Montag, Juni 16, 2008

Die Sau ist los ....

B"H

Seit der Gründung des Staates Israel (1948) und sogar viele Jahre vorher, war das Land immer mehrheitlich in säkulerer Hand. Ganz zu schweigen von den Regierungen. Dennoch gab es immer irgendwo eine Grenze, wieweit der Säkularismus tatsächlich gehen darf. Meistens lag die Grenze beim "Yom Kippur - dem Versöhnungstag", an dem die Mehrheit der israel. Juden fastete. Etwas anderes stand gar nicht zur Debatte. Obwohl nicht immer religiös, wurden doch jüdische Traditionen und Riten eingehalten. Bei den vor und nach der Staatsgründung eingewanderten deutschen Juden vielleicht weniger als bei ihren Gegenparts aus Rußland, Ungarn oder Polen.
Vor allem in den osteuropäischen Staaten zeigte man sich noch traditionsverwachsener als im deutschen Reformjudentum. Dem wurde teilweise noch eins draufgesetzt als die jemenitischen Juden einwanderten. Ganz zu schweigen von den marokkanischen, iranischen, irakischen oder kurdischen Juden. Bis heute sind gerade diese sephardischen Juden viel traditionsbewußter als die aschkenazischen Juden. Selbst dann, wenn es sich um säkulere sephardische Juden handelt, denn auch bei ihnen liegt die Schmerzgrenze oftmals viel niedriger als bei ihren aschkenazischen säkuleren Gegenparts. Unter anderem will eine "richtige" sephardische Mutter ihren Sohn nun einmal mit einer Jüdin verheiratet sehen. Und auf Kaschrut wird in vielen Fällen auch wert gelegt. Nicht immer muß die Küche super koscher sein, doch bestehen auch hier einige Grundregeln, die gehalten werden.

Seit der Ausbreitung des Videos, DVD oder des Internet hat sich einige verändert und da wird am Yom Kippur nicht selten ein Film eingeworfen. Sonst sei es halt zu langweilig. Fasten - JA, auf Filme verzichten - NEIN.
Und seit der Masseneinwanderung der Russen aus den GUS - Staaten haben besonders unkoschere Läden absolute Hochkonjunktur. Nicht, dass es solche Läden zuvor im Lande nicht gab. Es gab sie und selbst ein Kibbutz hatte sich schon vor Ewigkeiten auf die Schweinezucht und somit die Herstellung von Schweinefleisch spezialisiert. Was vor ca. 20 Jahren noch hinter vorgehaltener Hand erzählt bzw. gegessen wurde, findet nun ungeniert in aller Öffentlichkeit statt.

Die russischen Einwanderer liessen von Beginn an verlauten, dass sie halt nicht auf ihr Schweinefleisch verzichten wollen. Alles solle so sein wie in Rußland. So ein Quark, denn ich aus Bayern kommend, mache hier auch keinen Leberkäs - Handel auf. Dennoch nutzten nicht wenige Russen ihr jüdisches Aliyah - Geld, um Läden mit Schweinefleisch zu eröffnen. Zuerst waren viele Israelis außer sich, und in dem Falle nicht nur die Religiösen. Mittlerweile haut all dies aber niemanden mehr vom Hocker. Gab es vor wenigen Jahren noch wilde Demos gegen russ. Schweinefleischläden in Beit Schemesch, so hat sich die Lage weitgehend beruhigt. Wobei Beit Schemesch eine Ausnahme bildet, denn man nimmt an, dass die Stadt in einigen Jahren eh fast vollkommen haredisch (ultra - orthod.) sein wird, und somit die Russen eh abwandern oder abgewandert werden.

Auch in der nordisrael. Stadt Kiryat Schemona gab es Proteste gegen russ. unkoschere Läden und vor wenigen Jahren nahm ich mehr oder weniger an einer haredischen Demo gegen einen neueröffneten unkoscheren Laden in der Jerusalemer Agrippas Street teil. Ausgerechnet dieser Laden jedoch leitete auch in Jerusalem einen neuen Trend ein. Unkoschere Läden wurden nun auch vermehrt von Israelis eröffnet und nicht nur von den Russen. Und immer mehr säkulere Israelis fragten nach unkoscheren Produkten nach. Man sah die "tollen" Fressalien im Auslandsurlaub und wollte auf soetwas daheim halt nicht verzichten. Und so deckt unter anderem die Lebensmittelkette "Tiv Ta'am" den Bedarf nach Schwein und Sonstigem. Als "Tiv Ta'am" vor einem Jahr vor der Krise stand, waren es jedoch wieder einmal die Russen, die sich aufregten und weiterhin auf unkoschere "Spezialitäten" drängten.

In Jerusalem weniger, in Tel Aviv hingegen umso mehr. In bestimmten Stadtteilen Tel Avivs hat "die Sau" Hochkonjunktur. Insbesondere die Gegend um den Zentralen Busbahnhof ist "Schweineland". Ich nenne hier nur einen größeren Laden gegenüber des alten Busbahnhofes "The Kingdom of Pork Factory", in welchem die Belegschaft aus Russen besteht. Auf dem Ladenschild findet sich die Aufschrift in Russisch, Englisch und Thailändisch. Gemäß der Gegend dürfte die Kundschaft mehrheitlich aus Russen, Thailändern und Philippinos bestehen.

Nicht jeder muß in Mea Shearim oder Bnei Brak wohnen und super koscher leben. Andererseits ist Israel nicht irgendein Land und die Bewohner sollten schon einen gewissen Respekt G - tt gegenüber zeigen. Traurigerweise haben sich die haredischen Demos fast vollkommen aufgelöst. Entweder gab man auf oder eine Demo passte gerade politisch nicht ins Konzept. Im Judentum haben wir das Konzept des "Sieges über die eigene Yetzer HaRah - die schlechte Seite in einem jedem von uns". Und wie könnten wir diese Mitzwah erfüllen und somit einen Tikun (Reparatur der Seele) ausführen, wenn wir keine freie Wahl hätten ?
Nur wenn wir vor einem Schweinefleischtresen und einem Tresen mit koscherem Fleisch stehen, können wir unsere innere Größe zeigen, indem wir uns für das koschere Essen entscheiden.

Wenn wir einmal nach dem Tode vor G - tt treten, dann wird es uns nicht unbedingt hoch angerechnet werden, wenn wir in zeitlebens in Bnei Brak elebt haben und gar keine andere Wahl hatte als koscher zu essen.

Ich will hier keineswegs für die Einführung unkoscheren Essens plädieren, nur, damit wir unsere Yetzer besiegen können. Aber aufgrund der vielen unkoscheren Läden versuche ich halt, dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen und gleichzeitig einen positiven Zweck zu erkennen. Ansonsten bin ich jedoch absolut gegen unkoscheres Essen in Israel.

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