Sonntag, Juni 14, 2009

"Kerut Schafcha"

B"H

Als ich auf meinem englischen Blog ein bestimmtes Photos eines chassidischen Rebben veröffentlichte, ahnte ich nicht, was mich erwartet. Nicht, dass die Kommentare sich allein um besagte Rebben drehten; vielmehr ging es nebenher um den einstigen Leiter der Neturei Karta in Mea Shearim, Rabbi Amram Blau (Bloi), der im Jahre 1974 verstarb.



Rabbi Amram Blau (Bloi), 1894 - 1974, Oberhaupt der Neturei Karta in Mea Shearim.

Rabbi Blau wurde durch seine wilden Demonstrationen gegen verschiedene Erlasse des für ihn "zionistischen Staates Israel" bekannt, aber in der haredischen (ultra - orthodox.) Gesellschaft fiel er dadurch auf, dass er nach dem Tode seiner ersten Frau die französische Konvertitin Ruth heiratete. Verwandte des Rabbis regten sich so auf, dass sie vor ein Beit Din (rabbinisches Gericht) zogen und der Rabbi samt neuer Frau für ein Jahr in die Stadt Bnei Brak (nahe Tel Aviv) verbannt worden waren. Ruth andererseits hatte eine gewisse History hinter sich, über die ich noch in alles Ausführlichkeit berichten werden.

Wieso aber sollte ausgerechnet Rabbi Amram Blau die Konvertitin Ruth heiraten ? Wer macht solch einen Schidduch (Heiratsmatch), denn wissen wir nicht zu genau, dass die haredische Gesellschaft nicht unbedingt Neuzugänge heiratet. Baalei Teshuva (später im Leben relig. gewordene Juden) oder Konvertiten zum Judentum werden in der Regel mit Gleichgesinnten verheiratet.

Warum also heiratete Rabbi Blau die Ruth ?

Ein Leser machte mich auf eine Halacha aufmerksam, die ich bis dahin noch nicht kannte. Im Fachjargon wird sie "Kerut Schafcha" genannt und ursprünglich stammt das Gesetz aus der Thora (Sefer Devarim - Deuteronomy 23:2). Bei "Kerut Shafcha" handelt es sich um einen Juden, dessen Genital verletzt wurde und er aufgrunddessen unfähig ist, Kinder zu zeugen. Sobald solch ein Mann eine Ehepartnerin sucht, ist es ihm nur erlaubt, eine Konvertitin zum Judentum zu heiraten. Die Thora verbietet diesem Mann eine Ehe mit einer geborenen Jüdin einzugehen.

Die genauen Details zu dieser Halacha finden wir im "Schulchan Aruch - Code of Jewish Law", der "Mischna Thora - Hilchot Biah 16:1" des Rambam (Maimonides, 1135 - 1214) sowie im Talmud Traktat Yevamot 76a.

Dies war also der Grund, warum Rabbi Blau die Ruth heiratete, denn er war an seinem Genital verletzt worden und konnte ab einem gewissen Zeitpunkt keine Kinder mehr zeugen. Also kam für ihn als zweite Frau nur eine Konvertitin in Frage.
Warum gerade eine Konvertitin ? Klingt das nicht irgendwie abwertend ?
In der Thora heißt es, dass "derjenige nicht in die Gemeinde G - ttes einheiraten darf". Sprich keine geborene Jüdin heiraten darf.

Hierzu kommentiert Rasch, dass obwohl Konvertiten halachisch einwandfrei zum Judentum konvertierte, sie dennoch nicht zur "Gemeinde G - ttes" zählt. Im Talmud Traktat Kidduschin 72b - 73a gibt es einen Disput zwischen Rabbi Jose und Rabbi Yehudah. Letzterer vertritt die Ansicht, dass eine Konvertitin zum Judentum sehr wohl zur "Gemeinde G - ttes" zählt; Rabbi Jose hingegen sagt NEIN und die hier angesprochene Mischna in Talmud Yevamot 76a folgt der Meinung des Rabbi Jose.

