Donnerstag, April 08, 2010

Bräuche marokkanischer Juden

B"H

Längst gebe ich nicht alle Details in einem Zusammenhang wieder, sondern aufgrund der riesigen Bandbreite an Material, verlege ich mich auf Fortsetzungen.

Wie wir soweit lernten, bildeten insbesondere ehemalige spanische Juden das Judentum Nordafrikas. Nach der Ausweisung aus Spanien (im Juli 1492) durch das Herrscherpaar Isabella und Ferdinand sowie die von ihnen ins Leben gerufene Inquisition, zog es zahlreiche Juden, u.a., nach Marokko.

Und wir wir ebenso lernten, eigneten sich marokkanische Juden (sowie die Sepharadim insgesamt) eigene Bräuche an, die sich wesentlich von denen der aschkenazischen Welt unterscheiden. Moche (Moshe) Gabbay, selbst marokkanischer Abstammung und Buchautor, beschreibt einen speziellen Brauch bei der Pessachseder. Marokkanische Gastgeber pflegen den Pessachteller über dem Kopf des Gastes zu zirkulieren. Diesen Brauch erlebte ich einmal selbst mit; und zwar bei einer Pessachseder beim Chabadrabbiner Hadad von Brüssel im Jahre 2000. Soweit mir bekannt ist, stammt Rabbi Hadad aus Italien und seine Frau aus Belgien. Allerdings ist es im Judentum so, dass die Familie samt Ehefrau sich nach der Tradition des MANNES richtet und somit folgt Frau Hadad dem sephardischen Ritus ihres Mannes.

Der Sederteller wird deshalb über dem Kopf des Gastes geschwenkt, da der Brauch wiederum auf einem anderen Brauch basiert. Nämlich, dass der Sederteller vor dem Lesen der Pessachhaggadah hochgehoben werden soll. Laut Kabbalah stehen bei der Pessachseder die oberen spirituellen Welten im Einklang mit den unteren spirituellen Welten und der zirkulierende Teller symbolisiert bereitet unsere sterbliche Seele sozusagen auf den spirituellen Aufstieg vor.

Dazu feiern marokkanische Juden einen Tag nach Pessach ihre "MIMUNA". Ein Event, welches vornehmlich draussen im Garten oder in Parks mit Barbecue und Singsang stattfindet. Moche Gabbay schreibt hierzu in seinem Buch "Racines (Roots) - Folklore des Juifs du Maroc", dass Mimuna von anderen Kulturen übernommen worden sein könnte. Rabbi David Sebag (1870 - 1950) berichtet in - "Assorted Herbs", Casablanca 1943 - über die Mimuna - Tradition:

Unsere Vorväter sagten einst, dass die Juden so glücklich waren, das von G - tt erlassene Pessach freudig gefeiert und hinter sich gebracht zu haben, sodass sie ihr Verlangen nach dem Meschiach speziell in ihren Synagogen feiern sollten.
Chabad unterliegt keinerlei Mimuna doch ist es eine Chabad Tradition am Abend des siebten Pessachtages eine "Se'udat Meschiach - Meschiachmahl" abzuhalten. Dann nämlich sei das Verlangen nach dem Meschiach sowie dessen "Anwesenheit" extrem stark ausgeprägt.
Mag sein, dass beide Wurzeln zum Thema "Meschiach" und "Pessach" zusammenhängen. Das Mimuna der marokkanischen Juden zumindest repräsentiert den Glauben und die Sehnsucht nach der Ankunft des Meschiach.

Die bedeutungsvollsten Merkmale des jüdisch - marokkanischen Kulturerbes sind jedoch die liturgische Poesie und die Musik. Jeder Feiertag besitzt seine eigenen Melodien; vor Pessachbeginn selbst jede einzelne Thoralesung wie Zachor, Schekalim sowie am Schabbat Hagadol vor Pessach.

All diese Bräuche könnte man glatt mit den chassidischen unserer oder vergangener Tage (nach dem Tode des Baal Shem Tov im Jahre 1670) vergleichen. Zu bedenken sei an dieser Stelle jedoch, dass die jüdisch - marokkanische Folklore viel älter ist als die Wiederbelebung des Chassidismus durch den Baal Shem Tov im 17. Jahrhundert.

