Dienstag, Dezember 23, 2008

Der "Anstandskrieg"

B"H

In Jerusalem tobt ein "Anstandskrieg". Jede chassidische Gruppe will besser sein als die andere und insbesondere extremere Gruppen (insbesondere die Mitglieder der antizionistischen Edah HaCharedit wie die Toldot Aharon) hängen in Mea Shearim unaufhörlich "Anstandsaufrufe" auf. Frauen und Männer sollen in der Öffentlichkeit nicht unbedingt aufeinanderstossen, denn das könne zur Missachtung des Anstandes führen.

Schon seit geraumer Zeit rege ich mich über die mir oft erscheinende übertrieben Auslegung der Halacha auf. Manche Chassidim kleben so sehr an ihrer Perfektheit, dass sie sich am Schabbat noch nicht einmal die Zähne putzen.
Begründung: Die Zahnbürste könne ein Zahnfleischbluten verursachen.
Diesen Rat der Einhaltung gab übrigens ein Chabad - Rabbiner und noch nicht einmal jemand einer absolut extremen Gruppe.

Am Schabbat die Hände einzucremen ist generell verboten; und das laut Halacha und nicht nur eben mal so. Ich muss zugeben, dass mir diese Tatsache bis vor knapp zwei Wochen verborgen geblieben ist. Dann sagte es mir jemand und gab mir gleichzeitig Ratschläge, wie ich am Schabbat doch noch zur Creme komme. Nämlich in anderem Sinne und viel umständlicher auf die Haut auftragen.

Ehrlich gesagt nervte mich das. Okay, das Eincremen am Schabbat ist verboten, aber da ich besonders im Winter trockene Haut habe, warte ich nicht bis zum Schabbatende, um die Creme hervorzuholen. Meines Erachtens nach ist das übertrieben und alle sind eingeladen jetzt über mich herzufallen, weil ich mir am Schabbat die Hände eincreme.

Nicht, dass die Halacha überflüssig ist, doch manche Auslegungen, wie das Zähneputzverbot am Schabbat, erscheinen mir unlogisch. Ich bin mir nicht sicher, ob G - tt uns Juden tatsächlich das Leben so verkomplizieren bzw. erschweren will.

Und jetzt entstand auch noch ein weiterer Anstandskrieg, aber nicht zum Zwecke des Anstandes, sondern aus rein egoistischen Gründen einiger Rabbiner. "Ich bin besser als Du", so denken sich einige führende haredische Rabbis. Im haredischen Bnei Brak bei Tel Aviv genauso wie im haredischen Teil von Ramat Beit Shemesh sollten getrennte Gehsteige eingeführt werden. Männer auf der einen und Frauen auf der anderen Straßenseite. Für Ehepaare gibt es keine Ausnahme !

Wer sich hierfür näher interessiert, der kann in einigen Tagen auf meinem chassidischen Blog einen Gastbeitrag von einem New Yorker lesen, der im chassidischen Dorf der Gruppe Skver an einem Tisch des dortigen Rebben teilnahm. In New Square (nahe Monsey bei New York) der Gruppe Skver gibt es nach Geschlechtern getrennte Gehsteige.

Generell jedoch sei anzumerken, dass in Israel nur eine haredische Minderheit mit diesen Gesetzen übereinstimmt. Die Mehrheit liest sich halt die Plakate mit den Vorschlägen durch und denkt sich ihr Teil. Zu fanatisch und chaotisch, so denken auch viele Haredim und nichts ist mit dem von der säkuleren Presse propagandierten Fanatismus aller Haredim. Im Gegenteil, wenn man sich in der haredischen Gesellschaft bewegt, stellt man fest, dass dort viele offener sind als angenommen. Zumindest dann, wenn man sie näher kennt.

Der Rebbe der extremen Toldot Aharon, Rabbi David Kahn, in Mea Shearim, erliess schon vor Monaten ein internes Gesetz, nachdem die Frauen ihre Empore mindestens 15 Minuten vor dem Ende des chassidischen Tisches verlassen müssen, damit nicht Männer und Frauen zum gleichen Zeitpunkt das Synagogengebäude verlassen und es draußen zu einem "Geschlechterstau" kommt. Man treffe aufeinander und vor allem dem männlichen Geschlecht wird allgemein eine starke "Yetzer HaRah - negative innere Veranlagung" nachgesagt. Männer können sich halt in sexuellen Angelegenheiten weniger zurückhalten als Frauen und daher könnten Zusammentreffen diverse Gefühle hervorrufen.
Diese Angabe betrachte ich als absoluten Quatsch. Was hätten wohl unsere Vorväter, Vormütter oder König David dazu gesagt ? Die täte hetzutage sicherlich der Schalg treffen. Darüber hinaus haben viele Toldot Aharon Fraune damit begonnen, auch den Synagogendienst am Schabbat einige Minuten vor den Männern zu verlassen. Man erlegt sich selbst weitere höhere Maßstäbe auf, um sich zu perfektionieren.
Insgeheim bewundere ich das Verhalten an sich, denn es erfordert ungemein viel Selbstdisziplin, die ich nicht (oder zumindest noch nicht) habe. Andererseits kann ich mir einen gewissen Sarkasmus auch nicht gerade verkneifen, denn manches scheint mir dann doch wieder zu abgefahren.

