Freitag, September 28, 2007

Eine andere Welt

B"H

Sukkot in Jerusalem ist eine Welt für sich und dies trifft besonders auf die Feierlichkeiten des Laubhüttenfestes im ultra - orthod. Stadtteil Mea Shearim zu. Allein schon bei unseren allwöchentlichen Tischbesuchen der chassidischen Rebbes tauchen wir in eine andere Welt ab. Alles ist faszinierend und interessant zugleich.

Was wir jedoch heute Abend erlebten, stellt fast bisher alles Dagewesene in den Schatten. Da ist, zum Beispiel, zuerst das grosse Chabad Konzert zum Simchat Beit HaShoeva. Simchat Beit HaShoeva ist eine alte Tradition aus dem Ersten und Zweiten Tempel, in der Wasser aus dem Shiloach, in den heutigen Ruinen der Stadt König Davids unterhalb des Ölberges, hinauf in den Tempel getragen wurde. Diese Zeremonie wurde vor mehr als 2000 Jahren begeistert gefeiert und die Tradition hat sich bis heute aufrecht erhalten. Leider haben wir derzeit keinen Tempel, doch finden heutzutage die Simchat Beit HaShoeva - Zeremonien mit riesigen Konzerten und Tänzen statt.

Nachmittags erfuhren wir, dass die chassidische Gruppe Chabad ein grosses Simchat Beit HaShoeva in der Channah - Street feiern will. Das Fest sollte um 21.00 Uhr beginnen und war höchst umstritten. In der Tat hingen in ganz Mea Shearim Plakate aus, die zu einer Demonstration gegen die Chabad - Feierlichkeiten aufriefen. Die Agudat - Israel (Gruppen wie Gur, Belz oder Vishnitz) protestierte und führende Rabbiner, deren Namen jedoch unerwähnt blieben, riefen zur Demo auf.
Meine Freundin und ich wollten uns das Chabad - Ereignis sowie die Demo anschauen. Als Grund für die Demo wurde angegeben, dass es beim Chabad - Konzert nicht anständig genug zugehen täte. Man hörte hinter vorgehaltener Hand, dass Frauen und Männer gemeinsam tanzen würden.

Die Channah Strasse ist ein kleine Strassen zwischen Eli HaCohen Street und der grossen Bar Ilan Street. Pünktlich trafen wir ein und es hatten sich schon mehrere Hundert Leute versammelt. Vor einer Chabad Yeshiva (relig. Schule) war eine Bühne aufgestellt worden und wenige Meter im Hintergrund sah man das grosse Gebäude der Chassidut Kaliv.

Alles ging soweit äusserst anständig zu, denn Männer und Frauen waren absolut voneinander getrennt. Uns war nicht klar, warum demonstriert werden sollte. Als einzigen Grund konnte ich mir nur vorstellen, dass die tanzenden Frauen (welche man jedoch so gut wie gar nicht sah) von den Balkonen der umliegenden Wohnblöcken einsehen konnte. In der ultra - orthod. Welt ziemt es sich für Männer nicht, Frauen beim Tanz zuzuschauen. Bei der Veranstaltung waren die Frauen wie auf dem Präsentierteller einzusehen. Getanzt wurde aber kaum, doch dafür tanzten die Männer vor der Bühne um so wilder.

Chabad hatte sich das Event einiges kosten lassen. So gab es drei grosse Feuerwerke, eine Band und drei riesige Leinwände. Allzu viel los war jedoch nicht und nach einer Stunde beschlossen wir zu gehen.
In der Channah Street hatten windige Verkäufer flugs zu dem Event Popcorn - bzw. Süssigkeitsstände aufgebaut und alles fand reissenden Absatz. Am oberen Teil der Strasse, Kreuzung Eli HaCohen, angekommen, gab es eine Polizeiabsperrung. Etwa Hundert Chassidim, meistens Vishnitz und Satmar, demonstrierten gegen die Chabad - Veranstaltung. Die Polizei sperrte ab und kurz darauf flogen Feuerwerkskörper in die Menge.

Was man absolut versäumt hatte war, die Eli HaCohen für den Verkehr zu sperren und so gab es ein Chaos. Die Polizei wurde der Lage nicht Herr und der Verkehr wurde von den Haredim total blockiert. Beim ersten Feuerwerkskracher schrien die umstehenden Mädels sofort los, aber zum Glück kam es nicht zu einer Massenpanik. Unten bei Chabad merkte man offensichtlich nichts von den Vorgängen weiter oben in der Strasse.

