B"H
Vorab eine Wortdefinition:
BAAL TESCHUVA = Später im Leben relig. gewordene Juden
Am letzten Freitag abend (Erev Schabbat) war mit chassidischen Tischen nicht allzu viel los. Die Toldot Avraham Yitzchak hatten einen Tisch zu bieten und deren Rebbe Shmuel Yaakov Kahn war, wie immer, in spirituellen Spähren. Mit einer Freundin war ich unterwegs und wir sichteten an dem Abend nur eine einzige Besuchergruppe. Ein paar Nationalrelig., die anscheinend schon wegen dem am Mittwoch stattfindenden "Yom Yerushalaim" in der Stadt weilten. Besuchergruppen sind im ultra - orthodoxen Mea Shearim seit geraumer Zeit mehr als unerwünscht. Nicht gerade fromme Gruppen, doch Nichtjuden, säkulere Juden oder jene modern - orthodox, die Hippie Style tragen und / oder auf Shlomo Carlebach machen.
In dieser Woche fällt der Beginn des neuen jüdischen Monat auf den Freitag und deswegen wird es mehr Tisch geben. Dazu mehr in der kommenden Woche.
Der Toldot Aharon Rebbe hielt am letzten Freitag abend keinen Tisch ab, nervende Tour Groups waren nicht in Sicht und so endeten wir zu zweit als einzig Außenstehende bei den Toldot Avraham Yitzchak im Markt von Mea Shearim. Meine Freundin und ich waren die einzigen ohne Perücke und / oder Tichel auf dem Kopf, um es perfekt auszudrücken. Rebbe Shmuel Yaakov Kahn hatte mittlerweile begonnen, seine Mahlzeit einzunehmen, Hunderte von Chassidim standen auf Metalltribünen um ihn herum und wir Frauen befanden uns im Obergeschoss auf der Frauenempore. Die Avraham Yitzchak haben eine super Mechitzah (Trennwand zu den Männern). Man kann alles überblicken, denn es sind Fenster. Die Männer von uns sehen uns nicht, wir sie hingegen schon.
Ich schaute dem Rebben zu und mein Blick fiel dabei auf einen älteren Chassid, der bei ihm am Tisch sass. Der Chassid hatte große Ähnlichkeit mit dem im vergangenen Jahr verstorbenen Rabbi Me'ir Brandsdorfer. Rabbi Brandsdorfer war ein wichtiges Mitglied bei den Toldot Avraham Yitzchak (eine Abspaltung der Toldot Aharon) sowie ein Halachaexperte (Posek) in der antizionistischen Dachorganisation "Edah HaCharedit". Viele Male berichtete ich über ihn, da er bis zu seinem Tode in Mea Shearim allgegenwärtig war. Nicht, dass ich vermutete, dass Rabbi Brandsdorfer dort sass, doch könnte es sich sehr wohl um seinen Bruder Aharon handeln. Ich fragte eine der anwesenden Frauen, doch die verneinte und meinte, es handele sich lediglich um den Schwager des Rebben.
Ich schaute auf die Chassidim und entdeckte unter ihnen ein bekanntes Gesicht. Er stand genau vor dem Fenster zur Frauenempore, doch sahen wir zuerst sein Gesicht nicht richtig. Ich meinte zu meiner Freundin, dass das doch Y. sei, doch sie wiederum bestand darauf, dass er es nicht sei, sondern jemand anders. Die Diskussion ging hin und her: "Ja, nein, ja, nein" … bis der Chassid sich weiter in die Mitte der Tribüne bewegte. Und dann sahen wir, dass es unser gemeinsamer Bekannter Y. war.
Y. stammt aus einem der Benelux - Staaten, ist Anfang 20 und lernte vor wenigen Jahren ab und an (wenn er nicht im Heimatland war) auf einer freakigen Jerusalemer Yeshiva in der Altstadt. Er wurde extrem rechts, setzte sich irgendwann eine schwarze Kipa aufs Haupt, irgendwann danach zog er einen schwarzen langen Mantel (chassidischen Stiles) an zusammen mit litvischem schwarzen Hut. Er wurde Breslov und Anhänger des Baal Teschuva Rabbis Lazer Brody. Seine Mutter kam einige Male zu Besuch und wir lernten sie als unrelig. Sehr nette ruhige Frau kennen. Sie hatte absolut keinen blassen Schimmer, von dem was ihr Sohn da trieb, aber kein Wort.