Ganz aktuell sind "Anstandsbusse" im Gespräch, in denen Männer und Frauen getrennt sitzen. In Bnei Brak gibt es schon seit Jahren solch einen diversen Bus, in dem die Frauen hinter einem Vorhang im hinteren Teil des Busses sitzen. Bei der chassidischen Gruppe Satmar in New York fahren ebenso solche Busse. Bei ihnen gibt es durch die Gangmitte des Busses einen Vorhang und die Frauen sitzen auf der einen und die Männer auf der anderen Seite des Mittelganges.

Das staatliche Busunternehmen EGGED verwehrt den Jerusalemer Haredim derlei Busse, denn die gesamte Öffentlichkeit könne nicht zum Anstand gezwungen werden. Tausende säkulere Fahrgäste benutzen die Busse ebenso und da laufe nichts mit haredischen Forderungen. Außerdem gebe es ja schon längst inoffizielle Geschlechtertrennungen in jenen Bussen, die durch haredische Wohngebiete fahren. Wie der 35er Bus nach Ramot, Linie 1 und 2 von der Kotel (Klagemauer), Linie 11, 15 nach Har Nof genauso wie weitere Linien. Nicht immer wird die Trennung eingehalten, denn mittendrin steigen auch säkulere Fahrgäste zu, sollte der Bus in der Innenstadt unterwegs sein. Nähert er sich jedoch den haredischen Gebieten, dann wird die meist Trennung fast immer eingehalten.

Da EGGED sich nicht alle Forderungen leisten kann, knobelten die Haredim eine andere Lösung aus, die da "Superbus" heißt. Private Busunternehmen fahren hinaus ins haredische Beitar oder in weitere Orte. Demnächst kommt der Superbus auch nach Beit Shemesh; kostengünstiger als EGGED übrigens.
EGGED wiederum erhält die "koschere" Busverbindung der Linie 402 von Jerusalem nach Bnei Brak aufrecht.
Nun hat der Superbus auch noch den Vorteil, dass er nicht vom staatlichen Unternehmen EGGED stammt, denn viele antizionistisch eingestellte Haredim verweigern EGGED grundsätzlich die Kundschaft. Eventuell nehmen sie einen EGGED - Bus wenn es gerade wirklich keine andereweitige Lösung gibt. Ansonsten will man den Staat Israel nicht mit dem Kauf eines Tickets bzw. eine Buslinie unterstützen, welche manchmal andernorts ihre Busse am Schabbat einsetzt.

Der nächste "Anstands - Coup" steht schon vor der Tür. Der Rabbiner des Jerusalemer Stadtteiles Ramot D (Daled) will jetzt eine Geschlechtertrennung an der Supermarktkasse einführen. Eine Kasse für Männer und eine für Frauen.
Rabbi Fuchs sieht hierin eine optimale Lösung im Kampf gegen die Yetzer. Der Stadtteil ist fast ausschließlich haredisch mit Ausnahme des nationalrelig. Ramot B (Beth) sowie einigen wenigen Säkuleren in Ramot A (Aleph). Ramot G (Gimmel) und D (Daled) hingegen sind nur haredisch bewohnt.

Mich als Weiblichkeit nervt der ganze Kampf um höhere Anstandswerte, denn ich erlebe am eigenen Leibe, wie ich bei Veranstaltungen oder anderen Events ausgegrenzt werde. Das sei nichts für Frauen und selbst jene Haredim, welche diese Vorschriften allgemein ablehnen, können mir dann nicht mehr helfen.

Fragt sich nur, wo der ganze Anstandskampf noch enden soll ?
Im Iran vielleicht ?

2 Kommentare:

  1. Anonym12:25 PM

    Also mir ist klar, wo diese Geschlechtersegregation hinführt: zu einer neune Apartheid, zu ungunsten der Frau.

    Neuerdings soll ein Laden getrennte Warteschlangen an den Kassen eingeführt habe. Da kann man sich leicht ausrechnen: Wie viele Männer gehen einkaufen, und wie viele Frauen. Ergo: Wer wird schneller bedient? Rechne!

    Lustig ist auch die Geschichte, dass kleine Buben nicht bei der Mutter in der Frauenabteilung des Busses fahren dürfen sollen. Das ist überhaupt das coolste für eine Mutter. Sie steigt aus. Wo sind meine Kinder? Keine Ahnung!

    Übrigens das mit dem Zähneputzen und Handeincremen scheint mir nicht übertrieben, sondern Standard zu sein. Es steht im Kizzur Shulchan Aruch und, soviel ich weiss, auch in Shmirat Shabat kehilchata.

    Es gibt jetzt Gummizahnbürsten mit einer flüssigen Zahnpasta. Die darf man verwenden.

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  2. B"H

    Solange sich die Frauen nicht wehren, werden die Anstandsregeln immer so weiterlaufen. Und wer will sich schon oeffentlich wehren und sich damit ausgrenzen, obwohl viele andere Frauen insgeheim zustimmen ?
    Und so dreht sich das Rad weiter. Die haredische Frau wehrt sich im eigenen Heim und denkt sich ihr Teil.

    Andererseits kenne ich jedoch auch Frauen, denen die strengen Regeln gefallen und das sollte nicht vergessen werden. Es gibt tatsaechlich solche Frauen, die vor allem angeben, dass sie nicht von irgendwelchen Perversen angemacht werden wollen und es vorziehen, unter sich zu sein.

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