Alles war nur ein einziges Chaos und plötzlich flog ein Kracher mitten in die Polizeiabsperrung. Der Täter wurde schnell ausgemacht und zu einem Armeejeep der Grenzpolizei geschleppt. Ein ca. 17 Jahre alter junger Haredi wurde in den Jeep geworfen. Hinter dem Jeep standen unter anderem Vishnitzer Chassidim, welche die Polizei gnadenlos beschimpften. Die Polizisten waren dadurch abgelenkt und inmitten des Gewühl entschlüpfte der Verhaftete aus dem Jeep. Dann knallte es erst so richtig. Die Polizei rannte hinter dem Entflohenen hinterher und die Chassidim schlugen von hinten auf die Polizisten ein. Am Ende wurde der Flüchtling wieder gefasst und weitere Polizisten rannten hinter einem weiteren Haredi her. Eine Verhaftungswelle lief an und die Haredim schmissen aus Protest die grossen grünen Mülltonnen auf die Strasse.

Man höre und staune, aber kurz darauf war bei Chabad Schluss und die Polizei blies zum Rückzug. Man packte zusammen und die zwei Verhafteten wurden, von wilden Protestrufen der Haredim begleitet, mitgenommen. Bleibt anzumerken, dass weder die Gruppen Belz noch Gur an der Demo gegen Chabad teilgenommen haben.

Auch wir machten uns kurz darauf den Heimweg und durchquerten Mea Shearim. Wer gemeint hat, dass nur Chabad feiern kann, der irrte gewaltig. Schon von weitem hörten wir aus der Synagoge der chassidischen Gruppe Karlin laute Gesänge und Besucher gingen ein und aus.

In der Hauptstrasse Mea Shearims, der Mea Shearim Street angekommen, war diesesmal die Trennung zwischen Männlein und Weiblein in Kraft. Extra eingestelltes Security - Personal in knallgelben Westen passte auf, dass kein Unbefugter eintrat und, dass Männer und Frauen sich auf verschiedenen Gehwegen fortbewegen. Rechts die Frauen, links die Männer.

Nächster Tatort war die Synagoge der Chassidut Toldot Aharon. Hunderte, wenn nicht Tausende stürmten unaufhörlich hinein und hinaus. Sämtliche Strassen waren nur so mit Menschen gefüllt und Tausende kamen zu Besuch nach Mea Shearim. Das Security - Personal hatte anscheinend Anweisung, keine verdächtigen christl. Missionare oder dergleichen einzulassen, denn es wurde scharf kontrolliert.

Wir entschlossen uns, bei Toldot Aharon vorbeizuschauen und Chabadnikkim, lasst Euch gesagt sein, Toldot Aharon ist die absolute Nummer Eins im Feiern und wilde anti - Demos gibt es bei ihnen nicht. Auf der Frauenempore war es so voll, dass wir trotz aller Anstrengungen nichts sahen, obwohl die alte Mechitza wieder hergerichtet war. Durch riesige Fensterscheiben kann man hinunter zu den Männern schauen, aber wir hatten keine Chance, die Fenster überhaupt nur einzusehen.
Wir gaben auf und suchten den Ausgang. Im Inneren der Synagoge gab es weibliches Security - Personal und es herrschte ein reges Treiben in den Treppenhäusern. Toldot Aharon ist grossartig, doch gesehen haben wir nur sich an die Fenster quetschende Frauen.

Nächste Anlaufstation war die Splittergruppe Toldot Aharons, Toldot Avraham Yitzchak im Markt von Mea Shearim. Dorthin zu gelangen glich einem Unterfangen, denn wir mussten zuerst herausfinden, wo und auf welchen Gehwegen wir erwünscht waren. Männer und Frauen waren ja nach Strassen und Gehwegen getrennt und so waren wir gezwungen, durch einen entlegenen Markteingang zur Avraham Yitzchak Synagoge zu laufen.
Dort angekommen, bot sich das gleiche Bild wie schon bei Toldot Aharon, doch hatten wir etwas mehr Glück und sahen die Chassidim unten im Erdgeschoss tanzen. Ein unbeschreiblicher Anblick. Und überhaupt, wer sagt, dass nur Chabad musizieren könne ? Avraham Yitzchak haben ihre hauseigene Band: Saxophonspieler, Klarinette sowie Keyboard. Es war mächtig etwas geboten.

Die Nacht war unbeschreiblich, allerdings verstand ich nicht, warum Chabad trotz Proteste unbedingt ihr Konzert abhalten wollten. Es wäre sicher sinnvoller gewesen, das Konzert in den Innenräumen der Yeshiva zu verlegen und nicht draussen auf offener Strasse alle Leute zu provozieren.

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