Dienstag, November 11, 2008

Was ist eigentlich Chassidismus (Chassidut) ?

B"H

Nicht wenige Leute fühlen sich gerade zum Chassidismus ungemein hingezogen. Juden eher aus dem Grund, weil sie in der chassidischen Ideologie eine eigene Mystik zu erkennen meinen; eine Mystik, die vielleicht ihr eigenes Leben in andere Bahnen lenkt oder die einfach nur eine Hilfestellung verspricht. Hierzu sei gesagt, dass der Chassidismus oder die Kabbalah keienswegs eine Hilfeleistung für die persönlichen Probleme von Leuten sind. Beide Themen basieren auf der Thora und dem Judentum an sich, und wer etwas lernen will, der lerne Thora und komme nicht mit esotherischen Vorstellungen daher.

Viele Nichtjuden meinen sich ebenso zum Chassidismus hingezogen zu fühlen. Das Problem ist, dass die wenigsten unter ihnen überhaupt eine Ahnung vom chassidischen Leben und dessen Idealen haben. So manch einer mag Martin Buber lesen und meinen, er wisse jetzt alles über den Chassidismus. Doch Buber war und ist bei den Chassidim "out" und er selber kannte die Gesellschaft absolut nicht. Was also gibt es von Buber zu erlernen außer ein paar von ihm übersetzte Texte ? Und selbst die wurden aufgrund ihrer eher gefühllosen Sprache kritisiert.

Chassidismus muß man leben und nicht theorisieren ! Und dies tut man am Besten, indem man sich in der Gesellschaft bewegt. Damit meine ich nicht die Baalei Teshuva (später im Leben relig. gewordene Juden) Bewegung von Chabad oder das New - Age - Movement von Breslov, sondern ganz andere Gruppierungen wie Sassov, Biale, Satmar, Bobov, Kotsk, Lublin, Ruzhin, Boyan, Sadigura, Belz, Karlin und vor allem Vishnitz. In der Chassidut gilt der Ausspruch, dass fast alles von Vishnitz kommt. Bevor sich andere viele andere Gruppierungen bildeten, hing man oftmals irgendwie an Vishnitz oder ist mit ihnen verbandelt oder verwandt. Und wer einen genaueren Blick daruf nimmt, der stellt fest, das die nicht nur eine ehrgeizige Vishnitzer Behauptung seitens der Vishnitzer ist.

Was aber genau ist der Chassidismus (Hebr.: Chassidut) ?
Hier eine kleine kurze Einführung:

Die chassidische Bewegung unter dem Baal Shem Tov (Rabbi Israel ben Eliezer, auch als BESHT bekannt, ca. 1698 - 1760) war keineswegs eine neue Idee bzw. Ideologie. Das, was der Baal Shem Tov tat, war lediglich alte frühere Ideologien wieder zu aktualisieren. Den Begriff "Chassidim" und die damit verbundene Ideolgie bestanden schon mehr als Tausend Jahre, nur waren sie im Laufe der Zeit etwas in Vergessenheit geraten. Der israelische Chassidut - Autor Gedaliah Nigal erklärt, dass die Mehrheit der Researcher des Chassidismus sowie fast sämtliche an dem Thema Interessierten immer wieder den gleichen Fehler begehen: Sie versuchen anhand der Stories des Baal Shem Tov diesen selber zu analysieren, was nur schiefgehen kann. Der Baal Shem Tov verfasst seine Schriften nicht selbst, sondern dies tat fast ausschließlich sein Schüler Yaakov Yosef von Polonnoye (Polna). Nicht nur er, sondern ebenso weitere Anhänger. Daher sind die Stories und anderweitige Inhalte manchmal nicht gerade real oder übertrieben formuliert.
Rabbi Chaim von Volozhin (in Litauen), der bekannteste Schüler des Vilna Gaon, behauptete sogar, dass Rabbi Yaakov Yosef seine Berichte absichtlich übertrieb, um so den Baal Shem Tov heiliger zu machen als er in Wirklichkeit war. Aber wer glaubt nun wieder alles, was Rabbi Chaim von Volozhin sagte, denn gerade er und der Vilna Gaon waren DIE Kritiker der chassidischen Bewegung an sich.

Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich das Judentum in zwei Gruppen gespalten: in das normale Fußvolk und in Rabbiner (Gelehrte). Der reguläre Jude ging in die Synagoge und hielt die ihm bekannten Mitzwot (Thoragesetze). Hatte er Fragen, wandte er sich an seinen Rabbiner. Alles bestand also aus dem Tun sowie dem Beten.
Gebetet wurde nach festgelegten Zeiten und des Betens Willen. Bis zum Aufkommen des Baal Shem Tov in der Mitte des 17. Jahrhunderts waren die Emotionen aus dem Gebet und der Mitzwoterfüllung größtenteils verschwunden. Eine rabbinische Elite herrschte und diese gab vor, was das Judentum ist und wer was zu tun hat. Rabbiner, die nicht Teil dieser Elite waren, gehörten halt zum Fußvolk.

