B"H
Zugegeben, das Polizeiaufgebot war wider Erwarten nur mehr als gering, was mit Sicherheit an den Feiertagen lag. Die anti - zionistische Dachorganisation "Edah HaCharedit" hatte eine Großdemonstration für den Dienstag an Chol HaMoed Pessach angekündigt und ihre Rabbis waren alle pünktlich und vollzählig zur Stelle. Austragungsort der Demo war der "Kikar Schabbat"; eine Kreuzung, welche die Stadtteile Ge'ulah und Mea Shearim voneinander trennt. Ansonsten heftig belebt, waren die Zufahrtsstrassen nun gesperrt. Der einzige Störenfried, von dem die Haredim (Ultra - Orthod.) gar nichts mitbekamen, war eine 10 – Mann - Gegendemo an der Kreuzung Strauss (Einfahrt nach Ge'ulah) - Jaffa Road sowie King George. Hier wollten die absolut Säkuleren ihren Chametz - Standpunkt a la "Ich bin ein freier Mensch und kann tun und lassen, was ich will" vertreten. Allerdings haben sie G - tt dabei völlig außer Acht gelassen.
Man kann zum Thema "Chametzverkauf (Getreideprodukteverkauf) in Israel an Pessach" stehen wie man will, über eines jedoch sollten alle einmal ehrlich in sich kehren. Wo beginnt eigentlich die Grenze, an der die säkuleren Juden sagen "Schluß mit der Anpassung an die nichtjüdische Welt. Bis hierher und nicht weiter, denn hier beginnt mein Judentum und meine jüdische Identität" ?
Und wieweit bin ich tatsächlich in der Lage, über mein Leben frei zu bestimmen ? Wer oder was bin ich ? Und was, wenn ich wirklich nur eine Art Marionette sein sollte, die über keinerlei "Freien Willen" verfügt und ausschließlich damit beschäftigt ist, ein Rädchen in G - ttes Getriebe zu sein, wie der Ischbitzer Rebbe, Rabbi Mordechai Yosef Leiner, kommentierte. Wahrscheinlich ist es sogar besser, hierauf lieber keine konkrete Antwort zu bekommen.
Und genau das war das Thema der Demo. Die offizielle Erlaubnis an die Läden an Pessach die biblisch verbotenen Getreideprodukte (Chametz) zu verkaufen. Diese Entscheidung ging der Edah HaCharedit zu weit.
Die Edah HaCharedit ist, wie gesagt, eine anti – zionistische Dachorganisation mit ihrem Hauptquartier in der Strauss Street – im Jerusalemer Stadtteil Ge'ulah. Genau genommen handelt es sich bei der Edah um einen Zusammenschluß mehrerer haredischer (ultra – orthod.) Gruppen bzw. Ausrichtungen. So sind die chassidischen Gruppen Satmar, Duschinsky, Toldot Aharon, Toldot Avraham Yitzchak (bilden eine kleine Ausnahme, da sie oft nach außen hin recht offen wirken), oder Spinka sowie Teile Breslovs vertreten. Die eher geheime Gruppe "die Mischkenot HaRoim" ist nicht unbedingt eine chassidische Gruppe, sondern eher eine Organisation mit einem gewissen Ziel. Dennoch sind sie ein nicht außer Acht zu lassendes Mitglied in der Edah. Ganz wichtig sind auch die Brisker, das frühere originale litvische "Rabbi Soloveitchik – Movement". Und wie ich unendliche Male zuvor schon darlegte, gehört die "Neturei Karta" NICHT der Edah HaCharedit an, denn sie hat ihre eigenen Regeln und besteht darüberhinaus eh aus mehreren Strömungen und ist keineswegs nur eine einzige Gruppe.
