Sonntag, Juli 05, 2009
Augenzeugenbericht aus Mea Shearim
B"H
Ich hätte mit dem nahenden Schabbatende etwas Nützlicheres anfangen sollen als mir ausgerechnet eine unnötige Demo anzutun. Den kommenden Schabbat verbringe ich voraussichtlich daheim in Tel Aviv; schon allein deswegen, um die dortige Freiheit zu geniessen.
Die Helikopter begannen schon ab ca. 19.00 Uhr über der Jerusalemer Innenstadt auf und ab zu fliegen. Die antizionistische Dachorganisation Edah HaCharedit aus Mea Shearim hatte für 17.30 Uhe einer weitere Demo angekündigt, obwohl der Schabbat noch am Laufen war.
Mit einer Freundin näherte ich mich aus der Richtung Machane Yehudah Markt der Mea Shearim Street. Das gesamte ultra - orthodoxe Gebiet um Ge'ulah sowie Mea Shearim zeigte sich belebt. Haredische Paare gingen mit ihren Kindern spazieren - alles wirkte so friedvoll. Gegen 20.00 Uhr gingen wir die Mea Shearim Street hinunter und meine Freundin beschwerte sich schon, dass wir anscheinend die gesamte "Action" verpasst hatten. Nichts zu spüren von einer wilden Demo.
Nach einigem Hin und Her hatte ich mich vor unserem Gang entschlossen, einen Rock anzuziehen. In der Hoffnung, dass die Haredim bei all dem Wirbel und den Emotionen keine Steine auf uns schmeissen. Dennoch fürchtete ich eventuelle wahllose Verhaftungen von Passanten. So jedenfalls trug es sich in der Vergangenheit des öfteren zu. Ehrlich gesagt hatte ich keine Lust auf eine Verhaftung und dann einem Richter meinen Rock erklären zu müssen.
Je näher wir der Kreuzung Shivtei Israel / Mea Shearim Street kamen, desto weniger Frauen waren zu sehen. Auf der Kreuzung selbst hatten sich mindestens 100 Haredim versammelt und wir waren die einzigen weiblichen Wesen, die versuchten zu passieren.
Am Straßenrand gegenüber standen unzählige Frauen und Mädels der chassidischen Gruppen Toldot Avraham Yitzchak sowie Breslov. Sogar eine Breslover Frau in Burka sichteten wir. Eine der Fanatikerinnen der Rabbanit Beruriah. Dabei handelt es sich um eine Gruppe Breslover Frauen sephardischer Herkunft, welche später im Leben relig. geworden sind und jetzt auf ausgeflippt fanatisch machen.
Hinter der Frauenschar vor einem Zaun befanden sich die Wohngebäude der Avraham Yitzchak; gleich gegenüber den Toldot Aharon und der Tankstelle. Als wir dabei waren, die Bushaltestelle in Richtung HaNevi'im Street zu passieren, stoppte mich ein junger Haredi und meinte, wir können da nicht weitergehen, denn die Polizei haben den Weg blockiert. "Aber mach was immer Du willst", sagte er und verschwand. Zwei Minuten später stand er mir wieder gegenüber und sagte alles nochmals auf. Meine Freundin und ich stellten uns zu den Avraham Yitzchak Frauen. Was an der Kreuzung Shivtei Israel / HaNevi'im Street vor sich ging, sahen wir nicht, obwohl die Entfernung nur 50 - 100m beträgt. Ab und an vernahmen wir aufgebrachte Schreie der Haredim und in dem Moment begannen sie in unsere Richtung zu laufen; nur um dann gleich wieder umzukehren, denn die Polizei war doch nicht, wie angenommen, hinter ihnen her.
Es war gräßlich 5, 6, 7, oder 8 Jahre alter Jungen bei der Demo zu sehen, die da Steine auf Polizisten warfen, während sich die erwachsenen Herren (z.B. Toldot Aharon) genau vor uns versammelten und nichts taten außer zu schauen und auf anwesend zu machen. Überhaupt wirkte die Szene wie ein Hollywood - Ersatz. In Mea Shearim gibt es weder TV noch Kino und manchmal wird aus Langerweile ein wenig Action angezettelt. Dann stehen die Leute draußen und schauen, was los ist. Das abendliche Entertainment und noch dazu kostenlos.
Wo aber waren die Eltern der steinewerfenden Kids ?
Wie kann da ein 5 - jähriger mitten in der Demonstration herumlaufen und Steine werfen, ohne dass ein Elternteil die Aufsicht hat ? Wo bleiben hier Erziehung und der Menschenverstand ?
Sobald der Schabbat vorüber war (20.30 Uhr) wurde die Shivtei Israel für den Autoverkehr freigegeben. Dies war eine Fehlentscheidung der Polizei, denn sobald die ersten zwei Fahrzeuge in Sicht waren, stürmten die Haredim auf sie zu und ich dachte, dass zumindest eines davon zu Bruch gehen wird. Steine flogen dann tatsächlich und der Taxifahrer des ersten Wagens machte sich sicher in die Hose. Man stürzte auf alles zu, was vorbeifuhr und ein Fahrer hielt entsetzt seine schwarze Kipa aus dem Fenster, um zu zeigen, dass er selber Haredi war. Plötzlich war er von seinen "eigenen Leuten" attackiert worden. Man hörte nur noch "Schabbes, Schabbes" - Schreie von überall her. Dabei war der Schabbat ja schon vorbei.
