Dienstag, November 06, 2007

Der Abend kam vor dem Morgen

B"H

Vorab möchte ich erwähnen, dass der Rabbi, auf dessen These ich eingehe, für den ein oder anderen mit einem negativen Beigeschmack behaftet sein mag. Die Rede ist von Rabbi Jonathan Eybeschütz (1690 - 1764), dem berühmten Rabbi von Hamburg - Altona. Zu unrecht wurde dieser von seinem Zeitgenossen Rabbi Yaakov von Emden (1697 – 1776) beschuldigt, Mitglied der Sekte des Schabtai Zvi zu sein oder zumindest die Ideen des ketzerischen Schabtai zu verbreiten. Unter anderem widerlegte der von Rabbi Eybeschütz zu Hilfe gerufene große Gaon von Vilna die Anschuldigungen des Rabbi Yaakov aus Emden.

Anmerkung:
Zur damaligen Zeit, in welcher der Chassidismus wieder neu aufblühte, war fast jeder irgendwie verdächtig, ein geheimer Anhänger des Schabtai Zvi - Sekte zu sein. Shabtai Zvi (1626 – 1691) hatte Jahre zuvor behauptet, der lang erwartete Meschiach zu sein und viele Juden überzeugt, ihm zu glauben. Da die neuen Anhänger der wiederauflebenden chassidischen Ideen geographisch aus der gleichen Gegend stammten, wurden sie sofort verdächtigt, die Irrlehren des Shabtai Zvi weiterzuleben. Zu unrecht, wie wir alle wissen.

Trotz aller falschen Gerüchte, Rabbi Jonathan Eybeschütz war ein brillianter Thorakommentator.
Sein aus der Thoraparashat Bereshit (Genesis) stammende Kommentar ist so offensichtlich, daß uns der eigentliche Inhalt gar nicht mehr auffällt und wir aufgrunddessen einen wichtigen Punkt übersehen.

Wenn wir die sechs Tage der Schöpfungsgeschichte genau analysieren, dann sehen wir am Ende jedes Paragraphen die Worte: "…und es war Abend, und es war Morgen, ein Tag (am ersten Tag)…."

Kein Satz, Wort oder Buchstabe der Thora ist überflüssig und demnach lernen wir auch aus jenem Satz etwas: Vor dem Morgen kommt immer ein Abend.

Das ist doch ganz klar, wird jetzt so manch einer sagen.
Aber habt Ihr Euch jedoch schon einmal gefragt, was vor dem ersten Tag der Schöpfung kam ? Wenn der Abend immer dem Tag vorausgeht, dann muß es folglich einen Abend vor der Schöpfung gegeben haben. Und wie sah der wohl aus ?

Kommentiert Rabbi Eybeschütz:
Das Wort Bereshit (Am Anfang) steht für eine "reine Gedankenwelt". Am Abend "dachte" G – tt an die Welterschaffung und am Tag "vollzog" er sie. Der Gedanke stand also vor der eigentlichen Tat.

Anmerkung:
Wie üblich, gibt es zu diesem Thema viele unterschiedliche Kommentare, dennoch gehe ich in diesem Text überwiegend auf die Ansichten des Rabbi Eybeschütz ein. 

Nur ein kleines anderweitiges Beispiel:
Der "Yedid Nefesh" ist in seinem Kommentar zum kabbalistischen "Sifra D'Zniuta" etwas anderer Meinung. Unter anderem kommentiert er: Bereshit (Am Anfang) sei die "Weisheit G - ttes" und das nachfolgende Wort "Bara – erschuf" stehe für die eigentliche Tat. Der Gaon von Vilna sieht dies ähnlich, doch ist er zusätzlich der Meinung, daß durch das Wort "Bara – erschuf" G – ttes Gedanken (repräsentiert vom Wort Bereshit) erst offensichtlich wurden.

Aber was bedeutet es genau, wenn von "G – ttes Gedanken" die Rede ist, denn wie wir wissen, besitzt G – tt keinerlei menschliche Eigenschaften. 

Im kabbalistischen Buch des Rabbi Yitzchak Haber, "Pitchei Shearim" bietet sich eine Erklärung an. Gedanke sei hier gleichzusetzen mit G – ttes Schritt, Sich anhand Seiner Erschaffung "sichtbar" zu machen. Zuerst existierte nur Er allein und nach Beendigung des Erschaffungsprozesse wissen wir, die Erschaffenen, von Seiner Existenz.

Andererseits bedarf es hier einer weiteren Definition, denn G – tt denkt nicht zuerst und schreitet dann zur Tat. Im Gegenteil, Seine Gedanken stehen gleichzeitig für eine Erschaffung. Das einzige, was wir bei G – tt unterscheiden, sind Sein Wille und Seine Gedanken. Somit stand der Wille vor dem Gedanken bzw. der Ausführung.

Aber was sind für G – tt Wille, Gedanken und Ausführung ?
Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass es sich um metaphorische Beschreibungen handelt. Genau genommen mußte G – tt diese drei Eigenschaften erst erschaffen, denn vorher existierten weder Wille, Gedanke noch irgendetwas anderes. Bei G – tt und Seiner Erschaffung handelt es sich um eine Perfektion und da alles perfekt sein sollte, wurde der Mensch nach diesem Ebenbild G – ttes erschaffen. Nämlich mit einem Willen und mit Gedanken. Nicht, dass ein Mensch auch nur annähernd so perfekt sein könnte wie G – tt, doch soll er zumindest einen gewissen Level an Perfektion erreichen können.

Aus der Thora erfahren wir, daß G – tt am ersten Tag das Licht erschuf, welches Er Tag nannte und die Dunkelheit nannte Er Nacht. Anschließend steht geschrieben: "Und es war Abend, und es war Morgen, ein Tag".

Hätte nach der Erschaffung des Lichtes nicht logischerweise der Morgen zuerst kommen müssen ? Wieso wurde es zuerst Abend und nicht Morgen ?

Anmerkung:
Bei dem Licht am ersten Tag handelt es sich NICHT um das Sonnenlicht, sondern um das sogannte "Or HaGanuz – Das verborgene Licht". Dieses erstrahlte am ersten Tag und wurde am Ende des Erschaffungsprozesses von G – tt verborgen. Sonne und Mond traten ihren "Dienst" erst am Mittwoch an.

Laut Rabbi Eybeschütz wurden Licht und Dunkelheit zusammen erschaffen und erst am Ende des ersten Tages von G – tt voneinander getrennt. Demzufolge dienten Licht und Dunkelheit am ersten Tag als "eine gemeinsame Einheit".
Das Licht stehe metaphorisch betrachtet für die Zaddikim (Gerechten) in unserer Welt und jene, die sich entscheiden, religiös zu werden. Die Dunkelheit symbolisiere das genaue Gegenteil. Zwangsläufig mußten also beide voneinander getrennt werden.

Rabbi Eybeschütz wartet mit einer recht interessanten Erklärung auf, warum der Abend vor dem Morgen kam. Seine These stützt er auf eine Aussage der Midrash Rabbah, derzufolge es schon vor der eigentlichen Erschaffung eine gewisse Zeitordnung gegeben haben soll.

Der Rambam (Maimonides) macht sich, wie gewohnt, seine eigenen Gedanken darüber. So schreibt er in seinem Buch "The Guide of the Perplexed – Führer der Unschlüssigen" (2:30), daß es völlig offensichtlich ist, das die Welterschaffung in keiner exakten Zeitperiode stattfand. Wie denn auch, wenn die "Zeit" zu jenen Dingen gehört, die erst erschaffen werden mußten. Und Zeit kennt weder Anfang noch Ende.

Es heißt, daß die Thora schon 2000 Jahre vor der Welterschaffung existierte. Es versteht sich von selbst, daß sie nicht in der materiellen Form existierte, wie wir sie heute kennen.

Wenn wir hier 2000 Jahre sagen, dann muß es also schon etwas wie eine Jahreszeitrechnung gegeben haben und diese wiederum kann nur erfolgen, wenn ein Planet die Erde umkreist. Woraus sich ergibt, daß als die eigentliche Welt kreiert wurde, die vorherige Zeitrechnung in Betracht gezogen und einfach weitergeführt wurde. Laut der vorherigen Zeitrechnung wurde es Abend und so wurde es gemäß der Natur auf unserer Welt zuerst Abend und nicht Morgen.
Soweit die Meinung von Rabbi Jonathan.

Ich gebe zu, daß meine hier aufgeführten Thesen und Kommentare sehr verwirrend sein können. Aber vielleicht veranlassen sie den ein oder anderen zum tieferen Nachdenken.

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