Mittwoch, Februar 13, 2008

Die Geschichte des Sidur (Gebetbuch)

B"H

Wer als Nichtjude schon einmal an einem jüdischen G - ttesdienst teilgenommen hat, der war sicher von der Dauer des G - ttesdienstes genauso wie von der Fülle der Gebete überwältigt.

Juden beten dreimal am Tag, morgens Schacharit, nachmittags Mincha und abends Maariv. Das "Schemah vor dem Zubettgehen" beziehe ich hier nicht mit ein.

Das jüdische Gebetbuch heißt SIDUR und hierbei ist zu beachten, dass nicht jedes Sidur unbedingt gleich ist. Reformgemeinden haben schon vor Jahren viele Gebet gestrichen und ich beziehe mich an dieser Stelle nur auf orthodoxe Sidurim (Gebetbücher), da diese absolute Authenzität besitzen.

In der Regel gibt es bei orthodoxen Sidurim drei große Unterschiede:

1. Das Sidur der sephardischen Juden aus Marokko, Kurdistan, dem Irak oder Iran - Nussach HaSepharadim.

2. Das reguläre Sidur der aschkenazischen Juden aus Europa und den USA - Nussach Aschkenaz.

sowie 3. Das chassidische Sidur - Nussach Sepharad.

Ich persönlich verwende nur Letzeres.

Chassidische Sidurim entstanden nach dem Tode des Baal Shem Tov (1760) und sie zeichnen sich durch Zusätze spezieller Gebete aus. Insbesondere kabbalistische Gebete, welche die Meditation und die Devekut (Konzentration) fördern sollen.

Allgemein bedeutet ein Gebet immer eine menschliche Kommunikation mit G - tt. Jeder Mensch muß hierbei seinen eigenen Zugang finden. Chassidisch gesehen sollte das Gebet vom Herzen kommen und nicht einfach nur so dahin gesagt werden, weil es einmal so Zeit ist.
Die Emotionen springen in das Herz und fördern so ein inniges Gebet.

Die Thora enthält das Gebot des täglichen Gebetes, doch legt sie nicht fest, wie genau dieses Gebet auszusehen hat. Dennoch erfahren wir aus den Büchern der Propheten, dass schon frühzeitig feste Gebetszeiten eingehalten worden sind. Festen Gebetszeiten, die wir heute dem Kalender entnehmen und die mehr oder weniger schon im Talmud Berachot bzw. im Schulchan Aruch (Code of Jewish Law) festgelegt wurden, können jederzeit auch weitere individuelle Gebete hinzugefügt werden. Zum Beispiel lesen viele Leute Tehillim (Psalmen) oder sprechen zu G - tt in ihren eigenen Worten.

Als es den Juden nach 70 Jahren babylonischen Exils erlaubt war, nach Israel zurückzukehren und den Zweiten Tempel zu errichten, begann der Prophet Ezra mit dem Aufschreiben der vorhandenen Gebete. Er war es auch, der spezielle Richtlinien zum Gebet aufsetzte, um diese so an folgende Generationen zu übermitteln.
Man hatte aus der Tatsache gelernt, dass nach der Zerstörung des Ersten Tempels (586 vor Beginn der Zeitrechnung durch die Babylonier) viele traditionelle Gebete aus der Epoche verloren gegangen waren. Einer der Gründe hierfür war, unter anderem, das Vergessen der hebräischen Sprache im babylonischen Exil.

Die Mitglieder der "Great Assembly - Anschei Knesset HaGedolah" legten die erste Struktur unseres Sidures fest. Die "Anschei Knesset HaGedolah" setzte sich überwiegend aus unbekannten jüdischen Gelehrten zusammen, welche vom 5. - 6. Jahrhundert vor Beginn der Zeitrechnung agierten. Sie waren es dann auch, welche die Gebete "Schemah Israel", die Segen und die "Amidah - Schemonah Ezre" festlegten. Zusätzlich bestimmten sich feste Gebetszeiten.

Da wir nur Tieropfer in einem offiziellen Tempel in Jerusalem opfern können (hoffentlich bald im Dritten Tempel), gibt es seit der Zerstörung des Zweiten Tempels keine Tieropfer mehr. Diesen wichtigen Inhalt des G - ttesdienstes ersetzen wir seither mit dem "Mussaf - Gebet". "Mussaf" sind verschiedene Gebete nach dem eigentlichen Schabbatg - ttesdienst.

Öffentliche Gebete sind immer an eine Minyan, die Anwesenheit von zehn halachisch jüdische Männern, gebunden. Das Gebet muß keineswegs von einem Rabbiner geleitet werden, sondern jeder kann es leiten.

Ungefähr zur gleichen Zeit wurden ebenso der "Kiddusch - Segnung des Weines am Schabbat" und die "Havdalah - Zeremonie zum Schabbatausgang" eingeführt. Genauso wie die Pessach - Haggadah und die Gebete an den Feiertagen.

Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels wurde die Angelegenheit noch akuter. Die Sanhedrin in Yavne (ihr offizieller Sitz nach der Vertreibung aus Jerusalem nach der Tempelzerstörung) legten weitere Gesetzesvorschriften fest. Bekannt ist auch der Kalender von Yavne und die Vorschriften zur späteren Kalenderbestimmung.

Die Sanhedrin in Yavhe sahen ihre Aufgabe darin, die Gültigkeit der jüdischen Gesetze zu bewahren und es den Juden im Exil zu ermöglichen, auch weiterhin die Halachot (Gesetze) einzuhalten. Man bereitete sich auf ein längeres Exil vor, wollte jedoch unter allen Umständen Veränderungen der Thora und der Halachot vermeiden.

Im weiteren Verlauf der Geschichte erfolgten weitere Zusätze von den Tannaim (erwähnte Rabbiner im Talmud) bis hin zum 11. Jahrhundert.

Aber nicht nur das Sidur wurde festgelegt; für die Hohen Feiertage wie Pessach, Schavuot, Rosch HaSchana (Neujahrsfest), Yom Kippur und Sukkot (Laubhüttenfest) verwenden wir das sogenannte "Machzor", welche sämtliche Gebete und Abläufe jeden einzelnen der Feiertage beinhaltet. Auch beim Machzor gibt es die oben aufgeführten Unterschiede wie sephardisch, aschkenazisch und chassidisch.

Im Wesentlichen ist der Gebetsritus in allen orthodoxen Gemeinden der Welt der gleiche. Obwohl sich viele in der Galut (Diaspora) befinden, sind wir dennoch alle durch denselben Ritus verbunden.

Einen besonderen Status nehmen immer die Jemenitischen Juden ein. Sie nämlich lebten über Jahrhunderte hinweg isoliert von der Außenwelt und bewahrten somit eine spezielle Authenzität. Dennoch gibt es auch bei ihnen äußere Gebetseinflüsse von anderen Gemeinden.

Die Jemeniten blieben immer unter dem Einfluß des Rambam (Maimonides), der für sie im Jahre 1172 die "Jemenitische Epistel - Iggeret Te'iman" verfasste, um so die jüdischen Gemeinden vor dem wachsenden islamischen Einfluß zu bewahren. Einen weiteren Einfluß auf die jemenitischen Gemeinden hatte Rabbi Saadia Gaon, der vor mehr als Tausend Jahren gegen die Karaiten kämpfte. Karaiten sind jene Juden, welche die mündliche Tradition ablehnen und nur nach der schriftlichen Thora leben.

Bleibt zu erwähnen, dass es kleine aber wenig gravierende Unterschiede zwischen italienischen, aschkenazischen, sephardischen Juden oder anderen Gemeinden gibt. Insgesamt jedoch beschreibt uns das Sidur das alltägliche jüdische Leben. Vom Segen beim Aufwachen, bis hin zum Hochzeits - oder Sterberitus ist alles geregelt.

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Eine Hilfe bei diesem Artikel war, u.a., das Buch "A Guide to Jewish Prayer" von Rabbi Adin Steinsaltz.

4 Kommentare:

  1. Man kann das Buch von Rav Adin Steinsaltz wirklich nur empfehlen. Was auch eine eigene Geschichte wert ist, midestens eine, ist sicherlich der Autor selbst. Miriam, ist der Rav Steinsaltz eigentlich eine eher umstrittene Figur bei den Chassiden? Ein Bekannte (kein Chassid) meinte mal, einige seiner Buecher waeren nach einem Skandal in der Genizah gelandet. Stimmt das?

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  2. B"H

    Hi Dwave.:-)

    Die Buecher von R. Adin Steinsaltz sind exzellent, wenn auch teuer.:-) Aber an der Uni habe ich halt kostenlosen Zugang.:-)

    Ob das mit der Genizah stimmt, weiss ich nicht. Es ist ehrlich gesagt das erste Mal, dass ich von dem "Vorfall" hoere.

    Steinsaltz ist umstritten, denn er ist Oberhaupt der "Sanhedrin". Diese Sanhedrin, die eigentlich keine sind und sich nur selbst ernannt haben, besitzen keinerlei Authoritaet und werden ueberhaupt nicht wahrgenommen.

    Seit dem Zweiten Tempel haben wir keinen rechtmaessigen Sanhedrin mehr und die Meinungen sind umstritten, ob dies erst mit dem Meschiach und dem Dritten Tempel eingefuehrt wird, oder ob wir theoretisch in der Lage waeren, heute schon einen Sanhedrin einzusetzen.
    Niemand der grossen Rabbis traut sich so recht an das Thema heran.

    Es ist absurd zu glauben, dass da einige unbekannte Rabbis sich zusammentun und einen Sanhedrin gruenden. Vor allem nicht mit dem selbsternannten Oberhaupt Adin Steinsaltz. Da er Chabad angehoert, hat sich die Frage eh schon erledigt.

    Einem Sanhedrin haette jemand wie Rabbi Moshe Feinstein angehoeren sollen, um einmal ein Beispiel zu nennen.
    Es muessen grandiose Leute sein und nicht jeder Halligalli kann sich mal eben so hinsetzen und etwas gruenden.

    Was jetzt Rabbi Steinsaltz'z Buecher nicht schlechtmachen soll, denn die sind empfehlenswert.

    Ausserhalb Chabad ist Steinsaltz bei anderen Chassidim nicht anerkannt, was nicht an ihm liegt, sondern an der Chabad - Politik insgesamt.

    Chabad hat das Problem nur auf sich und seine eigenen Ziele zu schauen und wird wild, wenn jemand es wagt, andere chassidische Gruppen zu nennen.

    Zur Chabad - Chassidut lerne ich gerade mehr Details. Besonders darueber, wie sich aus dem ehemaligen eher unwichtigen Rebbe - Konzept des Gruenders R. Shneur Zalman, eine wahrer Personenkult entwickelte. Teilweise begonnen vom Schwiegervater des letzten Rebben und dem letzten Lubawitscher Rebben selbst.

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  3. Anonym10:46 AM

    das mit den büchern in der gniza stimmt (leider) aber da geht es hauptsächlich um die erste ausgabe seiner GMARA, die charedische gesellschaft hat diese in einen cherem gesetzt weil er vom allgemeinem layout von gmarot abgewichen ist und weil er es "gewagt hat" den gmara text zu punktieren und auf der nebenseite einen leichten pirush in ivrith zu schreiben.
    der fakt, dass heutzutage die schottenfels gmarot ein anerkanntes werk in der charedischen welt sind zeigt nur, dass diese ganze aufregung gegen ihn und seinem werk nur eine typische zwiut ist. schottenfels hat genau das selbe gemacht nur eben ohne punktierung des grundtextes.

    lg
    fritzi

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  4. B"H

    @Fritzi

    Herzlichen Dank fuer die Aufklaerung.

    Das mit seiner Schottenstein - Edition ist mir bekannt und der Cherem der Haredim auch. Ich wusste nur nicht, dass dies bis hin zur Genizah fuehren sollte.

    Ich verwende taeglich die Schottenstein - Edition zusammmen mit anderen Talmudausgeben zum Vergleich.

    Miriam

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