Die gravierensten Einflüsse auf das jüdische Leben in Marokko stammen eindeutig aus der goldenen Zeit in Spanien. Aus einer Zeit, in der sich Juden fast ungehindert bewegen konnten und das spanische Judentum in einer Blüte stand, welche wir uns heutzutage kaum mehr vorstellen können. Hinzu kommt, dass die Mehrheit der marokkanischen Juden Nachfahren jener Juden sind, welche im Jahre 1492 Spanien verlassen mussten. Eben weil sie Juden waren und bleiben wollten.

So verwundert es keinesfalls, dass die ersten Kommentare zum kabbalistischen ZOHAR (der ZOHAR wurde im Jahre 1290 von Rabbi Moshe DeLeon in Spanien zusammengestellt / verfasst) aus Marokko stammen.

Viel später kam ebenso der französische Einfluss in Marokko hinzu. Bis heute sprechen zahlreiche israelische marokkanische Juden Französisch. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die traditionelle Kleidung vielfach abgelegt und in eine europäische Kluft umgeschichtet. Und wie das so ist, jüngere Leute waren nicht mehr zu sehr an der Religion interessiert, rasierten sich ihre Bärte und Seitenlocken (Peyes) und lernten nicht mehr allzu viel Thora oder Talmud.

Immer mehr machten sich mehrere Gesellschaftsschichten bemerkbar: Die reichen aristokratischen marokkanischen Juden, deren Kinder eine erstklassige säkulere Ausbildung erhielten. Auf der anderen Seite die arme Bevölkerung, die sich oftmals dadurch bemerkbar machte, den Lebensstil des Westens zu imitieren. Dann wieder gab es Juden, die sich irgendwo dazwischen bewegten und andere hielten komplett an den alten Traditionen fest.

Bemerkenswert ist, dass keiner der Juden, egal, aus welcher Gesellschaftschicht, sich ganz von der Gemeinschaft und dem Judentum löste. Trotz unterschiedlicher sozialer Schichten blieb das Judentum stets eine Bastion.

Erst als die Marokkaner nach Israel einwanderten, wurde dies anders. Dann neigten sich die jungen Leute total des westlichen Traditionen zu. Nicht alle, doch viele von ihnen leben heute vollkommen säkuler, obwohl oftmals ein alter Traditionshauch wiederaufkommt.

Typische Berufe der Juden Marokkos waren der Schuhmacher sowie Händler / Geschäftsleute und Handwerker aller Art (Schneider, Sattelmacher, etc.). Den Moslems war das Arbeiten mit wertvollen Metallen verboten und so wurden viele Juden zu Goldschmieden.

Typisch für viele sephardische Juden ist der Glaube an den "Bösen Blick - Ayin HaRah" und es werden nicht selten rote wollene Bänder am Handgelenk getragen. Die Farbe ROT soll gegen den bösen Blick schützen. Ferner wird vielfach an magische Amulette geglaubt. Eine alte und auch einst deutschen Juden bekannte Tradition aus dem Mittelalter. Außerdem sehen marokkanische Frauen Gold als ein Statussymbol und tragen gerne viel Schmuck bei speziellen Anlässen.

Ich weiss nicht, ob die Wasserspiele zu Schavuot immer noch Bestand haben. In der Vergangenheit jedenfalls symbolisierten Wasserspiel unter Kindern sowhl als auch bei Erwachsenen (man bekippt sich teilweise mit Wasser) eine alte Tradition. Wasser symbolisiert die Thora, denn beides ist für uns lebensnotwendig. Ohne sind wir nicht in der Lage, zu existieren. Und da die Juden an Schavuot am Berg Sinai die Thora erhielten, entwickelten marokkanische Juden die Wasserspieltradition.

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Quellen:

1. RACINES (ROOTS) - Folklore des Juifs du Maroc
Von Moche (Moshe) Gabbay

Moche Gabbay wurde in Marokko geboren und machte im Jahre 1945 Aliyah nach Israel. Er war Kibbutzmitglied und Armeeoffizier. Überwiegend ist er bekannt wegen seiner Gemälde und Skulpturen.

2. Dr. Dan Manor
Department of Oriental Jewish Studies,
Ben Gurion University of the Negev, in seinem Vorwort zum Buch "RACINES".

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