Montag, April 12, 2010

Der Holocaust an den Chassidim

B"H

Bis vor wenigen Jahren war es in der chassidischen Gesellschaft unüblich, über seine persönlichen Erfahrungen im Holocaust zu berichten. Ich kenne sogar Chassidim, die es grundsätzlich ablehnten (und nach wie vor tun), irgendwelche Entschädigungsgelder aus Deutschland auch nur anzufassen. "Die Verwandten seien umgekommen und das deutsche Geld bringe niemanden mehr zurück", so die Reaktion auf meine Nachfrage. Eine Vergebung findet nicht statt.

Ich selber bin mit der chassidischen Gesellschaft mehr als verbandelt und beschäftige mich im allerhöchsten Maße mit ihr und an Gedenktagen auch mit der Holocaust - Geschichte der Chassidim. Nicht, dass heute mehr erzählt wird als zuvor, denn die chassidische Reaktion auf den Holocaust ist sehr schwer zu erklären und für den Leser noch viel komplizierten zu verstehen bzw. nachzuvollziehen. Der Holocaust wird in kabbalistische sowie chassidische Lehren transformiert und gerade diese Tatsache verkompliziert alles für den Außenstehenden. Andererseits finden die Chassidim auf diesem Wege Erklärungen, die anderen wiederum verborgen bleiben.

Zuerst einmal erwarteten die Rabbiner zur Zeit der Shoah keinen Holocaust. Man kann einwerfen, dass schon der Chafetz Chaim vor seinem Tode im Jahre 1933 eine unendliche Katastrophe vorhersagte, aber wer sieht einen Holocaust solchen Ausmasses kommen ?
Die Juden Osteuropas waren Pogrome gewöhnt. Immer gab es dort Judenhass und wen interessierte Hitlerdeutschland ? Wer rechnete mit einem Krieg ?

Bis zum Einmarsch der deutschen Truppen in die Ostgebiete, gingen die Chassidim ihrem gewohnten Alltag nach. Nichts deutete auf irgendetwas hin. Manche Chassidim machten Aliyah nach Israel, aber das hatte nicht unbedingt etwas mit dem Nazismus in Deutschland oder Österreich zu tun. Stattdessen wollte man im Heiligen Land gemäss der Thora leben. Zionismus was verpönt und wurde von den Chassidim grundwegs abgelehnt. Wer habe das Recht, einen eigenen Staat zu deklarieren, wenn dieser nicht nach der Thora regiert wird ?

Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen verliess kein chassidischer Rebbe seine Chassidim. Bei der Bildung von Ghettos waren es gerade die Rebben, welche ihren Anhängern sowie anderen Juden Kraft gaben. Die Gestapo und die SS konzentrierten Hass und Gewalt gerade gegen den Rebben einer Gruppe. Bei Übergriffen kam der Rebbe als erster an die Reihe. Der Ostrowtzer Rebbe wurde öffentlich erschossen, denn die SS wollte die Moral seiner Gemeinde brechen. Zwanzig seiner Anhänger wollten sich für den Ostrowtzer Rebben opfern. Die Deutschen akzeptierten den Deal, erschossen aber letztendlich die Chassidim samt dem Rebben.

Die Chassidim hingegen versuchten, das Leben ihres Rebben retten und so kam es zu internationalen Hilfsoperationen, um die Rebben in Sicherheit zu bringen. So geschehen bei Satmar, Gur, Belz, Bobov und Klausenburg. Einige dieser Rebben wurden hinterher kritisiert, ihre Chassidim im Stich gelassen zu haben; u.a. der Satmarer, der Gerrer (Gur) sowie der Belzer Rebbe.

Der chassidische Tisch mit dem Rebben am Schabbat wurde auch in den Ghettos fortgeführt, wie bei Karlin, Zichlin, Belz oder Dzikov. Und wer kennt nicht die Lehren des "Esh Kodesh - Rabbi Kalonymus Kalman Shapira", der da im Warschauer Ghetto schrieb, dass die Juden ihr Erbe bewahren müssen. Niemals darf G - tt aus dem jüdischen Leben ausgeschlossen werden. Rabbi Shapira wurde im Jahre 1889 in Polen geboren und im Jahre 1943 bei Lublin von den Deutschen ermordet.

Tzvi Rabinowicz schreibt in seinem Buch "The Encyclopedia of Hasidism", dass chassidische Melodien ausgerechnet in den Ghettos entstanden. Der Gerrer (Chassidut Gur) Chassid Shlomo Zelichovsky sang noch die Melodien als er zum Galgen geführt wurde. Dieser berühmte Vorfall veranlasste den Holocaust - Dichter Yitzchak Katzenelson eine Gedicht mit dem Titel "Dos Lied wegen Shlomo Zelichovsky" zu schreiben.

Egal, welchen Leiden die Chassidim ausgesetzt waren, stets hielten sie das Studium der Thora aufrecht. Der Schabbat sowie die Feiertage waren präsent und somit entstand enebso eine spirituelle Opposition gegenüber dem deutschen Feind. Andere beteiligten sich an den bewaffneten Aufständen gegen die SS und Wehrmacht.

Aus den eigenen Reihen kam gleichermassen Kritik. Der seinerzeit berühmte Rabbi Yissachar Shlomo Teichtal verfasste ein Buch, in welchem er die Juden Europas beschuldigt, tatenlos bei ihrer eigenen Ermordung zuzusehen und nicht nach Israel ausgewandert zu sein. "Esh Kodesh" hingegen betrachtet den Holocaust eher typisch chassidisch: Nämlich als einen Glaubenstest G - ttes.

Nach dem Krieg bauten die Rebben ihre alten Gemeinden wieder auf. Nicht mehr in Osteuropa, sondern in den USA oder Israel. Osteuropa besteht heutzutage aus Friedhöfen und Massengräbern.

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Quelle:

"The Encyclopedia of Hasidism"
von Tzvi M. Rabinowicz


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2 Kommentare:

  1. Wenn schon die Rabbiner zur Zeit der Shoah keinen Holocaust erwarteten, wie sollten es dann nicht-jüdische Menschen "erwarten"?
    Erzählt darüber wird/wurde auch auf Seiten der Nicht-Juden nicht, weil es eine unfassbares Verbrechen war, dass nicht nur an Juden, sondern auch an anderen Europäern -auch Deutschen- begangen wurde. Und niemand hat es geschafft, sich dagegen erfolgreich zur Wehr zu setzen.
    Geld für Tote nicht anzunehmen halte ich für absolut richtig. Es entwürdigt die Opfer.
    Vergeben kann nur Gott.

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  2. B"H

    Ein etwas unterdruecktes Thema ist, inwieweit einige Rabbiner von der Shoah wussten. Ich kann Dir ein viel diskutiertes Beispiel nennen:

    Es wird gesagt (und ich sage nicht, dass es stimmt, denn irgendwie habe ich noch niemanden mit eindeutigen Beweisen entdeckt), dass der einstige Satmarer Rebbe Yoel Teitelbaum zwar mit dem Kastner - Zug entkam, seine Chassidim jedoch nicht warnte. Dasselbe wird vom damaligen Belzer Rebben, Rabbi Aharon Rokeach, gesagt.

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