Die Mishkenot HaRoim am letzten Purim Schuschan (im März)
Zwei Organisationen sind in der israelischen haredischen Welt grundsätzlich auseinanderzuhalten und dies sind zum einen die "Edah HaCharedit" und zum anderen die "Agudat Israel". Die Edah ist kompromißlos antizionistisch, die Agudah hingegen sitzt mit ihrer eigenen Partei "Yahadut HaTorah" in der Knesset. Die Edah HaCharedit verachtet die Agudat Israel, da sie in ihr relig. Juden in Zusammenarbeit mit dem "zionistischen Feind" sieht. In der Agudah sitzen litvische Haredim genauso wie die Chassidut Gur (Gerer Chassidim), Chassidut Vishnitz und die Chassidut Belz. Die ursprünglich polnische Chassidut Gur war von Beginn an Mitglied in der Agudat Israel, Belz hingegen war bis ca. 1982 Mitglied der Edah. Als der jetzige Belzer Rebbe Yissachar Dov Rokeach entschied, die Edah zu verlassen (ca. im Jahre 1982), um sich der Agudah anzuschliessen, kam es zum Kleinkrieg zwischen Belz und Edah Gruppen wie Satmar sowie den Toldot Aharon. Bis heute ist der Krieg nie offiziell beigelegt worden und ich höre immer wieder unterschiedliche Ansichten darüber.
Da chassidische Gruppen wie Belz oder Gur extrem reich sind, hat die Agudat Israel weniger Probleme. Außerdem gewannen ihre Mitglieder so an immensem Einfluß auf der israelischen Politbühne. Die Edah HaCharedit hingegen hängt am Geldbeutel der Chassidut Satmar sowie privater US – Spender. Gegründet wurde die Edah im Jahre 1919 und der berühmte Rabbi Yosef Chaim Sonnenfeld, einer ihrer Gründer, und wurde gleichzeitig zum obersten Rabbiner der Edah ernannt. Gründungsgrund war, dass die Edah HaCharedit das zionistische Oberrabbinat (unter Rabbi Avraham Yitzchak HaCohen Kook) der damaligen Britischen Mandatsregierung nicht anerkennen wollte.
Wer die Edah HaCharedit mehr oder weniger in Action sehen will, der muß sich nach Mea Shearim oder Bnei Brak begegeben und entweder die Mitteilungsposter an der Häuserwänden lesen oder mit Chassidim der jeweiligen Edah – Gruppen sprechen. Eine weiteres Vorurteil, welches leider immer wieder von unwissenden Leuten, meistens Touristen, verbreitet wird ist, dass alle Bewohner Mea Shearims antizionistisch und total extrem seien. Mea Shearim wird jedesmal gerne als DAS extreme Beispiel der Haredim aufgeführt. Diesen Unwissenden kann ich nur entgegensetzen, dass diese Aussagen dumme Vorurteile von Leuten sind, die keine Ahnung haben.
Erstens sind nicht alle Bewohner Mea Shearims antizionistisch oder Mitglieder der Edah. Hierfür gibt es genügend Beispiele kleiner Fehden zwischen Edah – Mitgliedern und jenen chassidischen Mea Shearim – Gruppen, die sich offener geben. Avraham Yitzchak geht allen als Beispiel voraus. Obwohl Edah – Mitglied, geht deren Rebbe Shmuel Yaakov Kahn nicht selten eigene Wege und handelt sich somit harrsche Edah – Kritik ein. Aber auch das Nichtmitglied Karlin – Stolin fing sich schon so manches Mal den Mißmut verschiedener Edah – Gruppen ein.
Und im Gegensatz zu Bnei Brak (nahe Tel Aviv) ist Mea Shearim, man möge es kaum glauben, wesentlich liberaler. Was in Mea Shearim noch durchgeht, ist in Bnei Brak grundsätzlich verpönt. Vielleicht herrschen die litvischen Juden in Bnei Brak, aber dennoch gibt es chassidische Stadtteile wie Kiryat Vishnitz, den Satmarer Stadtteil, sowie weitere chassidische Gruppen wie Zhvil, Skver, Sadigora (manche sagen "Sadigura"), die Schomrei Emunim, Koschnitz, Gur und die Neturei Karta mit ihrer eigenen Synagoge darf auch nicht fehlen. Und das sind noch längst nicht alle.
Für einen Außenstehenden ist es wahrlich nicht leicht, die Ideologien der Edah HaCharedit auch nur annähernd zu verstehen. Und für mich ist es wiederum keineswegs einfach, alles begreiflich herüberzubringen. Ich denke, dass man in der haredischen Gesellschaft leben muß, um einigermaßen ein Gefühl für die Ideen zu bekommen. Auch um zu sehen, was eigentlich dahintersteckt (z.B. gesellschaftsmässig). Weiterhin ist selbstverständlich eine gehörige Portion Wissen über die jüdische Religion notwendig.
Soweit die kleine kurze Einführung in die Materie der Edah HaCharedit, über die es von außerhalb soviele Vorurteile aufgrund von Unkenntnis gibt.
Als ich zur Edah – Demo am vergangenen Dienstag kam, gab es zuerst nur eine spärlich langsame Ansammlung von Chassidim. Man hatte die Strauss Street sowie die Yechezkel gesperrt und einen Lastwagen in der Mitte geparkt. Auf der Ladefläche des LKWs waren weiße Stühle aufgestellt, auf denen die Edah – Rabbis Platz nahmen.
Wie gewohnt standen vorne die Männer und die vereinzelt anwesenden Frauen standen im Hintergrund. Hören konnte ich dennoch alles, nur mit der Sicht gab es bei etwas mehr als 100m Entfernung manchmal Probleme, und daher bin ich nicht in der Lage alle Namen der Edah – Rabbis aufzuzählen, welche Reden hielten.
Sogleich ging es auch zügig los. Die Chassidim der Toldot Aharon regelten oder besser gesagt beherrschten die Demo. Wobei die Edah die Demo nicht "Demo" nannte, sondern "Versammlung". Zu Beginn wurden Tehillim (Psalmen) verlesen und danach kam ein Rabbi nach dem anderen zu Wort. Gesprochen wurde in Jiddisch und einmal auch auf Hebräisch. Die Redner waren, u.a., Rabbi Moshe Sternbuch und Rabbi Rosenberger (von der Chassidut Satmar).
Sämtliche Redner waren sich in einem Punkt besonders einig:
60 Jahre zionistischer Staat Israel – was hat uns das wirklich beschert ?
Ein nichtrelig. oder teilweise sogar antirelig. Staat, der seine Aufgabe darin sieht, ein moderner jüdischer Staat zu sein. Aber kann es ohne Thora eine Moderne geben oder ist die Thora auch Moderne ?
Vorweg genommen: Natürlich ist die Thora Moderne, denn sie gilt bis in alle Ewigkeiten.
Laut der Meinung der Edah HaCharedit hat das zionistische säkulere Bildungswesen total versagt. Was wurde da für eine Jugend herangezüchtet, die ihr Wohl darin sieht, modern und westlich zu sein ? Vielleicht wäre dagegen weniger einzuwenden, wenn da nicht die Thora völlig außer Acht gelassen werden würde. Wo sind wir nur gelandet ? Ein Volk, welches vor einigen Jahren niemals auf den Gedanken gekommen wäre, relig. Konzepte abzulehnen oder zu verachten ? Was wird aus dem Jüdischen Volk ohne Thoraideale ? Wir sind von G – tt zum Auserwählten Volk deklariert worden, aber anscheinend sei diese Deklaration vielen so modernen und gebildeten Leute heutzutage egal. Was schert mich das alles ? Und die Schuld trägt ein Bildungswesen, welches von Politikern ausgearbeitet wurde, die selber keine Ahnung bzw. Achtung vor Werten haben. Was also soll dabei herauskommen ?
Ich muß sagen, dass ich in den Punkten nicht hätte mehr mit der Edah HaCharedit übereinstimmen können.
Aber es kamen noch viele weitere Kontroversen zur Sprache und es wäre wünschenswert gewesen, wenn sich auch Mitglieder bzw. Chassidim der Agudath Israel eingefunden hätten. Allerdings standen nur drei oder vier verirrte Belzer Chassidim herum und zwei von mir gesichtete Chassidei Gur gingen nur schnell vorbei. Leider leider hält sich der Gerer Rebbe nur allzu sehr aus vielen Belangen heraus. Meines Erachtens nach, um keine politischen Konflikte zu schüren, denn die Chassidut Gur mit Knessetmitglied Yaakov Litzmann ist ein lebenswichtiger Faktor der "Yahadut HaTorah – Partei". Politik hin oder her, es gibt Zeiten, Stellung zu beziehen und da sollte es egal sein, ob man mit der Edah übereinstimmt oder nicht.
Zu Beginn der Demo oder Versammlung war, wie könnte es auch anders sein, die Presse angerückt. TV – Kameras waren aufgestellt worden und die Reporter strömten aus. Dies geschah in aufdringlicher Art und Weise und die Presse war, ohne Zweifel, auf Skandale aus. Erstens sollte die Edah als fundamentalistischer Krawallclan dargestellt werden. Rabbiner mit langen Bärten und Chassidim, die sie eh nicht alle haben. Allerdings war die Presse ziemlich dämlich, denn sie entsandte Reporter ohne Jiddischkenntnisse und daher verstand man die Ansprachen nicht. Und so mußten die Chassidim bei Interviews herhalten. Dies wurde jedoch schnell per Mikrofon unterbunden, indem man dazu aufrief, der säkuleren Skandalpresse keine Auskunft zu erteilen. Ein paar litvische amerikanische Yeshivaleute spielten sich dann groß vor der Presse auf, ohne jedoch eine Ahnung zu haben, da sie selber des Jiddischen nicht mächtig waren. Schließlich entsandte die Edah sogar Aufpasser, um jeden Pressekontakt zu unterbinden.
Andererseits fragte ich mich, welches Bild nun die Säkuleren im TV von den demonstrierenden Chassidim bekommen. Da sitzt man vor dem Fernseher und sieht strengdreinblickende Rabbiner mit langen Bärten dasitzen. Was sagt mir das in Tel Aviv oder in Eilat ? Kann so tatsächlich ein relig. angelegter Protest dem ganzen Volke zugänglich gemacht werden ? Oder denken die halt nicht wieder am Ende, dass alle in Mea Shearim eh gestört seien ?
Auch hier sollte jeder in sich kehren und einmal hintergründig über das Anliegen nachdenken. Es geht nicht darum, mich eindeutig mit Mea Shearim zu identifizieren und morgen dorthin zu ziehen. Vielmehr geht es um immer mehr verloren gegangene jüdische Ideale sowie Thorakonzepte. Haben die Rabbis der Edah nur unrecht oder sprechen sie nicht einen wunden Gesellschaftspunkt an ? Sind die Rabbiner der Edah nicht eher das schlechte Gewissen aller, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen ?
Ich denke, dass die Edah HaCharedit eine Imageaufpolierung nötig hat und zumindest eine Internetrepräsentanz haben sollten. Nur abkapseln allein genügt heute nicht mehr. Dies lernte schon vor wenigen Jahren die extreme Chassidut Toldot Aharon als sie Rabbi Popenheim als Medienvertreter abstellte.
Und obwohl ich mit der Edah in vielen Punkten sogar übereinstimme, hätten die Redner vielleicht alles nicht so schwarz malen müssen. Natürlich drohen vom Thoragesetz her strenge g – ttliche Strafen im Falle des Essen von Chametz an Pessach. Und es ist unbestreitbar, dass das Jüdische Volk für diverse Vergehen von G – tt bestraft wird.
Andererseits jedoch soll man sich auch immer auf positive Dinge konzentrieren und diese lauten, dass der absolute Großteil der Bevölkerung die offizielle Entscheidung des Verkaufes von Chametz an Pessach total ablehnt. Nicht alle Bürger sind so verdorben wie angenommen. Auch das sollte erwähnt werden.
Am Ende der Versammlung wurden zwei Gebete vom Yom Kippur (Versöhnungstag) gebetet. Danach löste sich die Versammlung mehr als friedlich auf und jeder ging seiner Wege. Die Presse hatte sich zu dem Zeitpunkt schon längst aus dem Staube gemacht.
In weiteren Beiträgen wird es auch weiterhin um die Edah HaCharedit, den Antizionismus sowie das Verhältnis zu anderen haredischen Anschauungen und Gruppierungen gehen.
Links zum Thema:
Der andere Zionismus
Rebbe Shmuel Yaakov Kahn und die Knesset
Der Bann der Neturei Karta
Sonntag, April 27, 2008
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