Montag, Juli 16, 2007

Kamtza und Bar Kamtza

B"H

Da wir uns eine Woche vor dem Tisha Be' Av (9. des Monats Av), dem Tag beider Tempelzerstoerungen, befinden, moechte ich ein Teaching aus dem Talmud Traktat Gittin 55b - 56a naeher erlaeutern.
Es handelt sich dabei um die beruehmte Gemara, in der von zwei Personen die Rede ist: von Kamtza und von Bar Kamtza. Die Gemara in Gittin 55b sieht das Geschehen und vor allem den tragischen Ausgang als einen der Gruende, warum der Zweite Tempel zerstoert wurde.

Es war einmal ein Mann, der hatte einen Freund namens Kamtza und einen Feind namens Bar Kamtza. Eines Tages entschloss sich der Mann, zu einem grossen Bankett einzuladen und schickte einen Bediensteten aus, um Einladungen zu verteilen. Er sagte zum Bediensteten, dass er zu Kamtza gehen und ihn einladen solle. Doch der Bedienstete ging aus Versehen zu Bar Kamtza (dem Feind).
Puenktlich zum Bankett traf Bar Kamtza ein und setzte sich an einen der Tische. Den Hausherrn traf fast der Schlag als er seinen Feind dort sitzen sah. Er ging auf Bar Kamtza zu und sagte ihm, dass er gefaelligst gehen soll. Bar Kamtza jedoch fuerchtete die Scham vor allen Leuten hinausgeworfen zu werden und sagte zu dem Mann, dass er bleiben und die Rechnung fuer sein Essen und Trinken selbst bezahlen wolle.
Der Hausherr liess sich jedoch nicht umstimmen.
Bar Kamtza bot ihm an, fuer das gesamte Bankett zu zahlen, wenn er bleiben koenne, doch der Hausherr war so wuetend, dass er ihn ergriff und eigenhaendig hinauswarf. Vor den Augen aller.

Draussen sagte Bar Kamtza zu sich selbst, dass alle dort sitzenden Rabbis den Rausschmiss widerstandslos hingenommen hatten. Niemand von ihnen hatte eingegriffen und so kam Bar Kamtza zu dem Schluss, dass die Rabbis seinen Rausschmiss als selbstverstaendlich ansahen.
Aus Rache ging Bar Kamtza zum Palast des roemischen Stadthalter (es ist unklar, ob es der roemische Kaiser oder ein Stadthalter war) und sagte ihm, dass die Juden gegen Rom rebellieren. Zum Beweis dafuer schlug Bar Kamtza dem roemischen Stadthalter vor, dass er ein Tier zur Opferung in den Tempel schicken solle und er werde ja sehen, ob die Juden es zur Opferung annehmen oder nicht.

Der Stadthalter sandte ein Kalb, welches Bar Kamtza ueberbringen sollte. Doch auf dem Weg verletzte Bar Kamtza die obere Lippe des Kalbes oder entsprechend anderer Meinungen rief er einen Defekt im Auge des Tieres hervor. Aufgrund dieser koerperlichen Defekte konnte das Kalb nicht geopfert werden, da nur einwandfreie Tiere dafuer bestimmt sind. Zuerst zogen die Rabbi tatsaechlich in Betracht, dass nicht einwandfreie Tier zu opfern, um keinen Streit mit den Roemern hervorzurufen. Schliesslich entschloss man sich, das Tier nicht zu opfern.

Der talmudische Kommentator Maharsha sagt dazu, dass der Stadthalter vielleicht nachgegeben haette, wenn die Rabbis sein Kalb dennoch geopfert haetten. Als sein Opfer verweigert worden war, entschloss er sich zur Tempelzerstoerung.
Der Maharam Shif kommentiert, dass G - tt die Tempelzerstoerung schon beschlossen hatte und der Vorfall mit Bar Kamtza nur noch der Ausloeser war.

Der Maharsha sieht die Schuld bei Bar Kamtza, da es verboten ist, durch Hass Zerstoerung hervorzurufen. Nicht jeder, der ungerecht behandelt worden ist, sollte mit der Keule um sich schwingen und auf Rache sinnen.

Wir finden in dieser Gemara drei Menschen, die nur aus Hass handeln und dabei zerstoererisch vorgehen. Zuerst der Mann, der Bar Kamtza hinauswarf. Die nichtreagierenden Rabbis werden vom Maharsha als zu machtlos gegenueber dem maechtigen Gastgeber gesehen.

Bar Kamtza wurde daraufhin so vom Hass befallen, dass er wild drauflos rannte und die Folgen nicht mehr abschaetzen konnte. Er verstiess gegen jegliche talmudischen Gesetze. Erstens rannte er zu den roemischen Besatzerbehoerden und hetzte gegen seine juedischen Brueder, was ihm schon allein haette das Todesurteil einbringen koennen (siehe Talmud Sanhedrin 73a), und zweitens machte er mit Absicht das Kalb fuer eine Opferung unbrauchbar, was verboten ist (Talmud Bechorot 33b).

Wie ich schon mehrmals erwaehnte, haben wir im Judentum das Konzept des Freien Willens. Jeder Mensch entscheidet selbst ueber seine Handlungen und muss hinterher die Konsequenzen tragen.
Wie ich ebenso schon einige Male erwaehnte, sieht der Ishbitzer Rebbe (Rabbi Mordechai Yosef Leiner) den Freien Willen als eine einzige Illusion an. Es gebe ihn nicht und all unser Tun ist von G - tt vorbestimmt. Wir haben darauf keinen Einfluss.
Laut dem Talmud besitzen wir den Freien Willen, doch nur insoweit, dass es in unserer Hand liegt, ob wir g - ttesfuerchtige Menschen werden oder nicht.

Man koennte meinen, dass die Handlungen der hier involvierten Personen die Tempelzerstoerung ausgeloest haben. Andererseits stimme ich mit dem Maharam Shif ueberein, der sagt, dass die Zerstoerung schon laengst von G - tt beschlossene Sache war. Wie also haetten die Agitatoren anders reagieren koennen und trifft sie ueberhaupt eine Schuld ?

Wir Menschen haben immer wieder die Kraft, bestimmte G - ttesurteile zum Guten zu veraendern. In der Chassidut wird der Zaddik (der Gerechte) als derjenige betrachtet, der zu solchen Dingen faehig ist. Mit Gebet und Teshuva (Umkehr) koennen wir Welten versetzen.

Die Antwort koennte lauten, dass wenn die hier aufgefuehrten Personen anders gehandelt haetten und wenn die Juden ueberhaupt auf die Warnungen der Propheten gehoert und sich zur Umkehr aufgerafft haetten, die Tempelzerstoerung vielleicht vermeidbar gewesen waere.

Vielleicht aber war es auch unvermeidbar, denn laut unserer jued. Tradition kommt der Meschiach und baut den Dritten Tempel, und somit kann es auf Dauer keinen Zweiten Tempel geben.

Heutzutage sollen wir aus dem Fehlverhalten lernen, aber gleichzeitig unseren Blick in die Zukunft auf den Dritten Tempel richten.

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