Sonntag, Dezember 30, 2007

Die Illusion der Marmorsteine

B"H

Anhand der berühmten Gemara aus dem Talmud Traktat Chagigah 14b wird deutlich, wie sehr man sich verwirren lassen kann, wenn man der Metaphersprache im Judentum unwissend gegenübersteht und alles Geschriebene wörtlich nimmt.

Das Lernen der Metaphern in der Thora, dem Talmud, der Aggadah (Legenden), der Midrash sowie der Kabbalah erfordert unendlich viel Lernaufwand. Wer dies aber alles auf sich nehmen will, wird hinterher mit sehr viel Verstehen und Wissen belohnt.

Die Gemara (Diskussionen) im Talmud Chagigah 14b lehrt folgendes:

Vier traten in das Paradies (Gan Eden, Pardes) ein:

Bei dem Paradies (Pardes) handelt es sich an dieser Stelle um einen spirituellen Ort oder Level, an dem sich die Seelen der Gerechten (Zaddikim) befinden und welcher sehr nahe an G – tt liegt (Rabbeinu Chananel).

Ben Azzai, Ben Zoma, Acher und Rabbi Akiva.

Laut dem Kommentator Rashi traten die Vier durch die Benutzung der Namen G – ttes in das Paradies ein. Die Tosafot machen darauf aufmerksam, dass die Vier nicht körperlich in das Paradies traten, sondern nur ihr Bewusstsein bzw. ihre Gedanken. Den Vieren dagegen erschien es als seien sie wirklich körperlich dort anwesend.

Diese Art des Eintritt in das Paradies kann nur aufgrund gewisser meditativer Aktivitäten stattfinden. In solch einem Fall wird versucht, seine Gedanken von jeglichem Einfluß von außerhalb zu isolieren und den Kopf völlig frei zu bekommen (Rabbi Hai Gaon).

Heutzutage ist diese Art der Meditation (an G – ttes Namen) nur denjenigen erlaubt, die sich auf einem absolute hohen Level befinden. Da wir in unserer Zeit über keine Asche der Roten Kuh mehr verfügen um uns zu reinigen, befinden wir uns in einem kontanten Zustand der Unreinheit und deswegen sind solcherlei Arten von Meditation verboten. Wenn es dennoch jemand tut, bringt er sich selbst in Gefahr (Rabbi Yitzchak Luria in Shaar Ruach HaKodesh, S. 41a).

Die Person, die in der Gemara "Acher" genannt wird, ist eigentlich Elisha ben Avuyah. Nachdem er das Paradies verlies, wurde er sekulär und somit zu einer anderen Person. Acher heisst übersetzt: Anders.

Bevor sie das Paradies betraten, warnte Rabbi Akiva:

Wenn Ihr die reinen Marmorsteinen erreicht, sagt nicht: Hier ist Wasser ! Hier ist Wasser ! Wie sollen wir nun weiterkommen ?

Dies ist verboten zu sagen, denn ein Lügner kann G – tt nicht nahe kommen.


Ben Azzai schaute auf die g – ttliche Anwesenheit und starb. Ben Zoma schaute und wurde geisteskrank. Acher zerstörte seinen hohen Level kurz bevor er meditativ das Paradies betrat. Rabbi Akiva kam unbeschadet zurück.

Viele Kommentatoren lassen sich zu dem Thema aus:

Rabbeinu Chananel erklärt, dass es sich bei den Marmorsteinen um die Wände der himmlischen Kammern handelt.

Was sind himmlische Kammern ?

Der Begriff "Himmlische Kammern" ist nicht wörtlich zu nehmen, denn vielmehr handelt es sich bei ihnen um einen äußerst hohen Bewusstseinslevel der Meditation.

Rabbi Hai Gaon beschreibt, dass es durchaus so ausschauen kann als ob Wasser fließe, doch dieses nur eine Irreführung innerhalb der Meditation sei. Wer sich irreführen läßt, der zerstört seinen meditativen Weg zu weiteren höheren Leveln. In Wahrheit nämlich befindet sich dort kein einziger Tropfen Wasser. Das menschliche Bewusstsein muß generell in der Lage sein, abstrakte Ideen anhand von Metaphern zu begreifen. Niemals sollte davon ausgegangen werden, dass die spirituellen Welten aus etwas Materiellem bestehen (z.B. Wasser).