Ein kurzer Ausflug in den Talmud Kidduschin 72b - 73a:
Hier legt Rabbi Jose fest, dass ein Konvertit zum Judentum (egal, ob männlich oder weiblich) einen Mamzer / eine Mamzeress heiraten darf. Ein Mamzer (im Deutschen vielleicht mit "Bastard" zu übersetzen) ist ein Kind hervorgegangen aus einer in der Thora verbotenen Beziehung. Zum Beispiel ging die Frau während der Ehe fremd.
Den Begriff des Mamzer aber nicht verwechseln mit dem "Chalal" - dem Kind eines Cohen (Tempelpriesters) und einer ihm verbotenen Frau (siehe Leviticus 21:7).

Auch an der Stelle des Mamzer führt Rabbi Jose an, dass ein Konvertit nicht zur "Gemeinde G - ttes" gehört. Den Begriff "Gemeinde G - ttes" finden wir 5x in der Thora; immer dort, wo bestimmt wird, er nicht in die "Gemeinde G - ttes" einheiraten darf. Unter anderem finden wir hier die Mamzerim, die Ammoniter und die Moabiter, Ägypter und Edomiter.

Andererseits ist es einem männlichen Konvertiten zum Judentum erlaubt, die Tochter eines Cohen zu ehelichen, wohingegen ein Cohen selber keine Konvertitin heiraten darf.

Aber zurück zum Talmud Yevamot 76a:
Was, wenn ein im Genitalbereich verletzter Jude ein Cohen ist ? Darf er dann trotzdem eine Konvertitin heiraten ?

Die Meinungen sind gespalten, allerdings gilt die Regel, dass in dem Falle der Cohen von seinem besonderen Amt entbunden ist und eine Konvertitin heiraten darf (siehe unter anderem Rabbeinu Tam und den Ramban - Nachmanides, the Rambam - Maimonides sowie den Schulchan Aruch).

Ehrlich gesagt verstehe ich immer noch nicht, warum Konvertiten zum Judentum nicht zur "Gemeinde G - ttes" gehören. Allein, weil die Liste mit den verbotenen Mamzerim, etc. irgendwie auch auf Konvertiten ableiten lässt ?

10 Kommentare:

  1. Anonym8:21 PM

    Ich verstehe es auch nicht und in meinen Augen ist das auch abwertend.

    Yael

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  2. B"H

    Ich habe wie bloed durch die Thora, den Talmud und die Mischna Thora geschaut und keinen Grund fuer die Halacha gefunden.
    Die Thora sagt NICHT ausdruecklich, dass bei einer Genitalverletzung der Mann eine Konvertitin heiraten muss, sondern lediglich, dass er nicht in die "Gemeinde G - ttes" einheiraten darf.
    Der Rest der Halacha (mit Konvertitin und so) besteht auf Interpretation. Vorwiegend von Raschi !!!

    Aber ich will mich noch einmal durch den Schulchan Aruch blaettern und vielleicht finde ich dort einen Grund.

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  3. Anonym5:48 PM

    Ich finde es ungeheuerlich, daß man ohne jeden konkreten Beweis (hat ihn denn überhaupt jemand darauf angesprochen?) diesem guten Rabbi Zeugungsunfähigkeit unterstellt, nur weil man sich nicht erklären kann, daß er die Traditionen seiner Gruppe verletzt und "unter seinem Stand" geheiratet hat. Immerhin war er das erste Mal doch standesgemäß verheiratet, warum darf er da nicht als Witwer noch eine etwas unkonventionellere Zweitehe eingehen? Immerhin kann die Konvertitin von ihm sicher sehr viel lernen, und vielleicht ist das ja auch ein Grund, der ihn zu einer solchen Eheschließung veranlaßt hat.

    Ich finde es ebenso ungeheuerlich, wenn eine solche üble Nachrede dann auch noch als Aufhänger für religiöse Belehrung verwendet wird. Die Verbreiter und Aufgreifer dieser Gerüchte sollten sich wirklich schämen!

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  4. B"H

    Rabbi Amram Blau war nicht von Geburt an zeugungsunfaehig, sondern erlitt im Laufe des Lebens eine Verletzung. Die Leute, die ich befragte, wussten allerdings nicht genau zu sagen, woher die Verletzung stammte. Entweder vom Krieg im Jahre 1948 oder von einer Schlaegerei mit der Polizei bei einer Demonstration.