Alle Jahre wieder kommt im Judentum die Idee auf, dass es einmal wieder Zeit für das Kommen des Meschiach ist. Und alle Jahre wieder wurde in der Vergangenheit ein Datum bekannt gegeben, welches das Eintreffen des Meschiach festlegt. Im Mittelalter geschah diese Prozedur unzählige Male. Schon allein deswegen, weil gerade im Mittelalter die große Zeit der Judenpogrome herrschte. Kreuzritter, Inquisitionen, die Verfolgungen durch die katholische Kirche sowie die des später aufkommenden extrem antisemitischen Martin Luther. Und gerade in diesem für Juden leidvollen Mittelalter sahen diese ihre einzige Chance der Erlösung aller Qualen durch das Eintreffen des Meschiach. Eine Ideologie, die sich genauso in den kabbalistischen Schriften der Zeit bemerkbar macht (Gershom Sholem berichtet sehr ausführlich darüber). Vielseits ist die Kabbalah aus jener Zeit mehr als apokalyptischen Inhalts und der Meschiach gilt als die einzige Lösung.

Der Chassidut - Autor Yitzchak Alfassi schreibt:
Als das Jahr "Tav Chet" (das Jahr 1648) nahte, riefen führende Rabbiner einmal wieder erneut ein messianisches Datum aus. Im Jahre 1648 glaubten selbst Nichtjuden den Juden, dass der Meschiach nicht mehr weit sei. Allerdings stellte sich heraus, dass das Jahr 1648 ein überaus katastrophales Jahr für die Juden Osteuropas war. Die Kosaken unter ihrem töteten mehrere Hunderttausend Juden (Chmielnizki Pogrome) und ganze Gemeinden wurden dem Erdboden gleichgemacht. Seither häuften sich die Judenpogrome immer mehr. Im Jahre 1661 gab es eines in Lvov (Lemberg) und weitere in Lublin und Krakau. Und in diesen depressiven Zeiten tauchte der Baal Shem Tov auf und verstand es auf eine wundersame Weise, die Juden näher an das Judentum heranzuführen; und das, indem sie Freude zeigten und keinen eintönigen Zwang wie bisher.

Zu der Frage, wer genau Rabbi Israel ben Eliezer ( Baal Shem Tov) war genauso wie über das Shabbtai Zvi Movement, sind separate Artikel in Planung. Die Literatur über diese ausgedehnten Themen ist zu vielfältig und ich möchte all das hier nicht in wenigen Sätzen abtun.

Der Baal Shem Tov also brachte dem einfachen jüdischen Volk ihr eigenes Judentum nahe, indem er ihnen vermittelte, dass ein jeder von ihnen eine direkte Verbindung zu G - tt aufbauen kann. Und zwar anhand der Mitzwoterfüllung durch Freude und einem enthusiastischen Gebet. Jeder hat die Chance und nicht nur nur die talmudlernende akademische Rabbinerelite. Natürlich unterlagen diese Ideen von Beginn an harscher Kritik eben jener Rabbinerelite. Man könne doch nicht nur freudig herumhampeln und die Mitzwot in den Hintergrund stellen. Bis heute wird der Chassidismus von vielen litvischen Juden (den Anhängern des Vilna Gaon) als eine Art esotherischer Kult betrachtet. Aber nicht von allen litvischen Haredim, denn viele von ihnen traf ich genauso bei den Tischen der chassidischen Rebben an.

Es besteht heute so mancherlei Zweifel darüber, was der Baal Shem Tov (oder kurz genannt "der BESHT") tatsächlich lehrte. Viele originale Inhalte mögen im Laufe der Zeit nach seinem Tode im Jahre 1760 von seinen Anhängern anderweitig interpretiert worden sein. So gab dies, u.a., sein Nachfolger Rabbi Dov Baer Friedman (der berühmte "Maggid von Mezritch" zu). Er habe halt die Ideologien des Besht weiterentwickelt bzw. seinerseits interpretiert. Ebenso tat dies Rabbi Shneur Zalman von Liadi, der Gründer der Chassidut Chabad (Lubawitsch). Hierzu ist anzumerken, dass Rabbi Shneur Zalman ein Schüler des Maggid von Mezritch war und den Baal Shem Tov selber nie kennen gelernt hatte.
Aber nicht nur diese beiden Rabbis, sondern auch andere fügten ihre persönlichen Interpretationen hinzu.

Viele chassidische Inhalte basieren auf der Lurianischen Kabbalah, welche der Baal Shem Tov (Besht) ausführlichst studierte. Und wie Rabbi Yitzchak Luria (1534 - 1572) betrachtete der Besht die Mikweh (das Ritualbad) als eine immens mystische Prozedur. Der Besht sagte von sich selber, dass er in der Mikweh seine Augen schliesse und so in höhere spirituelle Welten eindringe ("BaSadeh HaChassidut" von Yitzchak Alfassi).

Eine Formulierung des Baal Shem Tov gefällt mir persönlich besonders gut:

"Wo immer ein Mensch mit seinen Gedanken ist, da befindet sich er selbst".