Ben Azzai schaute in das Licht der Anwesenheit G – ttes und sofort zog dieses Licht seine Seele aus dem Körper und er verstarb.
Wenn unsere Seele bei der Geburt in unseren Körper gesandt wird, dann weigert sich die Seele in die materielle (unsere) Welt zu gehen. Ihr eigentliches Ziel ist es immer, an ihren Ursprungsort zurückzukehren, was die Seele Ben Azzais sofort tat. Sie sah das g – ttliche Licht und es gab kein Halten mehr für sie (Rabbeinu Chananel).

Ben Zoma war auf keinem so perfekten Level wie Ben Azzai. Sobald er in das Licht schaute, gerieten seine Gedanken außer Kontrolle und er sah Dinge, die er nicht mehr deuten konnte. Die Folge war, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und geisteskrank wurde.

Ben Zoma war einer DER großen Gelehrten der Zeit und die Mishna im Talmud Traktat Sotah 49b lehrt, dass nach seinem Tod keiner mehr in der Lage war, die Halacha und bestimmte Verse so zu deuten wie er.

Acher wurde sekulär und die Frage ist, was genau geschah mit ihm als er meditativ in das Paradies gelangte.

Die Gemara in Chagigah 15a lehrt, dass Acher einen bestimmten Engel sah und fälschlicherweise meinte, es gebe G – tt zweimal. Elisha ben Avuyah (Acher) strapazierte sein Bewusstsein soweit, dass er in ein Gebiet geriet, in dem sein menschliches Fassungsvermögen außer Kontrolle geriet und er alles durcheinander brachte. Er war außerstande, das Gesehene logisch zu verarbeiten und daher zog er seine eigenen verwirrten Schlußfolgerungen. Von nun an glaubte Acher, zwei G – tter vor sich zu haben.

Den Engel, welchen Acher sah, war der Engel Metatron.
Zum Thema Engel gibt es viele Auslegungen und eine davon erscheint im Talmud Sanhedrin 38b, wo steht, dass einer der Namen G – ttes auch Metatron sei. Rashi kommentiert, dass die Gematria (Nummern der Buchstaben im Hebräischen) von Metatron die gleiche ist wie die des Namen G – ttes Sha " ddai. Daher handelt G – tt in der Welt als Metatron bzw. Sha "ddai. Die Namen der Engel sind nichts weiter als bestimmte limitierte Aktionen von G – tt selbst. Er (G – tt) handelt hier in verschiedenen Formen, welche von Engeln ausgedrückt werden.

Nur Rabbi Akiva verlies das Paradies unbeschadet. Er allein verstand die himmlische Weisheit soweit zu deuten, wie es einem menschlichen Verstand eben möglich ist. Sobald Rabbi Akiva zu einem Level gelangte, den er nicht imstande war, zu begreifen, quälte er sich nicht mühsam ab, dies zu tun, sondern gab zu, dass es Dinge gibt, die über sein Fassungsvermögen hinausgehen. Mit anderen Worten: Er kannte seine irdischen Grenzen.

Was können wir aus dieser Gemara in Chagigah lernen ?

Zuerst einmal, das wir alle nur menschlich sind und es Dinge gibt, die über unser Fassungsvermögen hinausgehen. Niemals sollten wir uns zwingen, etwas zu verstehen, denn die Schlußfolgerungen stellen sich hinterher als völlig falsch heraus. Jeder von uns sollte wissen wo sein Platz ist und nicht über unser Limit hinausschielen.

Bevor sich jemand auf so hohe Level wie die Meditation a la Rabbi Akiva darstellt, sollte er sich lieber vorher dem ausführlichem Thorastudium widmen. In einem Kommentar heisst es, dass nur Narren sich ohne Vorbereitung, sprich Thorastudium, auf die hohe Esotherik stürzen, aber zugleich hungrig nach der Thora bleiben. Stattdessen verschwenden sie alle Zeit und Energien für höhere Ziele, die sie niemals erreichen werden.

Der Rambam (Maimonides) gibt hierzu ein ideales Beispiel in seinem Buch "The Guide of the Perplexed - Führer der Unschlüssigen (1:32)".

Wer um sich schaut, dessen Sichtweise ist begrenzt. Sobald aber jemand versucht, über seine Augensichtweite hinaus etwas zu blicken, misslingt ihm dies.

Genauso ist es mit der Intelligenz. Jeder sollte seine Grenzen erkennen und zugeben. Falls die nicht geschieht und es aufgrunddessen zu falschen Schlussfolgerungen kommt, wird derjenige niemals eine Perfektheit erreichen, sondern sich nur selbst schaden.

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