    Mit seiner ersten Frau hatte Rabbi Blau Kinder und deswegen musste keine Ehescheidung erfolgen, wie dies sonst der Fall ist, wenn ein Paar nach zehn Jahren immer noch keine Kinder hat.

    Als seine Frau Anfang der 60iger Jahre starb und Rabbi Blau wiederheiraten wollte, trat die Halacha betreffend der Zeugungsunfaehigkeit ein.

    Die Halacha selbst ist, wie gesagt aus der Thora (Deuteronomy 23:2). Die Auslegung, der Betreffende koenne nur eine Konvertitin zu talmudischer Zeit und spaeter kommentierte auch Raschi dazu.

    Ruth, seine zweite Frau, schrieb ein Buch ueber ihr Leben, welches in franz. + hebrae. Sprache erschienen ist.

    Insgesamt bin ich mit dem Thema noch nicht fertig und werde noch einiges ueber die Beiden berichten.


    http://en.wikipedia.org/wiki/Amram_Blau

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  5. Anonym9:30 PM

    "Immerhin kann die Konvertitin von ihm sicher sehr viel lernen"

    Das kann eine Baal Tschuwa auch (ich kenne die weibl. Form jetzt nicht), das sehe ich nicht als Grund.
    Mir kommt es wirklich bisweilen so vor, als würden Gerim weniger gelten als geborenene Juden.
    Als Betroffene macht mich das mitweilen richtig sauer.

    Yael

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  6. B"H

    @ Yael

    Die weibliche Form waere "Ba'alat Teschuva".

    Zu dem Thema will ich morgen mehr schreiben, denn ich war am Schabbat in Mea Shearim und dort kam wieder einmal das Thema "Baal Teshuva - Juden, die erst spaeter im Leben relig. werden" auf.

    Sobald ich darueber in meinem engl. Blog berichte, werde ich von einigen, wahrscheinlich Baalei Teshuva, als Luegnerin bezeichnet. Das sind immer genau die Leute, die sich selber etwas vormachen und verkrampft versuchen, der Religion zu folgen und alles richtig (oder ueberrichtig) machen wollen.

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  7. Anonym11:29 PM

    Ich bitte für meinen voreiligen Vorwurf der üblen Nachrede vielmals um Entschuldigung. Wenn man diesem Artikel des Jahres 1965 aus dem Time Magazine

    http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,834305-1,00.html

    glauben schenken kann, war er selbst es, der damals öffentlich seine Zeugungsfähigkeit in Frage gestellt hat, damit er seine konvertierte Verlobte heiraten konnte.

    Seine Liebe zu Ruth muß wirklich sehr groß gewesen sein, daß er bereit war, ihr zuliebe dieses Opfer zu bringen.

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  8. B"H

    Keine Bange ! Ich haette wahrscheinlich auch so aufgebracht reagiert.:-)

    Allerdings ist es zwar nicht so, dass man eine Zeugungsunfaehigkeit hinausposaunen muss, doch sollte man schon einem Rabbiner anvertrauen. Vor allem dann, wenn man einen Ehepartner sucht.

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  9. "Seine Liebe zu Ruth muß wirklich sehr groß gewesen sein, daß er bereit war, ihr zuliebe dieses Opfer zu bringen."
    Verstehe ich nicht ganz. Auch wenn er diesen Makel nicht hat hindert ihn doch niemand daran, eine Gioret zu heiraten. Warum muss er dann darüber reden?

    Wenn man ihn doch daran hindern will: lass die Leute reden...

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  10. B"H

    Auch wenn er diesen Makel nicht hat hindert ihn doch niemand daran, eine Gioret zu heiraten.

    Das stimmt. In diesem Falle aber musste er einen Konvertitin heiraten und hatte keine andere Wahl, ausser alleinstehend zu bleiben.

    Ich erlebte es nicht selten, dass Kinder in Mea Shearim ihre verwitweten Eltern lieber weiterhin alleinstehend sehen wollten als ein zweites Mal verheiratet. Ich weiss nicht, was der grund bei den Blaus war, doch ist es in der Regel die Angst ums Erbe.

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