Mittwoch, September 05, 2007

Unerwartete Auswirkungen

B"H

Vorgestern hatte ich gleich zwei unerwartete Begegnungen. Zum einen traf ich einen guten Freund wieder, den ich mindestens zwei Jahre nicht gesehen hatte. Dem ein oder anderen mag das vielleicht nicht ungewoehnlich erscheinen, denn soetwas passiert ja schliesslich haeufiger.

Auf dem Weg in die Baeckerei sah ich David mit einem Freund rein zufaellig in einer ziemlich heruntergekommenen Falafel - Bude sitzen. Wir erkannten uns gleich wieder und zur allgemeinen Begeisterung teilte er mir mit, dass er kuerzlich zusammen mit seiner Frau Aliyah machte (nach Israel eingewandert war) und nun nicht mehr in Australien, sondern in Tel Aviv lebt. In der Heiligen Stadt, wie er Tel Aviv sarkastisch nannte.

David und ich verbindet ein gemeinsames Interesse, welches wir mit dem gleichen Fanatismus verfolgen. Und es ist nicht ungewoehnlich, dass wir uns aufgrund unseres Fanatismus vor mehr als drei Jahren zum ersten Mal trafen. Er war Tourist und lebte derzeit in London. Wir trafen uns an einem obkuren Ort in der Altstadt. Ich ging durch eine Strasse mit dem kurz zuvor neu erstandenen Buch in der Hand (eine Kurzausgabe des kabbalistischen Zohar) und ploetzlich stand ein Freak neben mir. Abgewetzte Jeans, Wanderstiefel, etwas aelter als 40 Jahre und quatschte mich auf Englisch an. Ob er mal einen Blick in mein Buch werfen koenne. Ich dachte, es handele sich entweder um einen der christlichen Missionare oder einen anderen Durchgeknallten, denn in der Altstadt trifft man ja bekanntlich auf alles.

Natuerlich lehnte ich ab, ihm das Buch zu geben und nach einigem Hin und Her stellte sich heraus, dass er ein bekannter Talmud - u. Kabbalahlehrer ist und in England und Australien Vortraege haelt. Zu jener Zeit waren wir beide auf einem voelligen Kabbalahtrip und lernten so ziemlich alles, was uns in die Haende kam.

Ausserdem verbindet uns beide die gleiche Vergangenheit, denn beide sind wir beim ersten Mal in der haredischen Gesellschaft gescheitert und hatten so unsere Krisen durchlitten. David lernte fuenf Jahre auf einer Yeshiva und war dabei Rabbiner zu werden als seine Krise ausbrach. Beide verbindet uns der Hang zur Religion, der uns auch nach den Krisen nie abhanden kam.

Als wir uns wiedersahen, war er gerade auf dem Weg zur OU, der Orthodox Union (Israel Center) in der Keren HaYesod Street). Jeden Montag Abend unterrichtet er dort talmudische Geschichte und ich versprach, demnaechst einmal vorbeizuschauen. Unsere Kabbalah - Leidenschaften haben wir momentan beiseite gestellt und beschaeftigen uns stattdessen mit anderen Themen. Aber es ist immer gut, jemanden zu kennen, mit dem man sein Interesse ausleben und diskutieren kann. Dies ist nun leichter, denn wir leben beide im selben Land.

Abends ging ich zur Klagemauer (Kotel) und hatte dort eine weitere Begegnung. Zufaellig traf ich auf Chaya, die Schwester einer Kollegin, welche sich vor wenigen Jahren entschlossen hatte, religioes zu werden. Nicht nur religioes, sondern richtig haredi (ultra - orthod.). Jetzt ist sie eine eher merkwuerdige Mischung aus Breslov und Satmar. Bei Breslov lernt sie und mit Satmar hat sie den Anti - Zionismus gemein. Mich ueberraschte das nicht, sitzen doch sogar einige Teile von Breslov in der anti - zionistischen Dachorganisation Edah HaCharedit in Mea Shearim.

Und dann erzaehlte mir Chaya, wie sie religioes wurde und was ihr die meisten Probleme bereitete. Jeder, der religioes wird, hat seine persoenlichen Stories ueber seine kleinen Problemchen, die ihn ueberkamen. Aber Chayas Problem ueberraschte mich wirklich.
Und so erfuhr ich von ihren zwei Hunden, die sich ploetzlich in eine Muktze am Shabbat verwandelt hatten.
Muktze sind Gegenstaende, die man am Shabbat beiseite legt, um nicht in Versuchung zu geraten, sie zu benutzen. Beispiele: Stifte, Radio etc. Auch Haustiere fallen unter diese Kategorie, denn deren Fuetterung ist am Shabbat verboten.

Man sagte ihr, dass sie ihre Hunde weggeben muesse, aber sie befragte einen Rabbiner und der meinte, dass wenn die Hunde seit deren Geburt bei ihr waren, sie diese behalten koenne. Die Hunde einfach so wegzugeben, kaeme jetzt nach 16 Jahren nicht mehr in Frage. Allerdings solle sie sich keine neuen mehr anschaffen. Das Problem mit den Hunden haette sie damals in eine tiefe Krise gestuerzt.

Wenn sich jemand entschliesst, religioes, vor allem haredi, zu werden, hat das in den meisten Faellen ungeahnte Auswirkungen. Entweder geht alles gut oder es geht richtig schoen schief, aber auf dem Wege zu der Erkenntnis herrscht manchmal wildes Chaos. Fuer denjenigen, der Familie hat, ist oft alles noch viel komplizierter, da es vorkommen kann, dass die Familie nicht so ganz mitzieht beim "neuen Leben" und eventuell auseinanderbricht.

Fuer mich ist es immer wieder interessant, Stories ueber den sogenannten Wandel im Leben zu hoeren, denn gewoehnlich kommt dabei viel Interessantes zum Vorschein. Ausserdem sieht man, dass auch andere Leute so ihre Kaempfe mich sich selbst haben.

Chaya passt in die haredische Gesellschaft, aber bei David und mir steht ewig alles in den Sternen. Zu introvertiert und wahrscheinlich hinterfragen wir auch zuviel. Wir sind nicht die Anpasser, die ihre Meinung unterdruecken und allen zum Wohle der Anerkennung nur gefallen wollen. Aber anscheinend braucht die Gesellschaft und das Judentum auch solche Charaktaere wie uns. Probleme mit der haredischen Gesellschaft, sprich den Haredim selber, haben wir keine. Eher im Gegenteil, denn irgendwie loesen solche Leute wie wir bei ihnen eine ernsthafte Neugier aus und beide Seiten bemerken dann, dass wir uns gar nicht so sehr unterscheiden wie urspruenglich angenommen.

Wer gerade im Teshuva - Prozess (relig. werden) ist und ploetzlich mit Problemen aller Art konfrontiert wird, dem sei hier gesagt, dass er gewiss nicht alleine dasteht und es auch anderen so ergeht.
Vor allem jetzt vor Rosh HaShana mag das dem ein oder anderen ein wenig Zuversicht geben.

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