Die Polizisten bewegten sich in unsere Richtung. Wohl auch, um die Übergriffe auf die Autos zu verhindern. Ich bog um die nächste Ecke, denn ich hatte keine Lust auf Zoff; meine Freundin hingegen blieb auf ihrem Platz stehen und nannte mich "feige". Um die Ecke sah ich dann einen jungen Neturei Karta Typen, der mir schon Minuten vorher aufgefallen war. Stets hielt er sich im Hintergrund und schaute nur. Ich ging zurück zu all den Frauen und meine Freundin berichtete mir, dass die Polizei wieder in die HaNevi'im abgezogen war. Man hatte nur Warnungen durch einen Lautsprecher verkündet.
In dem Moment drehte sich eines der Mädchen, welches vor mir stand um und fragte, ob mir die Demo gefalle. "NEIN", sagte ich und zog damit die Aufmerksamkeit aller Umherstehenden auf mich. Was mir einfalle, da etwas zu kritisieren und ob ich ein Goi oder ein Spion der Polizei sei. Wahrscheinlich so ein Goi aus Tel Aviv, denn wer nicht so ist, wie Mea Shearim, ist nun einmal ein Goi. Jedenfalls für jene Teenager, die dort neben uns standen.
Meine Freundin hatte den Fehler gemacht, Parfum anzulegen. Soetwas tut man in Mea Shearim nicht und die Anführerin des Grüppchens, eine ca. 13 - jährige namens Schoschana, meinte, dass dies ja eh nur die Doofen aus Tel Aviv machen. Ich sagte ihr, sie solle die Klappe halten, doch sie begann mir all ihre Freundinnen namentlich vorzustellen. Außerdem gab sie bekannt, dass sie sephardische Jüdin sei und keinen Tropfen aschkenazischen Blutes in sich habe.
Darauf sei sie stolz.
Und dann begann eine Diskussion mit Mädels im Alter von 13 - 17 über Tel Aviv und andere Juden, die nicht in Mea Shearim wohnten. Obwohl ich ihnen sagte, dass das, was sie treiben "Laschon HaRah - üble Nachrede" bzw. ein absoluter "Chillul HaShem - Verunglimpfung des Namen G - ttes" sei, lenkte niemand ein. Im Gegenteil, eine Gruppe Chabad - Mädels (angeblich aus Eilat) tauchte auf. Eine Chabadnikit entschuldigte sich hinterher, doch eine weitere, offensichtlich ebenso sephardisch, war dermassen gegen säkulere Juden eingestellt, dass ich ihr meine Meinung geigte. Das sei ja wohl kaum im Sinne des letzten Lubawitscher Rebben gewesen, was sie hier veranstalte. Noch niemals ist mir jemand von Chabad dermassen hasserfüllt aufgefallen.
Plötzlich legte mir jemand die Hand auf meine Schulter und es war ein Avraham Yitzchak Teenager, mit der ich schon vor Monaten einen sehr guten Kontakt aufgebaut hatte. Sie wollte die Situation schlichten, doch die pummelige Schoschana in ihrem rosa Kleid liess das nicht zu und keifte das Mädchen bei ihrem Nachnamen an.
Heute dann erfuhr ich, dass sämtlich Passanten von den Haredim als Goim, Schweine, Nazis oder Mischlinge (a la Hitler) beschimpft worden waren; die Polizei gleich mit dazu.
Ich wunderte mich nur, wo die Mütter abgeblieben waren. Ist das ein Verhalten, welches die Kinder in den Avraham Yitzchak Schulen lernen ? Und gerade bei den Avraham Yitzchak habe ich dies schon öfters beobachtet, wenn es um den Umgang mit anderen Leuten geht. So manche nationalrelig. Tischbesucher wurden schon einmal ziemlich angemacht und mussten sich mächtig erwehren. Ich bin mir sicher, dass der Rebbe davon nichts weiß. Leider !
Gestern abend war Mea Shearim nicht heilig und die Mädels waren keine der so verehrten Banot Israel, sondern gewöhnlich und vulgär. Man hatte das Gefühl von einer Streetgang in der Bronx, in Harlem oder im Jerusalemer Katamonim belagert zu werden.
Als wir uns alle wieder der Demo zuwandten, war diese schon gelaufen. Weiter weg brannte auf der Straße verstreuter Müll, doch das interessierte noch nicht einmal mehr die Presse.
In der kommenden Woche wird anscheinend kaum noch etwas stattfinden und man hat sich selbst ausgeschaltet. Bürgermeister Nir Barkat wird gewinnen und der Parkplatz Karta bleibt auch weiterhin Schabbat offen. So jedenfalls meine Prognose !
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"Ich hätte mit dem nahenden Schabbatende etwas Nützlicheres anfangen sollen als mir ausgerechnet eine unnötige Demo anzutun."
AntwortenLöschenWarum erstaunt mich das nicht wirklich?
So so, haben diese frommen Leutchen also vor lauter Eifer, den Schabbat zu schützen, total den Schabbatausgang verschwitzt, und sephardische Mädchen halten sich für was Besseres. Danke für die ausführlichen Schilderungen, das ist wirklich ganz großes Kino!
AntwortenLöschenDie unbeaufsichtigten Kinder erstaunen mich nicht besonders. Bei so viel Nachwuchs immer den Überblick zu behalten ist für die Eltern sicher nicht immer ganz einfach.
B"H
AntwortenLöschenUnabhaengig davon, wieviele Kinder man hat, die Kinder gehoeren bei derlei Veranstaltungen nicht hinaus auf die Strasse.
Anzumerken sei, dass weder die Toldot Aharon Kinder noch die Frauen sich draussen blicken liessen, sondern nur die Avraham Yitzchak und einige Breslover.