B"H
Die Thoralesung für diesen Shabbat
Keine andere Thoraparasha ist so vollgestopft mit Emotionen wie die Parashat Vayigash. Unzählige Male kommt in ihr das Wort "weinen" vor. Benjamin weint, Yosef weint, die Brüder weinen. Rabbi Samson Raphael Hirsch sagt, dass die Tränen in dieser Parasha ein Ausdruck der Aufrichtigkeit. Jeder hier Weinende meint es wirklich ernst und spielt niemandem etwas vor.
Selbst Yosef nicht, der wahrlich einen Grund hat, auf seine Brüder sauer zu sein. Noch daheim war er das Schwarze Schaf der Familie und seine Brüder (außer Benjamin) brachten ihm nur Haß und Neid entgegen. Der Höhepunkt war, dass sie ihn in eine Grube warfen und ihn nach Ägypten verkauften. Selbst dem Vater logen sie vor, ihr Bruder sei umgekommen.
Was aber tut Yosef als ihn seine Brüder nach seiner Offenbarung ängstlich anschauen ?
Er sagt ihnen, dass es nicht ihre Schuld war, sondern G - tt alles von Beginn an so geplant hatte. G - tt ließ schon Avraham wissen, dass seine Nachfahren einmal in der ägyptischen Diaspora enden werden, Er sie aber wieder heraushole, um sie in das Gelobte Land zu führen (siehe Talmud Shabbat 10b).
Die Gemara (rabbinische Diskussionen) im Talmud Traktat Nedarim 32a fragt, was Avraham denn verbrochen hatte, dass seine Nachfahren für die Dauer von 210 Jahren ins Exil geschickt werden. Die Antwort darauf geht zurück auf die Thoralesung Lech Lecha, wo von einem Krieg zwischen Avraham und einigen Königen die Rede ist. Die Könige hatten Lot entführt und Avraham zog zu dessen Befreiung in den Krieg. Weiter heißt es in Lech Lecha, dass Avraham mit 318 Männern gegen die Könige kämpfte, sie besiegte und Lot befreite.
Die Zahl 318 wird von manchen als die Gematria seines Bediensteten Eliezer gesehen. In der hebräischen Sprache steht jeder Buchstabe für eine Zahl und die Buchstaben des Namen Eliezer ergeben die Zahl 318. Demzufolge wäre Avraham nur mit Eliezer in den Krieg gezogen. Andere wiederum nehmen die Zahl 318 wörtlich und danach sei Avraham tatsächlich mit 318 Mitmenschen in den Krieg gegen die Könige gezogen. Und genau hier hakt die Gemara aus Nedarim ein.
Avraham hätte wissen müssen, dass G - tt ihm in dem Krieg zu Seite steht und demnach waren die 318 Kämpfer überflüssig. Avraham hätte allein losziehen müssen und die 318 Mitmenschen hätten lieber Thora lernen sollen. Insgesamt hatte Avraham zuwenig G - ttvertrauen und hielt andere vom Thorastudium ab. So eine der Begründungen aus der Gemara in Nedarim.
Rabbi Hirsch dagegen sagt, dass wären die Israeliten nicht ins ägyptische Exil gezogen, sie sich eventuell in die Kanaanitischen Gesellschaft hineinassimiliert hätten. Allein in Ägypten entwickelten sie sich zu einem Volk und dies sei einer der Gründe für ihr Exil gewesen. Laut dem Talmud - Kommentator Maharsha hätte die ägyptische Unterdrückung allerdings weniger brutal ausfallen können, wenn die Brüder dem Yosef nicht solchen Haß entgegen gebracht hätten.
Die wahren Helden dieser Parasha scheinen Yehudah und Yosef zu sein. Beide waren grundsätzlich verschiedene Charaktäre, die hier aufeinandertrafen. Yehudah bäumte sich schliesslich auf als es um Benjamin ging. Yosef testete die Brüder, ob sie nicht immer noch alte Haßgefühle gegen ihn hegten. Dies gab sich jedoch alles als Yehudah sich für Benjamin stark machte. Benjamin war der zweite Sohn Rachels (neben Yosef) und somit merkte Yosef, dass die Brüder Benjamin nicht haßten, sowie ihn einstmals.
Die Sprache der Thora ist nicht immer klar und mit unzähligen Metaphern gespickt. Insbesondere die Kabbalah (Geheimnisse der Thora) versucht die Metaphern zu entschlüsseln, um uns die eigentliche Bedeutung und Lehre des Textes nahezubringen. Und so sieht dann auch das kabbalistische Buch "Zohar" einen tieferen inneren Zusammenhang zwischen Yehudah und Yosef.
Als G - tt die Welt erschuf, erschuf er die Obere Welt und die Unteren Welten. Die Obere Welt ist metaphorisch gesehen für Ihn reserviert und unsere Aufgabe besteht darin, die Obere mit den Unteren Welten zu verbinden. Dies erreichen wir anhand der Thoragesetze und des Gebetes. Wenn G - tt sieht, dass wir Seine Thoragesetze einhalten, dann kommt Seine Welt der unseren näher. Besonders offensichtlich war dies zur Zeit der Tempelopferungen im Ersten und Zweiten Jerusalemer Tempel. Dementsprechend war Seine Anwesenheit (Presenz) wesentlich erkennbarer als heute, denn die Menschen hatten eine fast direkte Verbindung. Ohne Tempel sind wir gezwungen, diese Nähe auf andere Art und Weise zu erreichen. Solange, bis der Meschiach kommt und der Dritte Tempel gebaut wird.
"Dann kam Yehudah näher…". Dieses Näherkommen sieht der Zohar metaphorisch als das Angebot der einen Welt an die andere, sich zu vereinigen. Der derzeitige Rebbe der Chassidut Slonim, Rabbi Shmuel Bozorowsky, geht noch einen Schritt weiter. Die Parasha beginnt mit den Worten: "Vayigash elav Yehudah…". "Dann kam Yehudah näher" und Rabbi Bozorowsky vergleicht dieses Näherkommen dem dem Gebet. Für Yehudah und seine Brüder gab es keinerlei Hoffnung mehr. Der Kelch wurde im Gepäck Benjamins gefunden und dessen Leben stand nun auf dem Spiel. Sie alle fürchteten um ihr Leben, denn die Ägypter zögerten nie lange, um Feinde auszuschalten.
Doch anhand der Metapher des Gebetes an dieser Stelle veränderte Yehudah die Realität und wendete alles zum Guten. Das Gebet erweckte in ihm ungeahnte Kräfte.
Der deutsche Rabbiner, Rabbi Samson Raphael Hirsch, kämpfte seinerzeit besonders gegen die Einflüsse des Reformjudentums genauso wie gegen jegliche andere Art der Assimilation. Er verweist in seinem Kommentar zu dieser Parasha nachdrücklich auf die Notwendigkeit des ägyptischen Exils. Die Ägypter hassten die Israeliten und sahen in ihnen die primitivsten Erdenbewohner. Von daher sollte jeder Kontakt mit ihnen vermieden werden. Die Israeliten wiederum zogen sich in ihre eigene Ghettowelt zurück, weil die ägyptische Gesellschaft ihnen keine andere Wahl liess. Innerhalb dieser Ghettowelt konnten die Traditionen aufrecht erhalten werden und die Assimilierung befand sich auf dem Nullpunkt.
Genauso erging es den Juden im Mittelalter. Auch hier lebten die Juden eingeengt durch gesetzliche Erlasse in ihrer eigenen Welt. Erst die Zeit der Aufklärung (Haskalah) liess viele Juden ihre Identität und den eigentlichen Sinn ihres Daseins vergessen. Dem hatten die Israeliten in Ägypten vorgebeugt und hielten die Mehrheit hielt sich während der 210 Exiljahre an die Avrahamischen Traditionen wie Sprache, Namesgebung, Religion oder Kleidung.
Vielleicht sollten uns gerade diese Israeliten ein Ansporn in unserer heutigen Zeit sein.
Shabbat Shalom
Donnerstag, Dezember 13, 2007
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