Sonntag, September 07, 2008

Erfahrungen und Gedanken


Mea Shearim


B"H

Ein paar Dinge stehen für mich seit spätestens gestern unerschütterlich fest. Jemand, der sich mehr als ausgiebig mit der chassidischen Gesellschaft beschäftigt, sollte darauf verzichten, andere Leute in die Gesellschaft mit hineinzunehmen. Die beste Devise lautet immer, man gehe allein.

Das größte Problem besteht darin, Außenstehenden jeder Art die professionellen Definitionen sowie die Chassidut mit allem was dazu gehört klarzumachen. Dies ist eine Schwierigkeit, die mir in keinem Blog und auf keiner Site gelingen kann. Ich kann auch von niemandem erwarten, dass er plötzlich absolut professionell dasteht und alle Zusammenhänge restlos versteht. Einige derjenigen, die ich einmal zu speziellen chassidischen Events mitgenommen habe, meinten plötzlich, sie wüßten, was Sache ist und begannen anderen Leuten etwas zu erklären. Völlig verdreht und halb aus der Luft gegriffen.

Gestern nahm ich drei weitere Mädels mit nach Mea Shearim. Meine Erfahrung ist: "Einmal und nie wieder !"

Zuerst kam morgens niemand aus dem Bett und danach ging das Ankleiden los. Was soll man bloß anziehen ? Nachdem alle abmarschbereit dastanden, sagte ich der Hälfte, sie solle ihre Kleidung wechseln, denn man geht nicht in kurzem Rock und ohne Ärmel los. Dabei verzichtete ich sogar schon, die Abmarschbereiten auf die sockenlosen Füsse aufmerksam zu machen. So laufen die Nationalrelig. herum, aber nicht Mea Shearim. Als Frau bedecke man seine Füße und renne nicht barfuß in Badeschlappen umher. Hinzu kam, dass mein eigentliches Ziel die Synagoge der Neturei Karta war.

Da alle so herumgetrödelt hatten und sich auf keine Kleidung einigen konnten, kamen wir viel zu spät zum Morgengebet Schacharit. Bei der Neturei Karta war schon alles dicht und auch bei einer weiteren Gruppe waren schon die Türen geschlossen. Dafür gab es dort für die Frauen im Erdgeschoß einen Kiddusch (Segnung des Weines), an dem ich aber nicht teilnehmen wollte, weil wir viel zu spät eintrafen. Peinlich.

Zwei der Mädels gingen dann doch noch hinauf in die Synagoge zum Beten und ich blieb mit einer Freundin zurück vor dem Kidduschraum. Sie wollte in den Raum gehen und uns wegen der Hitze ein Glas Wasser besorgen. Also ging sie zu einem der umherstehenden Mädels (ca. 14 Jahre alt) und fragte sie, ob sie in den Raum gehen dürfe, um Wasser zu besorgen. Das chassidische Mädchen drehte ihren Kopf zur Seite und antwortete nicht. Meine Freundin drehte fast durch wegen solch eines Verhaltens. Sie ging einfach in den Raum hinein und kam mit zwei Bechern kalter Cola wieder heraus. In dem Raum habe man sie freundlich behandelt, nur halt das Mädel draußen nicht.

Mein Freundin sagte zu mir, dass es genau solch eine mieses Verhalten sei, was die Säkuleren die Haredim (Ultra - Orthod.) hassen läßt und was sie ebenso von der Religion abschrecke. Genau solche Leute.

Ich sagte ihr, dass sie vollkommen recht habe und die Erziehung vieler Haredim einfach nur gräßlich sei. Mit Erziehung meine ich die Schule sowohl als auch die Eltern. Jedoch insbesondere die Schule.



