Donnerstag, Februar 28, 2008

Kuchen und Chuppah

B"H

Zuerst dachte ich, ich sei viel zu früh dran. Es war noch taghell. Zuviel Tageslicht für eine jüdische Hochzeit. Die Chuppah, die Trauung unter dem traditionellen Baldachin findet nämlich immer erst nach Einbruch der Dunkelheit statt.

Je mehr ich mich aber der grossen Synagoge der chassidischen Gruppe Toldot Aharon im ultra - orthodoxen Mea Shearim näherte, desto klarer wurde mir, dass ich sehr wohl pünktlich zum Event des Tages kam. Immer mehr Toldot Aharon Chassidim gingen durch die Straßen. Alle trugen ihre beste Feiertagsgarderobe und die Männer waren im hellen Schabbatkaftan und trugen den Streimel (die Pelzmütze) auf dem Kopf. Alles stürmte eifrig in Richtung Synagoge, denn der Rebbe der Toldot Aharon, Rabbi David Kahn, hatte zur Hochzeit geladen. Sein Enkel Eliezer sollte seine Braut Sarah heiraten.

Besonders für die Toldot Aharon Frauen ist solch ein Ereignis auch immer ein gesellschaftliches Meeting – Event. Man trifft die ganze Verwandtschaft sowie alle Freundinnen und es gibt ein grosses HALLO.
Ich muß mich an dieser Stelle entschuldigen, denn leider kann ich nicht darüber berichten, was auf der Männerseite vor sich ging. Im Nachhinein hörte ich jedoch, dass gerade dort viel getanzt wurde.

Nicht nur die chassidischen Toldot Aharon, aber andererseits gerade sie, legen Wert auf eine absolute Geschlechtertrennung. Die Geschlechter haben nur als Geschwister oder später als Eheleute miteinander Kontakt. Man geht nicht einfach so auf die Straße und grüßt alle. Selbst nicht die Nachbarn.

Bei fast jeder orthodoxen jüdischen Hochzeit gibt es einen Saalabschnitt für die Männer und einen weiteren für die Frauen. Man sitzt nicht gemischt, tanzt nicht gemischt und ist durch einen Vorhang voneinander getrennt. Jemandem, der das nicht gewohnt ist, mag das fundamentalistisch vorkommen, doch ich habe mich längst daran gewöhnt und mir fällt es schon gar nicht mehr auf.
Ich kam also gerade zum richtigen Zeitpunkt als die Tür zur Festhalle geöffnet wurde. Hierbei muß ich hinzufügen, dass bei strengen Chassidim wieder andere strengere Trennungen im Saal herrschen. Ein einfacher Vorhang hilft nichts. Hier geht es eher um zwei getrennte Säle; nach Geschlechtern getrennt.

Für jene, welche die Toldot Aharon Synagoge nicht kennen:
Der Synagogenkomplex verfügt über je zwei Eingänge für Männer und je zwei weitere Eingänge für die Weiblichkeit. Auf der einen Synagogenseite befindet sich ein großer Hinterhof, auf der zweiten Seite gelangt man in eine kleine Allee, welche auch zum Hinterhof führt, weiterhin aber auch in die Wohnanlagen der Chassidim. Mittendrin befindet sich ein Frauensaal, an dem zu bestimmten Festlichkeiten Essen gegeben werden. Und viele Frauen hatten sich gerade vor dem Saaleingang aufgestellt.

Die Toldot Aharon Synagoge in Mea Shearim



Jedesmal ist es mir wieder fremd, all diese Toldot Aharon Frauen zu sehen. Ihr Anstandsbrauch ist es, fast ausschließlich schwarze, dunkelblaue und braune Kleidung zu tragen. Damit auch ja niemand durch die Kleidung hindurchsehen kann. Weiterhin tragen alle von ihnen unterhalb der Woche eine schwarze Kopfbedeckung (am Schabbat vorwiegend eine weiße). Die Beine werden grundsätzlich immer mit dem Tragen schwarzen dicker Strümpfe verdeckt.

Als die Saaltür aufging, stürmten die Frauen los.
Die absolute Mehrheit von ihnen waren selbstverständlich die eigenen Mitglieder. Aber es gab auch ein paar sephardische Frauen, eine Hand voll Nationalreligiöser und der Rest waren Frauen aus anderen chassidischen Gruppen. Die vorherrschende Sprache war Jiddisch. Und so fragte ich auch gleich in meinem brüchigen Jiddisch nach dem Ablaufplan der Hochzeit. Zwei Frauen erzählten, dass wir hier erst die Braut sehen und dann alle später zur Chuppah (dem Baldachin) schreiten. Die Chuppah befand sich him Hinterhof auf der Rückzeite des Gebäudes.

Ehrlich gesagt war es bequemer hineinzugehen als herauszukommen.
Der Frauensaal war ein größerer Raum, in welchem rechts und links an der Wand lange Tische aufgestellt waren. Dort wurden Kuchen und leichte Getränke serviert. Tolle Kuchen, das muß ich sagen. Aber nicht, dass sich die Weiblichkeit draufstürzte. Keineswegs.
In der Saalmitte waren kleine Bänke aufgestellt und alles machte sich daran, einen Platz auf der Bank zu ergattern. So nämlich konnte man die ganz vorne sitzende Braut besser begutachten. Andere wiederum entschieden sich für etwas durchaus Übliches.
Sie stellten sich in eine Reihe auf, um nacheinander der Braut die Hand zu schütteln. Ein Brauch, dem ich auch folgen wollte, doch sah ich die Braut nach wenigen Minuten nahe an eines Nervenzusammenbruchs. Sie war total nervös, kannte die Frauen von Toldot Aharon nicht besonders, da sie aus einer anderen chassidischen Gruppe kommt. Die Braut lief auf und ab und schließlich übernahm ihre herbeigeeilte Mutter den Händeschütteldienst.

Man kann sich die Toldot Aharon Teenage Girls kaum vorstellen. Sie alle starrten unentwegt auf die Braut um sich ihre eigene Hochzeit auszumalen. Ein Prinz sollte auf einem weißen Schimmel dahergeritten kommen und jede einzelne von ihnen abholen. Wer in die Augen der Mädels schaute, der sah den Prinzen schon antraben.

Schließlich fand ich einen guten Platz auf einer der Bänke und konnte so den gesamten Raum überblicken. Die Braut, die eigentlich Sarah heißt und eine Enkelin des verstorbenen Rabbi Moshe Halberstam ist, war toll anzuschauen. Erst dachte ich, sie sei Amerikanerin, doch eine Frau berichtete mir, dass Sarah absolut israelisch sei.

Eine weitere neben mir stehende Frau ließ mich den weiteren Ablauf wissen. Vor allem, dass ich mich ja später beeilen solle, aus dem Saal zu kommen. "Du mußt losrennen, meinte sie, um einen guten Platz bei der Chuppah zu bekommen. Ich lasse Dich wissen, wann es losgeht."

Dann entschied ich mich erst einmal für ein Stückchen Nußkuchen. Kurz darauf vernahm ich die Stimme einer Frau hinter mir, die sich etwas ironisch über jemanden lustig machte: "Unsere Akademikerin". Nun,wenn es sich um die Akademikerin handelt, die ich vermute, dann freut es mich, dass sie endlich auftauchte. Anscheinend dachte sie nach meinen Artikel etwas nach und machte sich zu den Toldot Aharon auf.
Doktorarbeit ja, aber nicht immer auf alle Kosten. Man sollte den Toldot Aharon offen gegenübertreten, denn sie haben keine Skandalberichterstattung hinter ihrem Rücken verdient.

Eine Mechitzah (Trennwand) wurde in den Saal getragen und Bräutigam Eliezer erschien, um die Braut zu begrüssen und zur Chuppah abzuholen. Eliezer sah recht fertig aus oder war es nur Schüchternheit ?

Es ist üblich, dass sich Braut und Bräutigam nur wenige Male vor der Hochzeit sehen, geschweige denn viel miteinander reden. Das könne man ja nach der Trauung nachholen. Für jemanden wie mich ist es dagegen unvorstellbar jemanden zu heiraten, denn ich im Grunde genommen gar nicht kenne. Wer allerdings in diesen Kreisen aufgewachsen ist, der betrachtet alles aus einer wesentlich anderen Sichtweise. Hier besteht das ganze Leben nur aus Familie und der Gründung einer eigenen Family.

Dann wurde auch schon losgerannt. Alles drängte auf die Tür zu als ob ein Popstar erschienen war. Lange nicht mehr war ich so eingequetscht gewesen. Draußen angekommen, hörten wir schon den Chazan in sein Mikrophon singen. Die Musik war grandios und die hauseigene Band ebenso.

Im Hinterhof angekommen, hatten wir alle genügend Stehplätze. Die Chuppah war in der Mitte des Hofes auf einer höheren Bühne aufgebaut und ich konnte alles überblicken. Viele Frauen waren in die Synagoge gerannt, wo sie alle hinter den Fenstern standen. Licht durfte im Gebäude nicht eingeschaltet werden, denn so hätten die Männer die Gesichter der Frauen gesehen, was gemäss den Anstandsregeln verboten ist. Ich unterhielt mich mit ein paar Frauen über die Hochzeit und im allgemeinen herrschte eine tolle festliche Atmosphäre.

Dann ging es ans Eingemachte. Der Chazan sang, die Kapelle spielte und Bräutigam Eliezer erschien unter der Chuppah. Begleitet wurde er vom Rebben der Toldot Aharon, Rabbi David Kahn. Kurz darauf wurde die Braut Sarah unter die Chuppah geleitet; von ihrer Mutter und der Toldot Aharon Rebbitzen.

Bei streng orthodoxen Hochzeiten ist es nicht selten, dass das Gesicht der Braut total bedeckt ist. Sie bekommt einen extra Schleier vor ihr Gesicht. Bei Sarah war dies dermassen der Fall, dass sie kaum noch in der Lage war, etwas zu sehen. Und so halfen die Mutter und die Rebbitzen ihr, den Bräutigam nach jüdischer Tradition siebenmal zum umzirkeln.

Die eigentliche Hochzeitszeremonie war recht kurz und danach wurde die Ketubah, der Hochzeitsvertrag, über Mikrophon verlesen. Ich hoffe, dass mich jetzt niemand nach der Summe fragt, die der Bräutigam im Falle eines Scheiterns der Ehe an die Gattin zahlen muß. All dies ist Bestandteil der Ketubah und jeder lauscht immer gern den näheren Angaben bei einer Hochzeit. So auch die umherstehenden Frauen. Leider wurde alles zu schnell auf Jiddisch verlesen und ich verlor manchmal den Faden. Eines jedoch ist sicher, es war eine Menge Geld involviert.

Dann war alles vorbei und beim Verlassen des Hinterhofes kam erneutes Gedränge auf. Ich brauchte ca. zwanzig Minuten um durch die kleine Allee zur Hauptstraße zu gelangen. Fast schon war ich am Ausgang als mich plötzlich jemand am Ärmel zupfte.
Es war eine der Frauen, mit denen ich mich beim letzten chassidischen Tisch unterhielt und sie wollte wissen, wie es mir gefallen habe. "Super", meinte ich. Wir unterhielten und kurz und ich beschloß zu meinem allwöchentlichen Talmudkurs zu rennen. Die Toldot Aharon machten sich fast alle auf den Heimweg.

Es war eine tolle Hochzeit und ich wünsche Sarah und Eliezer alles Gute.

Nichtsdestotrotz gibt es auch viele Events bei anderen chassidischen Gruppen und nicht nur bei den Toldot Aharon.
Nächste Woche, zum Beispiel, gibt es große Feiern in der Chassidut Belz (Jerusalem und Bnei Brak). Wenn ich es zeitlich schaffe, werde ich daran teilnehmen.

Diesen Schabbat werde ich wieder bei den Toldot Aharon verbringen, doch werde ich mich danach auch vielen anderen Gruppen zuwenden. Tschernobyl, Twersky, Munkatsch, Spinka und viele andere stehen ganz oben auf meiner Liste.

4 Kommentare:

  1. Anonym10:10 AM

    "Die Chuppah, die Trauung unter dem traditionellen Baldachin findet nämlich immer erst nach Einbruch der Dunkelheit statt."

    oh, seit wann denn das?

    ALLE hochzeiten, inklusive meiner eigenen, auf denen ich gewesen bin, fanden bei tageslicht statt (mein umfeld ist sehr orthodox).
    ist das ein besonderer chassidischer minhag?

    gut schabbes!

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  2. B"H

    Alle Hochzeiten auf denen ich bisher war (in Jerusalem), fanden nach Einbruch der Dunkelheit statt. Sogar die wenigen sephardischen Hochzeiten, an denen ich teilnahm.

    Als ich letzte Woche ausdruecklich bei Toldot Aharon nachfragte, sagte man mir, dass alles NACH Sonnenuntergang sei. Halt so um 18.00 Uhr herum.

    Waere interessant herauszufinden, ob es ein chassidischer Minhag ist, doch alle nichtchassidischen Hochzeiten waren ebenso bei Dunkelheit.

    Shabbat Shalom

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  3. Anonym12:54 PM

    ja, interessant. also ich war bislang nur auf misnagdischen hochzeiten. ah, ja, und bei chabad. die haben es auch tags gemacht.

    ich werde auch mal nachfragen.

    gut schabbes.

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  4. B"H

    @Schoschana

    Ich habe heute Rabbi Mordechai Machlis nach der Quelle des Brauches gefragt. Zuerst dachte ich, dass im Sommer, wenn es spaeter dunkel wird, vielleicht alles anders ist. Doch der Rabbi meinte, dass selbst als eine seiner Toechter in den Sommermonaten heiratete, sie sie auf den Sonnenuntergang warteten.

    Weiter sagte er, dass man unter der Chuppah die Sterne sehen sollen, denn diese seien ein Symbol fuer viele Kinder. So, wie es G - tt Avraham einmal prophezeihte.

    Kann sein, dass einige bei tageslicht heiraten, doch wie gesagt, ich kenne es nur nach Einbruch der Dunkelheit.

    Shavua Tov

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