Dienstag, November 13, 2007

Geht es nur um Angst ?

B"H

Die Meinungen vieler engl. - haredischer (ultra - orthod). Blogs bestätigen auch meine persönlichen Erfahrungen.
In der orthodox. Szene (egal ob in den USA oder Israel) gibt es einen kleinen Umschwung. Viele junge Leute leben gegen ihren Willen orthodox. Wobei hier "orthodox" vielleicht das falsche Wort ist, denn orthodox wollen sie schon sein, nur will man gesellschaftlichen Zwängen entkommen.

Gewöhnlich haben Juden, die später in ihrem Leben religiös geworden sind, andere Probleme als den Blicken einer Gesellschaft entkommen zu wollen. Gerade sie legen Wert darauf, von der Gesellschaft wahrgenommen zu werden, wollen sie doch beweisen "Hey, wir sind genauso wie ihr". Nicht selten erregen sie dabei das Lächeln jener, welche religiös geboren wurden. "Alles toll und ihr seid relig. geworden. Aber in unserer Gesellschaft wollen wir Euch gefälligst nicht haben."

Immer wieder sehen sich zum Judentum Konvertierte genauso wie jene geborenen Juden, welche erst im späteren Verlauf des Lebens relig. geworden sind, den gleichen Probleme ausgesetzt: Die haredische Gesellschaft macht dicht. Neuankömmlinge werden nicht immer gerne gesehen und ersteinmal jahrelang mit Argusaugen beäugt.

Bestes Beispiel ist ausgerechnet die sich als so offen gebende chassidische Gruppe Breslov. In ihrer grossen Synagoge in Mea Shearim haben nur jene irgendwelche Rechte, die als Breslover geboren wurden und zusätzlich zur wirklich "alten Garde der Breslover" gehören. Heisst, sie sollten von jenen Chassidim abstammen, welche nach Rabbi Nachmans Tod von Uman / Ukraine nach Jerusalem zogen. Viele Neuzugänge bei Breslov waren darüber so sauer, dass sie ihre eigene Synagoge nicht weit entfernt gründeten.

Aber nicht nur bei Breslov gibt es derlei Probleme. Wer Chabadnik wird, der wird kaum einen Shidduch (Ehepartner) bekommen, welcher der "alten Garde" angehört oder dessen Vorfahren schon bei Chabad waren. Neuzugänge werden mit Ihresgleichen verheiratet und begutachtet. Litvishe Haredim machen da keine Ausnahme.

Und so plagen sich viele Neureligiösen, die meinen, sie müssen irgendwo dazugehören, ab, der Gesellschaft zu zeigen, dass sie absolut perfekt sind. Perfekter als die gesamte Gesellschaft selbst. Manchmal übertreiben sie ihre Überzeugungsarbeit dermassen, dass es schon lächerlich wirkt und selbst die Gesellschaft vor ihnen flüchtet.

Die "geborene haredische" Gesellschaft aber sieht sich dem Gegenteil ausgesetzt. Viele junge chassidische Gruppenmitglieder wollen gar nicht chassidisch sein. Sie folgen halt den Regeln der Eltern und der Gesellschaft. Sonst nichts. Ihr "Anti" lassen sie teilweise anonym im Internet aus.

Als ich mich vor einigen Jahren entschied, nicht mehr unbedingt einigen bestimmten Gesellschaftsregeln zu folgen, machte die Gesellschaft keine Probleme. Erstens war ich nicht hineingeboren und zweitens verursachte ich ihr keinen grossen Schaden.
Eher war das Gegenteil der Fall; man räumte mir gewisse Freiheiten und Zweifel ein, versehen mit der kleinen Bemerkung:
"Das wird schon noch".
Hierfür werde ich der haredischen Gesellschaft ewig dankbar sein.

Ganz anders jedoch bei den Hineingeborenen. Sollten erst einmal Zweifel am Lebensstil aufkommen, gibt es nur wenige Ansprechpartner. Und wem kann man überhaupt trauen ?
Zuerst versucht man alles zu unterdrücken a la "vielleicht sei ja alles nur zeitweilig". Geschieht aber kein Wunder, kommt es zum Knall und man muß sich jemandem anvertrauen, um nicht zu explodieren.