Am vergangenen Freitag abend sahen wir Y. in langem schwarzen chassidischen Mantel, flachem Yerushalmi Hut (a la Satmar, Neturei Karta, Toldot Aharon) und … schwarzen Socken in seinen Kniebundhosen. Ehrlich gesagt fielen wir fast von unseren Sitzen und konnten es nicht fassen. Y. hatte mal wieder die Klamotte gewechselt und diesmal ins absolut Extreme. Dabei ist er gar kein Mitglied in irgendeiner Richtung. Uns tat er leid; er und seine Mutter. Seine Eltern daheim wissen sicher kaum etwas, von dem, was ihr Sohnemann hier triebt, finanzieren ihn aber.
Was will Y. mit seinem Outfit zeigen ? Dass er jetzt super fromm ist oder geht es hier um Akzeptanz. Um eine Mea Shearim Akzeptanz, die er von geborenen Chassidim niemals erfahren wird. Und wenn ja, dann eher limitiert. "Am nächsten Schabbat dann kommt er sicher in weissen Socken und mit Streimel", so meine Ironie.
Anmerkung: Weisse Socken sowie Streimel (die traditionelle chassidische Pelzmütze) wird eigentlich nur von verheirateten Männern getragen. Manche chassidische Jungen jedoch tragen ab der Bar Mitzwah einen Streimel. Mehr oder weniger Second Hand, denn es handelt sich dabei um einen Ausrangierten vom Vater.
Im Internet posaunt Y. herum, welche grossen Rebben er trifft, doch hätte er einen richtigen Rabbiner, liesse der ihn nicht ständig Klamotten wechseln. Selbst der Toldot Avraham Yitzchak Rebbe lässt Neuankömmlinge in der Gruppe erst dann die Kleidung wechseln, wenn diese feste offizielle Mitglieder geworden sind. Freunde von mir wurden in die Gruppe aufgenommen und bis zum letzten Tag trug der Mann des Ehepaares die chassidische Kleidung aus seiner vorherigen Gruppe; nämlich Belz.
Wozu soll sich ein Baal Teshuva aus den Benelux Staaten in ungarische Garderobe stürzen ? Noch dazu, wo er kein Mitglied irgendeiner Gruppierung ist. Geborene Chassidim nervt solch ein Verhalten der Neureligiösen, denn es geht lediglich um "dabeisein zu wollen".
Y. redete mit der nationalrelig. Yeshivagruppe neben ihm, was zeigt, dass er nach wie vor an alten Wegen klebt. Innerhalb der Chassidim wirkte er wie ein Fremdkörper. Anstatt alles langsam angehen zu lassen und erst einmal die Grundzüge des Judentums kennen zulernen, schmeisst Y. sich in tiefe Mea Shearim Klamotten. Dabei bestand er vor ca. zwei Jahren oder weniger erst seinen Giur be'Chumra (Konversion zum Judentum, welche aufgrund des Verdachtes erfolgt, dass ein Elternteil jüdischen Glaubens ist, doch dem die Papiere fehlen).
Das dauernde Hecheln nach Akzeptanz innerhalb der chassidischen Gesellschaft kann mitunter ermüdend sein. Das Outfit allein macht mich zu nichts, sondern das Lernen und mein Lebensstil. Es kommt vor, dass geborene Chassidim einen dumm anreden und man dann sauer ist oder einfach nur heult. Aufgeben tun nicht wenige. Aufgeben aus Enttäuschung oder innerem Frust heraus. Die Sehnsucht nach dem alten Leben (Kino, Freunde, Umwelt) spielt eine gravierende Rolle und derjenige, der sich sofort in die Extreme begibt, wendet sich nicht selten von ihr wieder ab. Deswegen sollte ein Baal Teschuva Prozess langsam von statten gehen. Mit einem erfahrenen Rabbiner und einem entsprechenden Kurs / Yeshiva. Allein auf sich gestellt läuft man gegen Windmühlen an und verirrt sich schnell im Eifer des Gefechts.
Zum Schluss des Tisches sahen wir einen hochrangigen Rabbiner hereinkommen. Der "kleine" Bruder des Rebben, der ansonsten nur bei er Konkurrenz, den Toldot Aharon zu finden ist.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen