Sonntag, Juni 24, 2007

Die neue Generation

B"H

Wenn meine Freundin und ich uns auf den Weg zu verschiedenen chassidischen Tischen machen, dann ist uns meistens klar, was uns erwartet. Die Ablaeufe sind fast immer gleich, die Stimmungen, Menschen und Atmosphaeren nie. In den folgenden Wochen und Monaten werden wir zu vielen Tischen gehen, doch kommen wir immer gerne wieder zur chassidischen Gruppe Toldot Avraham Yitzchak zurueck. Vor allem wegen der Atmosphaere und der netten Leute.

Letzten Freitag war es wieder soweit. Gegen Mitternacht kamen wir in der grossen Synagoge der Gruppe Toldot Avraham in Mea Shearim an. Wider Erwarten war die Frauensektion mehr als nur gut besucht, jedoch fanden wir noch freie Plaetze auf dem tribuenenaehnlichen Geruest vor den drei Fenstern, durch die man in die Maennersektion im Erdgeschoss schauen kann. Mit der Zeit wurde das Sitzen aeusserst anstrengend, denn wir wussten nicht, wohin mit unseren Beinen. Wenn sich gleich vor einem eine weitere Sitzreihe befindet, dann ist fuer die Beine kein Platz mehr.

Im Erdgeschoss ass der Rebbe, Rabbi Shmuel Yaakov Kahn, seine uebliche Shabbatmahlzeit. Mehrere Hundert Chassidim schauten ihm dabei gebannt zu. Zwischendurch stimmten die Chassidim Lieder an und der Rebbe sang eifrig mit und schwang seine Arme in die Luft. Meiner Meinung nach macht er bei solchen Gelegenheiten seinem Status alle Ehre, denn er scheint sich wirklich in einer anderen Welt zu befinden.
Fuer jede chassidische Gruppe ist der Rebbe ein Zaddik (Gerechter), der aufgrund seiner Faehigkeiten in hoehere Welten aufsteigen und so jene hoeheren mit unserer Welt verbinden kann.

Rebbe Shmuel Yaakov Kahn sitzt gewoehnlich auf einem brauen Holzthron mit hellbraunem Polster. Es gibt noch einen weiteren Holzthron mit blauer Polsterung, der nur dann hervor geholt und neben den Stuhl des Rebben plaziert wird, wenn ein Ehrengast eintrifft.
Bei unserer Ankunft erblickten wir sofort einen Ehrengast, wussten aber nicht, um wen es sich genau handelte. Ich fragte zwei neben uns sitzende Frauen und prompt kam die Antwort. Das sei doch der Rabbi Meir Brandsdorfer, meinten die beiden bedeutungsvoll.

Kleine Erlaeuterung: Rabbi Meir Brandsdorfer ist einer der wichtigsten Rabbiner in der anti - zionistischen Dachorganisation (der Edah HaCharedit) verschiedener chassidischer Gruppen wie Toldot Aharon, Satmar, Avraham Yitzchak etc. Die Edah verfuegt ueber ihr eigenes Beit Din (rabbinisches Gericht), dem drei Rabbiner vorsitzen: Das Oberhaupt des Beit Din ist Rabbi Tuvia Weiss und bei den zwei weiteren handelt es sich um Rabbi Moshe Sternbuch sowie Rabbi Meir Brandsdorfer (Mitglied bei den Toldot Avraham Yitzchak).

Wer als weibliches Wesen einen chassidischen Tisch besucht, der wird relativ schnell feststellen, dass sich die eigentliche Action nur unten bei den Maennern abspielt. Dort wird getanzt, gesungen und der Rebbe verteilt Essen an seine Chassidim. Bei Toldot Aharon schauen die Frauen gebannt und ruhig zu. Bei ihrer Abspaltung Avraham Yitzchak jedoch betrachten die Frauen den Tisch eher als Gesellschaftsereignis. Man geniesst die Atmosphaere, doch sitzt mehr oder weniger zusammen und unterhaelt sich. Wenn meine Freundin und ich Fragen haben, koennen wir die gerne jederzeit stellen und bisher trafen wir diesbezueglich nur auf hilfsbereite Frauen.

Der kleine Vorteil fuer mich besteht darin, dass ich Yiddish verstehe, da ich Deutsch und Hebraeisch spreche. Nur die deutsche Sprache allein reicht nicht aus, um das Yiddishe zu verstehen, denn es ist mit hebraeischen Ausdruecken gespickt.
Die Frauen neben uns fanden sehr schnell heraus, dass ich Yiddish verstehe und so kamen wir allmaehlich ins Gespraech. Das heisst, unser Gespraech verlief auf Hebraeisch, da ich kein Yiddish sprechen kann, sondern nur verstehe.