Chassidische Kinder in Mea Shearim


Judentum bedeutet, sich einem anderen Juden gegenüber anständig zu verhalten. Und wenn jemand eine Frage stellt, dann beantworte sich sie. Jeder Jude ist gleich; ob dies in der säkuleren Ben Yehudah ist oder in Mea Shearim. Man dreht nicht einfach so den Kopf weg, nur weil da jemand nicht so ist wie ich. Nicht so "heilig" wie ich. Und weil ich so "heilig" bin, brauche ich mich nicht mit anderen abzugeben. Unsere Aufgabe besteht darin, anhand des Umgangs mit anderen Leuten einen Tikun (Reparatur der Seele sowie der Welt) auszulösen und G - tt erschuf nun einmal verschiedenartige Menschen. Meine Aufgabe ist es nicht, mich in meinen eigene Hinterhof zurückzuziehen und auf alle anderen herabzusehen.

Zwischenzeitlich waren die anderen zwei Mädels vom Beten zurück und wir machten uns alle auf den Weg zum Mittagessen. Zusammen waren wir bei einer chassidischen Familie in einem der Hinterhöfe eingeladen. Auf dem Weg dorthin sammelte ich mehrere kleine Handzettel auf. Überhaupt war Mea Shearim wieder einmal voll Zettel gestreut und alle beinhalteten zwei Themen, über welche ich in meinem deutschen chassidischen Blog schreibe genauso wie auf meinem englischen Blog. Der Streit zwischen den beiden chassidischen Gruppen Machnovke und Belz sowie über die Anschuldigungen bezüglich des Oberrabbiners der Kotel (Klagemauer).

Auf Nachfrage hin versuchte ich einem der Mädels den Grund zu erklären, warum der Kotel Rabbi von vielen abgelehnt wird. Daraufhin sagte eine weitere Anwesende, dass dies ja alles nur "Laschon Harah - üble Nachrede sei".

Okay, vielleicht. Doch stimmen die Anschuldigungen und ich meinte, dass nicht alles in die Laschon HaRah gezogen werden kann. Es gibt Dinge, die muß man aussprechen. Und selbst wenn jemand vorgibt, relig. zu sein, bedeutet dies noch lange nicht, dass er ein Heiliger ist. Jeder Mensch hat so seine Fehler und wenn wir uns die jüdische Geschichte ansehen, dann hat es schon immer korrupte Rabbiner gegeben. Selbst zu Tempelzeiten. Und ich kann nicht ohne jegliches Wissen die Realität ablehnen oder absichtlich übersehen wollen. Einfach weghören und mich um nichts scheren.

Mit dieser Stimmung kamen wir dann zum Mittagessen, wobei sich alles wieder etwas besserte als wir erst einmal im Wohnzimmer saßen. Dort trafen noch ein paar israelische relig. Seminarmädels dazu und nach ca. einer Stunde des Wartens begannen wir mit dem Essen. Mit einer älteren Dame, die neben mir saß und die in Mea Shearim lebt, begann ich eine Diskussion über die Mitteilungsposter an den Hauswänden (Fakshivilim). Sie meinte, dass man vor einiger Zeit im Stadtteil Zettel verteilt habe, auf denen bekanntgegeben wurde, dass das Hechscher (Koscherzertifikat) des Chatam Sofer Defizite habe und man lieber andere Sachen essen solle. Meine Gesprächspartnerin habe diese Nachricht in gutem Glauben an andere weitergegeben und im Nachhinein habe sich herausgestellt, dass das ja alles nicht stimme. "Man weiß ja oft nie genau, was richtig oder falsch sei, meinte sie. Ständig müsse man sich ausführlich erkundigen und das gehe einem erst auf den Geist".

Mittlerweile hatte unsere Gastgeberin mit am Tisch Platz genommen und begann eine Rede über anständiges relig. Benehmen. Vorher hatte sie mich schon in eine Ecke gezerrt und mir gesagt, dass ja einige der Mädels nicht richtig anständig angezogen sei. "Ich kann nicht auf alles aufpassen", meinte ich zur Gastgeberin, worauf sie zurückgab, dass sie selbst noch nicht einmal einen Segen über das Essen (Beracha) ohne Strümpfe an den Füssen sagt.

