befinde ich mich dann eigentlich ?

Das ist genau der Grund, warum ich keiner chassidischen Gruppe beitrete. Ich bin nicht dazu in der Lage, mich nach NUR EINEM REBBEN zu richten. Stattdessen schaue ich mich gerne bei verschiedenen Gruppen um; man mag es "fehlende Verantwortungsbereitschaft" nennen. Trotzdem besteht ein gravierender Unterschied: Nämlich, dass ich mich nicht stolz und arrogant SATMAR nenne.
Ich bin kein Mitglied der größten chassidischen Gruppe der Welt (Satmar), so what !
Aus Angabe oder eingebildeten Gründen heraus stopfe ich mich in keine haredische Klamotten; was ich dagegen tue sind chassidische Bräuche zu halten und es mag sein, dass ich über so manche Gruppierung mehr weiss als ein neu Hinzugekommener, der sich einbildet, dabei zu sein und in seiner Phantasiewelt lebt.

Chassidisches Leben bedeutet Arbeit. Nicht jedermann ist dazu in der Lage überhaupt chassidisch zu leben und scheitert somit oder schliesst sich dem "Chassidismus Light" an wie Chabad (Lubawitsch). Zumindest gelten viele Baalei Teschuva bei Chabad als "light".
Eine Rabbanit (Frau eines Rabbiners) einer meine Yeshivot, auf denen ich lernte, sagte einmal zu mir, dass jemand, der von heute auf morgen streng relig. wird, dies nie lange durchhält. Das fromme Leben ist ein langwieriger Prozess und ich streife mir nicht eben mal schnell einen Kaftan über. Genaus traf ich auf Leute, welche die ganze Prozedur nur als Angabeshow abzogen. Aufmerksamkeit suchten sie und mehr nicht.

An Purim vor zwei Wochen traf ich eine Mea Shearim Familie wieder, die ich seit mehr als zehn Jahren nicht gesehen hatte. Vor meiner Krise und Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1998 waren wir einmal eng befreundet gewesen. Wegen der Krise haute ich, ohne mich zu verabschieden, ab, denn ich wollte mich nicht blamieren oder mir Vorwürfe anhören. Circa ein Jahr später schrieb ich der Family eine Postkarte aus Berlin und murmelte etwas von Krise und Entschuldigung. Nach meiner Aliyah vor fast zehn Jahren brachte ich nicht mehr den Mut auf, anzurufen. Ferner wollte ich nicht wieder in den Mea Shearim Strom gesogen werden und hielt mich deshalb fern. Mehr oder weniger. An Purim dann ging ich in die Synagoge und traf auf die Nachbarin der Familie. Die fing gleich an, daraufloszureden und rief nach der Frau (der Family). Unser Wiedersehen verlief positiver als erwartet und sie gab mir ihre Telefonnummer (die immer noch die alte ist). Sie lud mich sofort ein; auch für Pessach. Viel habe sich geändert. Die Kinder seien fast alle unter der Haube und so. Ich sagte meiner Freundin, dass ich nicht mehr SO sei. Anders halt. Sie hielt dagegen, ich solle mich nicht schämen anzurufen.
Einerseits will ich nicht erneut in etwas hineinspringen, andererseits aber rief ich sie an, denn es ist wichtig, miteinander zu reden und die Gründe darzulegen. Was ich jedoch tue ist, dass ich allesgelassen und langsam angehe.

Einer weiblichen Person, die ernsthaft in Erwägung zieht, einem chassidischen Lebensstil zu folgen, rate ich auf alle Fälle das Judentum zu lernen und gründlich kennen zulernen. Ob das nun nationalrelig., Chabad, Breslov oder litvisch ist. Kennen lernen bevor ich mich für anderweitige chassidische Gruppen interessieren. Sämtliche Synagogen sollten einmal zum G - ttesdienst abgeklappert und die chassidische Gesellschaft ausgekundschaftet werden. A la "Ist das überhaupt etwas für mich ?" Ansonsten macht man sich lächerlich, wenn von einer tollen Frömmigkeit berichtet wird, doch derjenige keine Halachot kennt. Wie will man denn fromm sein, wenn kein Thorawissen vorhanden ist ? "Ich halte Schabbat, aber die Gesetze kenne ich nicht". Ein Irrsinn und Selbstbetrug.
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Allgemein folgt zu dem Thema ein weiteres Guest Posting von jemandem, der mit dem strengsten Beit Din (rabbinisches Gericht) konvertierte und sich jetzt in der chassidischen Welt befindet. Auch er will zu falschen Vorstellungen sowie Baalei Teschuva und Konvertiten etwas verfassen !

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