Im Internet las ich vielerlei Arten von wissenschaftlichen Studien, die sich mit den Frauen in geschlossenen chassidischen Gruppen beschaeftigen. In der Bar Ilan Universitaet gab es zu dem Thema einen Vortrag von einem Mann, und da frage ich mich dann wirklich, wie er denn in der Lage war, die Frauen von Toldot Aharon zu befragen. Mit fremden Maennern reden die naemlich nicht, geschweige denn mit Professoren, die eine Studie ueber sie erstellen wollen.
Fuer mich sind die Chassidim alles andere als eine Studie, sondern Menschen und wahrscheinlich kommen wir daher besser ins Gespraech. Was uns besonders bei den Frauen der Toldot Avraham Yitzchak auffiel ist, dass es einen sehr grossen Unterschied im Verhalten der aelteren und juengeren Damen gibt.

Die etwas Aelteren wissen sehr genau, was von ihnen erwartet wird. Dies wiederum heisst nicht, dass sie nur den Gesetzen der Gruppe hinterherlaufen und kuschen. Sie haben sehr wohl ihre eigene Meinung, aber dennoch druecken sie diese vielleicht nicht ganz so aus, wie die juengere Generation. Die Aelteren bewahren strikte Haltung.
Die juengeren Frauen so um die Zwanzig - Dreissig haben etwas mehr Eigenstaendigkeit entwickelt. Nicht, dass unter ihnen die grosse Aufbruchstimmung herrscht und sie rebellieren, wie man sich das im so "offenen" Europa immer vorstellt.
Sie folgen den Gesetzen ihrer Gruppe, bewahren Haltung, doch haben innerhalb der Gesellschaft ihre eigenen Interessen entwickelt. Locker reden sie mit ihren Freundinnen aus der gleichen Chassidut und haben einen sehr guten offenen Sinn fuer Humor. Im Rahmen der Religion, versteht sich. Natuerlich wird ueber die Kindererziehung gesprochen, aber es gibt auch ganz andere Themen. Innerhalb der eigenen Gruppe sind z.B. viele von ihnen sehr stark sozial engagiert und helfen, wo sie nur koennen.

Soweit haben wir nur Frauen gesehen, die mit ihrem Leben zufrieden zu sein scheinen. Selbstverstaendlich koennen wir in keinen Kopf hineinschauen und sehen, was darin vorgeht, aber fuer uns Besucher schien es nicht so als betrachten sich die Frauen als vernachlaessigt oder Gruppenmitglieder zweiter Klasse. Im Gegenteil, ich bin nicht nur auf den Typ Hausmuetterchen gestossen, sondern auch auf gebildete Frauen, die sich selbst als emanzipiert bezeichnen wuerden.

Meine Freundin meinte, dass es sich um eine ganz alltaeglich Gesellschaft handele, die ihre Ups und Downs hat. In unserer Gesellschaft wiederum besteht entsetzliche Neugier, wenn jemand nicht so sein sollte wie wir. Und Toldot Aharon sowie Avraham Yitzchak scheinen allen fuerchterliche Raetsel aufzugeben. Sie leben recht abgeschottet, haben aussergewoehlich strenge Regeln und lassen keine Aussenseiter an sich heran, obwohl ein jeder am Shabbat zu ihrem Tisch kommen darf.

Womit die Frauen sicherlich mehr zu kaempfen haben, sind ihre eigenen kinderreichen Familien und die soziale Not. Wenn der Ehemann innerhalb der Gruppe arbeitet, dann ist das Gehalt nicht berauschend und die mehr als zehn Kinder muessen ersteinmal versorgt sein.

Vorherige Beitraege zum Thema Frauen in der Ultra - Orthodoxie:

http://hamantaschen.blogspot.com/2007/06/verliert-die-frau-ihre-wuerde.html

http://hamantaschen.blogspot.com/2007/05/emanzipation-und-selbstverwirklichung.html

http://hamantaschen.blogspot.com/2007/04/eshet-chayil-die-rolle-der-frau-in-der.html

2 Kommentare:

  1. Anonym9:56 AM

    Das dürfte sich vielleicht bald schon ändern, sofern ich den Inhalt des folgenden Artikels richtig deute:

    http://www.haaretz.com/hasen/spages/873185.html

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  2. B"H

    Da deutest du leider etwas falsch, denn der Artikel bezieht sich auf die relig. - haredischen Beit Yaakov Schulen, welche der Agudat Israel unterliegen und staatl. gefoerdert werden. Die von mir beschriebenen Chassidim haben damit keinerlei Verbindung !!!
    Sogar bei Belz oder Gur, die in der Agudah sind, bin ich mir diesbezueglich nicht sicher. Eher nur bei den litvish - haredischen Beit Yaakov.

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