In der Schule, der Yeshiva oder bei den Eltern ist das unmöglich. Wird auch nur das kleinste Problem gewittert, dann sehen alle ihre eigene Reputation in Gefahr.
"Was auf unserer Schule gibt es Leute mit solch einem Gedankengut" ? Oder die Eltern sehen sich schon von den Nachbarn diskriminiert.

Wo also hin mit dem Konfliktmüll ? Zu allem Überfluss macht man meistens gute Miene zum bösen Spiel und läßt sich auch noch verheiraten. Wer weiss, ein neues Lebensziel bringt vielleicht unerwartete Einsichten und alle Probleme sind gelöst.

Leider hat es die litvish - haredische genauso wie die chassidische Gesellschaft bis heute nicht geschafft, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. Aber haben jene, welche sich von der Gesellschaft lösten, irgendeine Patentlösung parat ?

Nicht jeder Mensch ist für diese oder jene Gesellschaftsform geschaffen, in die er hineingeboren wurde.
Innerhalb der kommenden Generationen wird es eine Umschiftung in der haredischen Gesellschaft geben, was keinesfalls bedeutet, dass deren Mitglieder der Orthodoxie entkommen wollen. Ganz im Gegenteil, niemand will die Religion verlassen, sondern man denkt nur heimlich still und leise über gewisse Gesellschaftsveränderungen nach.

Nur allein aus Angst vor Repressalien innerhalb der haredischen Gesellschaft zu bleiben, bringt nur unnötige Depressionen mit sich.

4 Kommentare:

  1. Anonym8:57 PM

    Es gibt Leute, denen man sich anvertrauen kann.

    www.ammaf.org

    z.B. sind sehr offen und helfen.

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  2. B"H

    Nichts fuer ungut, aber derlei Organisationen sind nicht die Stellen, an welche sich Haredim (Ultra - Orthod.) mit Problemen wenden. Es sollte schon jemand sein, der sich in einer gleichen Lage befand und die Gesellschaft samt Probleme von innen heraus kennt.

    Als ich in Deutschland war, war dort niemand in der Lage, ueberhaupt nur annaehernd zu begreifen, von was ich eigentlich rede.

    Wer wirklich Hilfe sucht, der kann sie unter Umstaenden hier finden:

    http://www.hillel.org.il/?CategoryID=202

    Wobei ich persoenlich kein grosser Fan von Hillel bin, denn sie helfen zwar Problemfaellen, doch versuchen sie im gleichen Moment, die Betroffenen vollkommen von der Religion abzubringen.

    Genau das ist falsch und wie die Realitaet zeigt, bleiben selbst die meisten Aussteiger hinterher religioes.

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  3. Anonym9:20 AM

    Vielleicht sollt man noch die englischsprachige HP angeben:

    www.mavertov.com

    Ich bin mir nicht so sicher , ob “derlei Organisationen“ keine Anlaufstelle sein können.

    Oftmals basieren solche Probleme auf Identitätskrisen und die befallen nicht nur Gerim, sondern können jeden jungen Menschen , egal in welchem religiösen Umfeld er /sie sich befindet, treffen.

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  4. B"H

    Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man sich als Betroffener nicht an Websites wendet, sondern an speziell zu diesem Zweck ausgebildete Psychologen.
    Ausserdem legen viele Problemfaelle hoechsten Wert darauf, mit jued. relig. Psychologen zu sprechen.

    Es muss sich um professionelle Psychologen / Sozialarbeiter handeln, die sich 100%ig mit der haredischen Gesellschaft auskennen und deren Sprache sprechen.

    Mein Artikel bezog sich keinesfalls auf Konvertiten, denn die haben, wie schon gesagt, andere Probleme und suchen keine Psychologen auf.

    In die haredische Gesellschaft hineingeborene Juden haben meine im Artikel aufgelisteten Probleme. Und um reine Identitaetskrisen geht es in den seltensten Faellen. Es steckt schon etwas mehr dahinter als das, denn in der haredischen Gesellschaft geht es vielfach um gesellschaftl. Zwaenge, die sich ein Aussenstehender kaum vorstellen kann.

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