Wenn ein Mensch an etwas denkt, dann befindet er sich an Ort und Stelle; selbst dann, wenn dies nur spirituell geschieht.
Falls also jemand einmal einen Ortswechsel vornimmt, um diesem oder jenem zu entkommen bzw. um nicht mehr mit etwas konfrontiert zu werden, dann ist es schlecht für seine Seele, wenn er noch an Vergangenes denkt. Örtlich mag man zwar Abstand genommen haben, doch ist man immer noch mit den Gedanken so tief dabei, dass der Ortswechsel doch noch nicht richtig vollzogen ist.

Hier aber dennoch die wichtigsten Punkte des Baal Shem Tov:

1. Alle Juden haben das Recht, in die spirituellen Welten einzudringen.

2. Der Baal Shem Tov lehnte Askese vollkommen ab, sein Urenkel Rabbi Nachman von Breslo sagte von sich das Gegenteil. Nicht wenige chassidische Rabbis sahen eine besondere Spiritualität im Fasten. Der Besht erklärte jedoch, dass nur ein gestärkter Körper G - tt dienen kann.

3. Wir sollten jegliche Traurigkeit überkommen und uns selber zur Freude stimulieren.

4. Es gibt nichts Böses auf der Welt, sondern alles beinhaltet einen guten Kern, den wir nur ausfindig machen müssen.
(Dieser Punkt bedarf vieler weiterer Erklärungen, denn es ist nicht leicht zu verstehen, was genau damit gemeint ist. Außerdem war es gerade diese Aussage, welche den Baal Shem Tov und seine Bewegung in den Verdacht brachten, geheime Anhänger der Shabbtai Zvi Ideologie zu sein. Schon der Shabbtai Zvi hatte diesen Inhalt vertreten, um seine Konversion zum Islam zu rechtfertigen).

5. Versinke niemals in Depressionen.

6. Das "Zaddik - Konzept".
(Das Zaddik - Konzept bedarf ebenso weiterer Erklärungen.
Ein ZADDIK ist ein GERECHTER, dem die Masse folgen solle. Das Konzept des Baal Shem Tov unterscheidet sich wesentlich vom späteren ausgebauten Zaddik - Konzept des Rabbi Elimelech von Lejansk genauso wie das von Chabad, dem Seher (Chozeh) von Lublin oder dem Peshis'cha Movement. Aber dazu gibt es einen separaten Beitrag, da das Thema zu kompakt ist).


7. G - tt ist überall; in allem was wir auf Erden sehen. In jedem Gegenstand, in jedem Menschen oder in jeder anderen Schöpfungsart.

8. Thorastudium und Gebet sind extrem wichtig, aber sollte all das nicht zu einer täglichen Routine mutieren. Jeder Tag sollte neu gelebt werden und wer heute so betet, wie er gestern betete, der hat heute noch nicht gebetet. Bedeutet, jeder Tag sollte eine neue G - ttesliebe bzw. Euphorie hervorrufen.

9. Was auch immer geschieht, alles kommt von G - tt und ein jeder sollte sich daran machen, dass alles was mir persönlich geschieht, von G - tt kommt und es gut ist. Selbst dann, wenn wir es nicht begreifen können.

10. Der Besht lehrte, dass eine Person absolut eins sein kann mit G - tt, selbst dann, wenn die Person gerade anderweitig beschäftigt ist. Zum Beispiel mit Arbeit.

11. Es ist die Aufgabe eines JEDEN Juden, die verstreuten Netzizot (Funken) des Erschaffungsprozesses spirituell an deren Ausgangsort zurückzuführen. Wie ? Durch Mitzwot und Gebet.

12. DEVEKUT - Nähe zu G - tt:
Totale Liebe zu G - tt.
Wie erreicht man Devekut ?
Man kann mit G - tt im Gebet eins werden oder eine besondere intensive Nähe verspüren. Dies geschieht häufig anhand von akstasischen Gebeten. Devekut bedeutet nicht nur "gedanklich", sondern zeichnet sich durch Liebe Hinwendung aus.

13. Nicht kann von G - tt jemals getrennt werden.

14. Selbst beim Essen können wir G - tt dienen, indem wir vor und nach dem Essen Segen sagen.
Siehe hierzu die jüdischen Segen !

All diese Punkte sind keinesfalls alle Inhalte, sondern es gibt viele Zusätze, bei denen jedoch ein hohes kabbalistisches Wissen die Voraussetzung ist, die Inhalte zu verstehen. Deswegen möchte ich jetzt nicht vorweg etwas in die Runde schmeissen, was hinterher falsch interpretiert werden kann.
Insgesamt gibt es unvorstellbar viel zu dem Thema zu sagen, was ich auch in Zukunft weiter tun werde. Dies war vorerst nur einmal ein kleiner Einblick in die Materie.

Außerdem seid Ihr gerne zu Fragen eingeladen, wenn etwas unklar sein sollte. Dies gilt übrigens für sämtliche Themen und nicht nur an dieser Stelle.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen