Sonntag, August 24, 2008

Feste und Kopfbedeckungen

B"H

Normalerweise herrscht in den Sommermonaten alljährlich Ruhe, denn die Yeshivot (relig. Schulen) haben geschlossen, viele Haredim (Ultra - Orthod.) sind im Urlaub und die chassidischen Rebben befinden sich ebenfalls auf Tour. An diesem Schabbat jedoch war alles etwas anders, denn die chassidische Gruppe Ruzhin - Boyan feiert am Dienstag die Hochzeit eines Sohnes ihres Rebben. Und somit gab es am Schabbat einen Aufruf; heißt, der Bräutigam wurde zur Thora aufgerufen. Leider verpaßte ich die gesamte Zeremonie um weniger als fünf Minuten. Das kommt davon, wenn man am Abend zuvor zu lange beim Schabbatdinner sitzt und am Morgen danach nicht aus dem Bett kommt.

Nach dem Synagogenservice gaben die Boyaner ein riesen Festmahl im Erdgeschoß ihrer Synagoge und einige Frauen halfen emsig beim Tischdecken. Bisher war ich bei den Boyanern nur bei einem einzigen chassidischen Tisch des Rebben gewesen, doch dort hatte ich sofort jene Dame kennen gelernt, die anscheinend die gesamte Frauenempore unter sich hat. Das war vor ca. einem Monat und am Schabbat traf ich besagte Dame wieder. Sie kam gleich auf mich zu, schüttelte meine Hand und war sofort wieder auf und davon, denn schließlich war sie beim Tischedecken voll im Einsatz.
Die Synagoge der Boyaner war bis zum letzten Platz gefüllt; nicht nur mit Boyanern, sondern es waren auch Chassidim anderer Gruppen anwesend. Darunter erstaunlich viele Karliner, in deren Synagoge ich am Freitag abend zum Schabbatg - ttesdienst war.

Das einzige Problem bestand darin, dass ich mich bei den Boyanern nicht lange aufhalten konnte, denn ich hatte eine Einladung zum Mittagessen im benachbarten Mea Shearim. Und so verpaßte ich leider den gesamten Festschmaus im Untergeschoß.

Jedesmal wenn ich bei besagter Family in Mea Shearim eingeladen bin, bittet mich die Gastgeberin mindestens zwanzig Mal, nicht ihren Namen bzw. Lokalität oder Gruppe im Internet zu nennen. Daran halte ich mich, dennoch kann ich sagen, dass sie gerade zum Schabbatmittagessen kaum Gäste von außerhalb hatte, sondern fast nur ihre eigene Family war zu Besuch. Die Familie lebt in einem der vielen Mea Shearimer Hinterhöfe. Viele Leute fragen ab und an nach, ob das weitgehend chassidische Mea Shearim Gäste am Schabbat aufnimmt. Nach längerem Umhören fand ich heraus, dass dem so ist und zahlreiche Familie Leute einladen. Allerdings fast nur solche Gäste, die in Yeshivot oder relig. Seminaren lernen. Nichtjuden haben, soweit mir bekannt ist, absolut keine Chance mehr. Dies war früher etwas anders, doch gab es mit der Nachbarschaft Ärger oder die Gäste benahmen sich daneben. Mit den Nachbarn deshalb, weil allgemein die Befürchtung herrscht, dass da eventuell christl. Missionare herumschleichen und sich an die chassidischen Kinder heranmachen, wie es schon einige Male vorgekommen ist. Kurz gesagt benötigt man jedoch auch als Jude einige Beziehungen, um eingeladen zu werden.

Bei besagter Familie sitzen wir in zwei Räumen, je nach Männlein und Weiblein getrennt. Klingt vielleicht radikal, doch es hat seine Vorteile, weil man nicht dauernd von heiratswilligen Männern angestarrt wird und diese einem auf den Geist gehen. Unweigerlich wurde ich dann im Laufe des Mittagessens Zeuge einer für Mea Shearim anscheinend alltäglichen Diskussion. Die mir gegenübersitzende Gastgeberin sowie eine neben mir sitzende ältere Dame (die Enkelin eines berühmten Rabbiners) begannen eine für mich fremd klingende Diskussion. Ganz offen erzählten sie mir von ihren Kopfbedeckungen. Jede verheiratete, geschiedene oder verwitwete orthodoxe Jüdin bedeckt ihre Haare. Dies geschieht aus Anstandsgründen und man könnte jetzt lange diskutieren, ob dies in der Thora verankert ist und wie eine optimale Kopfbedeckung ausschaut.

Die Gastgeberin teilte offen und ehrlich mit, dass sie ihre Haare abrasiere. Dies geschehe ca. alle zwei Wochen, sobald diese nachwachsen. Den Brauch habe sie so von ihrer Mutter gelernt und ihn übernommen. Über ihr fast kahles Haupt setze sie eine Haube und darauf die Perücke.

Ich dachte bei der Beschreibung ziemlich praktisch und fragte, ob das denn nicht zu warm sei. "Nein, gaben beide Frauen wie aus der Pistole geschossen zurück. Nein, überhaupt nicht".
Weiter meinte die Gastgeberin, dass nur ein Schmattes (Tuch) um den Kopf für sie aus fehlenden Anstandsgründen nicht in Frage komme, denn soetwas könne verrutschen. Ein Perücke hingegen weniger. Und um ganz auf koschere Nummer Sicher zu gehen, sei ihr Perückenhaar aus synthetischen Haaren hergestellt. "Das sei wie Seide", meinte sie.

Die neben mir sitzende Dame fügte hinzu, dass sie ja nur mit dem Tuch um den Kopf herumlaufe. Das reiche doch aus und außerdem haben einige Frauen nun einmal einen Kopf wie für das Tuch gemacht. Vor allem diejenigen mit runder Gesichtsform. Denen stehe doch gar keine Perücke.

Die Diskussion ging einige Zeit so weiter und beide Frauen zeigten Angst, dass die jüngeren Generationen sich nicht mehr unbedingt an die alten Traditionen halten könnten. Und wie sagte der große Rabbiner Chatam Sofer schon: "Alles Neue und jegliche Änderungen sind abzulehnen".

Vier Stunden dauerte unsere Mittagsdiskussion, wobei es überwiegend um chassidische Gruppen ging. Wie gehe man als Frau mit den Traditionen und der Männerwelt um ? Aber genauso ging es um Schidduchim (Ehepartnesuche) und wie diese in Mea Shearim bzw. innerhalb verschiedener chassidischer Gruppen von statten gehen. Kurz gesagt, unbeschreiblich viel Stoff für mich, welchen ich erst einmal verarbeiten muß.

Wenn alles nach Plan verläuft, werde ich im September zu einigen weiteren Mea Shearim – Familien gehen und an den anstehenden hohen Feiertagen bin ich ebenso eingeladen. Gerade an den Sukkot (Laubhütten - ) – Feiertagen ist in Mea Shearim viel los und die Hauptstraße sowie der lokale Markt werden nach Geschlechtern getrennt.

Und was sagen die Chassidim, wenn sie erfahren, dass ich über ihre Belange schreibe ?

Die Reaktionen fallen unterschiedlich aus. Eine anfängliche Ablehnung bzw. bestehende Zweifel konnte ich zwar nicht immer vollständig aus dem Weg räumen, doch findet man sich irgendwie mit dem Thema ab. Außerdem gebe ich zwei wichtige Punkte zu bedenken, die mehr als plausibel klingen. Im Endeffekt sind viele neugierig, wie die Leserreaktion ausfällt und wie andere chassidische Gruppen reagieren.

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