Freitag, Februar 13, 2009

Lebensziele

B"H

Diesen Schabbat verbringe ich zur Abwechslung wieder einmal in Tel Aviv. Schon allein deswegen, weil ich mich nach einem ruhigen Schabbat sehne. Relaxen, vielleicht zu Chabad in die Synagoge gehen, und am Strand oder Downtown spazieren gehen. Darüber hinaus habe ich noch keine festen Pläne gemacht.

In letzten drei Wochen verbrachte ich den Schabbat weitgehend in Jerusalem, was sich fast immer als stressig erweist. Bei Rabbi Mordechai Machlis essen und danach ggf. einen chassidischen Tisch besuchen. In Jerusalem ist stets etwas geboten und bei mir besteht der Drang den Schabbat in Jerusalem mehr oder weniger mit verschiedenen Aktivitäten auszufüllen.

Am letzten Schabbat war ich bei Tisch des Rebben der chassidischen Gruppe Toldot Aharon in Mea Shearim. Rebbe David Kahn war wieder aus Williamsburgh (New York) zurückgekehrt, wo er der Hochzeit eines nahen Verwandten beigewohnt hatte. Ganz zu schweigen von den Spendengeldern, die er hoffentlich für seine Gruppe einsammelte.

Kann sein, dass es mir nur so vorkommt, doch verfolge ich schon seit einiger Zeit, wie die Toldot Aharon immer mehr anwachsen. Eine Bekannte der Toldot Avraham Yitzchak berichtete mir, dass die Toldot Aharon unheimlich viele neue Mitglieder in die Gruppe aufnehmen. Darunter besonders viele aus dem Baalei Teshuva (Neurelig.) Movement.

Mir ist es gänzlich unverständlich, wie jemand als "frischer" Baal Teshuva sich schnell an eine solch extreme chassidische Gruppe hängt. Gerade Neureligiöse sollten in den ersten Jahren ihr relig. Leben stabilisieren, zu sich selbst finden und erst sich erst danach für eine feste Zukunft, ggf. in einer chassidischen Gruppe entscheiden. Sich erst einmal umschauen und den eigenen persönlichen Weg finden wirkt sich im Endeffekt positiver aus als sich gleich, wer weiss wie, ins Extreme zu stürzen. Zu Beginn meint man sicher, sich so am besten zu perfektionieren, aber nicht selten geht diese Form der Religiosität gewaltig in die Hose.

Mag sein, dass ich all dem viel zu skeptisch gegenüberstehe, denn ich selbst durchlief all diese Erfahrungen und bin am Ende in der haredischen Gesellschaft gescheitert. Gescheitert, da ich unfähig bin, in einer dermassen geschlossenen Gesellschaft zu leben, in welcher die leitenden Rabbiner entscheiden und wo andere Mitglieder einen pausenlos beobachten, ob man auch ja hineinpasst oder sich als würdig genug erweist. Ich brauche meine Freiheit, lese "normale" Bücher, gehe ins Kino, schaue TV, besitze einen PC; mit anderen Worten, ich führe ein "normales" Leben. Was immer das auch heissen mag. Sich einer bestimmten Gesellschaft mit ihren strengen Regeln unterzuordnen, liegt mir nicht und selten lasse ich mich vom Mainstream treiben.

Obwohl es hier vielleicht so anklingen mag, sehe ich mich keineswegs als gescheitert und betrachte alles eher von der positiven Seite aus. Nicht jeder Mensch ist gleich und wir alle wurden von G - tt mit unterschiedlichen Aufgaben und ebenso unterschiedlichen Zielen im Leben erschaffen. Allein diese Tatsachen sollten wir akzeptieren, selbst dann, wenn sich jemand als unfähig erweist, sich in der haredischen Gesellschaft zurechtzufinden. Meinerseits schaute ich mich nach anderen Inhalten bzw. Lebensformen um, was sich geradezu perfekt herausstellen kann. Immerhin besser als sich in eine Gesellschaft quetschen zu wollen, in die man nicht gehört und in der man sicht unwohl fühlt. Es ist extrem wichtig, sich selbst so zu akzeptieren wie man ist und sich bei einem Scheitern keinesfalls als grosser Versager zu verkriechen. Jederman hat genügend anderweitige Ziele und Aufgaben, mit denen er sehr glücklich und erfolgreich werden kann. Man muss im Leben nur danach suchen.

Schabbat Schalom - Gut Schabbes - an alle Leser !

3 Kommentare:

  1. Anonym4:49 PM

    Ja, mir ist es ähnlich gegangen und ich bin zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt: nur nichts überstürzen ist noch immer am sichersten.

    In manchen Fällen, z.B. wenn man aus einer sehr instabilen Familie kommt oder ohne Eltern aufgewachsen ist, können so geschlossene Gruppen schon etwas Gutes und sehr heilsam sein. Aber man bezahlt auch einen hohen Preis dafür.

    Kürzlich habe ich auf einem Blog gelesen, wie sich ein ex-Chassid über diese Chozrei bitshuva Gedanken macht. Er hat den Eindruck, dass sie oft einfach in ihrer Situation gefangen sind und nicht mehr so recht raus können, auch wenn sie gerne wollten, insbesondere wenn sie auf Berufsausbildung verzichtet haben, um auf die yeshiva zu gehen...

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  2. B"H

    Aus Zeitgrunden antworte ich Dir morgen, denn hier beginnt gleich der Schabbat.

    Schabbat Schalom !!!

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  3. B"H

    @Shoshi

    Es ist ein nicht selten anzutreffendes Problem, wenn Neureligioese (einschliesslich so mancher Konvertiten zum Judentum) sich eine neue "Heimat / Familie/ Zugehoerigkeit" (oder wie immer man das auch nennen will) suchen. Die Gefahr, die ich darin oft sehe ist, dass in dem Fall das voherige Leben (die Familie, alte Freunde und die gesamte Umgebung) rigoros abgelegt werden und sich nur noch dem "neuen" relig. Leben zugewandt wird. Wir haben das hier schon einige Male diskutiert und die Meinungen reichen weitgehend bis hin zu "es sei besser, denn schliesslich fuehre man ein neues Leben und brauche keine negativen Einfluesse".

    Eine neue Heimat koennen sicher diejenigen fnden, die bereit sind, sich unterzuordnen. Doch wie weit sollte diese Unterordnung gehen ? Falls zu weit, dann ist es sicher ein hoher Preis.

    Als ich einige Berichte zur Chassidut Ruzhin - Boyan verfasste, teilte mir einer der Chassidim mit, dass diese Gruppe nicht unbedingt grossen Wert auf Neuzugaenge legt, denn man habe in der Vergangenheit diesbezueglich schlechte Erfahrungen gemacht. Unter anderem kamen die Neurelig. mit falschen Vorstellungen in die chassidische Gruppe und wussten nicht mit dem chassdischen Alltag umzugehen.

    Zum Gefangensein:
    Es kommt vielleicht auf die finanzielle Stellung drauf an. Nicht wenige Amerikaner haben betuchte Eltern und wer nicht auf MIR oder einer anderen Yeshiva bleiben will, der kehrt in den reichen Schoss der Eltern heim.
    Wer bis zu einem bestimmten Alter wieder aus der haredischen Gesellschaft heraus will, der kann finanzielle Hilfe plus Berufsausbildung vom Staat Israel bekommen. Es gibt spezielle Sozialarbeiter bei der Jerusalemer Stadtverwaltung, die darauf trainiert sind. Zum Beispiel Rabbi Me'ir Weiner.

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