Irgendwie bekam ich den Beginn einer weiteren kleinen Katastrophe erst gar nicht mit. Eine der anderen Seminargirls ging zur Gastgeberin in die Küche und beide kamen kurz darauf aufgeregt zurück ins Wohnzimmer, in dem wir alle um den Eßtisch saßen. Die Gastgeberin meinte, dass das so ja alles nicht ginge. Sie gehe auch nicht in ein Restaurant ohne zu bezahlen; und genauso verhalte es sich mit G - tt. Wenn ich esse, dann muß ich hinterher G - tt für die Nahrung danken und diverse Segen sagen.

Anscheinend wollte das Mädchen sich ohne Segen verabschieden. Sie fühle sich nicht gut. Das ließ unsere Gastgeberin zwar gelten, doch vor dem Gehen wird ein Segen gesagt. Basta !

Die junge Frau, so um die Zwanzig begann zu heulen und ich dachte mir, dass diese Szene ein besonders gutes Beispiel für die Krisen der Baalei Teshuva (jene geborenen Juden, die erst im späteren Verlauf ihres Lebens religiös werden) darstellt. Okay, nehmen wir an, es ging dem Mädchen tatsächlich nicht gut; als Baalat Teshuva jedoch halte ich mich an Regeln und sage einen Segen oder tue wenigstens so. Schließlich ging sie hysterisch davon und wer als geborener Haredi will sich mit soetwas herumärgern.

Es geht nicht darum, ob sie krank war oder nicht; es geht um ihre Weigerung und ihre Krise.

Die Gastgeberin begann uns folgende Story zu erzählen:

Einmal sei ihr das Gleiche wiederfahren. Da habe sich auch eine Anwesende geweigert, einen Segen nach dem Essen zu sagen. Die Gastgeberin meinte, dass sie entweder den Segen sage oder sie für das Essen bezahle.

"Naja, meinte die Verweigerin, bezahlen ginge ja nicht, weil es Schabbat sei".

Gastgeberin: "Dann sag den Segen".

Gast: "Nö, ich bin nicht religiös".

Das ging ewig so hin und her, bis die Frau endlich den Segen sagte.

Monate später sei sie wieder erschienen, doch diesmal als relig. Seminargirl und verkündend, dass sie ihr Leben nun geändert habe.

Unsere Gastgeberin ist unheimlich nett und manchmal tut sie mir schon leid, mit dem, was sie sich alles anhören muß. Die Chassidut ist nun einmal ihr Leben und sie bemüht sich wenigstens, Auswärtige einzuladen.

Nach dem wir alle unseren Segen sagten, verabschiedeten wir uns und ich machte mich noch auf den Weg zu Rabbi Mordechai Machlis, wo ich bis nach der dritten Schabbatmahlzeit (Se'udat Shlishit) blieb. Kurz nachdem ich dort angekommen war, entbrannte eine heftige Diskussion. Rabbi Machlis erzählte folgende Story:

Am Morgen, bei seiner Kotel - Minyan stand ein japanischer Tourist in der Nähe. Dieser schrieb einen Zettel und wollte diesen danach in eine der Mauerritzen der Klagemauer stecken. Ein Haredi rannte auf ihn zu und schrie ihn an, dass das Schreiben am Schabbat verboten sei.

Wie hätte die richtige Reaktion gegenüber dem Japaner aussehen sollen ?

Jemand der Gäste im Machlis - Haus meinte, dass vor der Kotel (Klagemauer) überall Schilder stehen, auf denen auf gewisse Verbote (Photografieren, Rauchen, Telefonieren, Schreiben, etc.) am Schabbat aufmerksam gemacht wird.

Rabbi Machlis jedoch meinte, dass man zum Japaner hätte gehen können, um ihm ruhig mitzuteilen, er solle seinen Zettel woanders schreiben und danach wiederzukommen.

Jemand meinte, dass das vielleicht der einzige Kotelbesuch des Japaner war und was der jetzt für einen Eindruck habe.

Ich hielt eine Rede und sprach drei Dinge an:
Erstens stehen überall Warnschilder und wieso zeigen viele säkuleren Juden sowie Nichtjuden keinen Respekt gegenüber der Klagemauer und gegenüber relig. Juden ? Wer in den Vatikan will, der ziehe sich auch anständig an und befolge spezielle Regeln. Wo bleibt der Respekt der anderen und wieso müssen relig. Juden immer nur anderen Respekt zollen ?

Haredim wollen vermeiden, dass ihre Kinder negativ beeinflusst werden und was sollen sie denken, wenn da an so einem "heiligen" Platz jemand das Schreiben beginnt ?

Und was, wenn ich Gnade walten lasse, ohne etwas zu sagen ? Stehen dann nicht nächste Woche noch mehr nichtjüdische Besucher herum, welche die Regeln brechen ?

Sicher hätte man den Japaner nicht anschreien müssen, aber irgendwann reicht es den Relig. auch, wenn da stets jemand kommt und immer wieder die Regeln bricht.



Gäste im Machlis - Haus


Soviel zu meinem gestrigen Schabbat und heute muß ich mich erst einmal erholen !

4 Kommentare:

  1. Anonym12:13 AM

    Hi Miriam:
    Tut mir leid dass du so schlechte
    erfahrungen gemacht hast. Aber ich
    denke du solltest auch nicht so
    streng sein. Weder mit den anderen
    noch mit dir selbst und was deinen
    blog betrifft.

    Ich zumindest komme bei jedem lesen
    und in jeder diskussion mit mehr fragen als antworten raus
    und das ist doch schon mal was oder?

    Eine gute woche wünsche ich dir

    jakobo

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  2. B"H

    Hallo Jakob,

    nein, ich bin nicht streng mit mir und anderen; mag so klingen, ist es aber nicht, denn wir hatten in Mea Shearim eine Menge Spass. Leider haben war Eine dabei, die viele Dinge immer nur als "Laschon HaRah" sah.

    Es ist nicht einfach, Leuten, die solch eine Welt vielleicht nur aus dem TV oder einem Roman kennen, zu verdeutlichen.

    Allerdings gibt es auch Gefahren:
    Als Aussenstehender kann man schnell durch seine eigene Phantasiewelt hineingezogen werden. Ich nahm mal eine zu einer ukrainischen chassidischen Gruppe mit und besagte Dame bildet sich nun ein, ihr Vater stamme eigentlich von der Gruppe ab.

    Ich habe ganz unterschiedliche Erfahrungen mit Leuten gemacht, die ich einmal mitnahm.

    Wer jedoch, so wie ich, auch mit den Chassidim reden will, der gehe oft genug allein, ohne jemanden im "Schlepptau" zu haben.

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  3. Anonym9:43 PM

    Hi, Miriam:
    es klang nur ein wenig so. aber
    ich kann es auch verstehen dass
    du dich freier fühlst, wenn du
    nicht in einer vermittlerrolle bist.

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  4. B"H

    Hi Jakob,

    was glaubst Du, was ich bis heute (Montag) fuer Diskussionen zu all den Themen habe. Erst gerade bekam ich wieder eine ganze Lektion darueber, dass man Juden, die gerade erst etwas ueber das Judentum lernen, keine negativen Eindruecke ueber die Religion vermitteln soll.

    Als ob alles so perfekt waere.:-))))

    Jedenfalls kam das Argument, dass diese "Neueinsteiger" nichts begreifen oder alles falsch auffassen und dann werden alle neuen Infos miteinander verwechselt.

    Das vieles verwechselt wird stimmt und fuer mich ist es halt einfach besser, wenn ich alleine gehe. Dann brauche ich nicht noch tagelang rumzudiskutieren.

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