Sonntag, Juli 22, 2007

Tisha Be' Av – der 9. des juedischen Monat Av

B"H

Uebermorgen (24.07.) steht dem Judentum der traurigste Tag des Jahres bevor: der Tisha Be' Av – der 9. des juedischen Monat Av. An jenem Tag wurden sowohl der Erste als auch spaeter der Zweite Temple zerstoert.

Juden auf der ganzen Welt sehen diesen Tag als eine einzige Tragoedie an, denn der Tag repraesentiert die schlimmsten historischen Ereignisse des Judentums ueberhaupt. Daher ist dieser Tag, wie Yom Kippur, ein 25 – stuendiger Fastentag und es gelten fast die gleichen Halachot (Gesetze) wie am Yom Kippur. Allerdings mit einigen Ausnahmen.

Der Tisha Be' Av und das damit verbundene Fasten beginnen morgen Abend und enden am Dienstag Abend nach Einbruch der Dunkelheit. Fuer die genauen Zeiten moege sich bitte jeder an seine Gemeinde wenden bzw. in israel. Tageszeitungen nachschauen.

Da bei den Tempelzerstoerungen unzaehlige Juden umkamen, besteht fuer uns die Halacha, dass wir unsere Freude reduzieren, sobald der Tisha Be' Av beginnt (Kitzur Shulchan Aruch – Hilchot Tisha Be' Av). Vor dem Beginn des Fastentages muessen wir bei einem sogenannten Seudat Mafseket ausreichend essen und vor allem trinken. Dies betrifft insbesondere uns Israelis, denn es werden fuer den Dienstag ueber 30 Grad vorausgesagt.
Wenn moeglich, sollte man bei dieser letzten Mahlzeit keine salzigen Speisen zu sich nehmen. Kartoffeln, Gemuese und Obst sind immer gut. Mein persoenlicher Tipp ist Wassermelone. Der Shulchan Aruch (Orach Chaim) lehrt, dass es den Minhag (Brauch) gibt, Linsen und Eier zu sich zu nehmen. Beide Speisen sind ein Zeichen der Trauer. Auf Fleisch und Wein sollte ganz verzichtet werden.
Ausser der Freude, sollten auch jegliche Bequemlichkeiten vermieden werden. In den Synagogen sitzen wir zum Abend – und Morgeng – ttesdienst nicht auf den Baenken, sondern viele bringen sich einen niedrigen Stuhl oder Hocker mit.

Hier die wichtigsten Halachot (Gesetze) fuer den Tisha Be' Av zusammengefasst aus dem Shulchan Aruch ff.:

1. Essen und Trinken ist absolut verboten.

2. Lederschuhe aller Art duerfen nicht getragen werden, da Leder ein Zeichen fuer Bequemlichkeit ist. Stattdessen sollen Leinenschuhe oder Sportschuhe ohne Leder getragen werden. In Jerusalem laufen viele Leute einfach barfuss.

3. Sex ist verboten.

4. Sich duschen oder sonst irgendwie waschen ist verboten. Es sei denn, man bereitet sich aufs Gebet vor oder kommt von der Toilette.

5. Es ist Brauch, die Nacht auf einer Matratze auf dem Fussboden zu verbringen oder sein Bett einfach umzudrehen.

6. Zum Morgengebet Shacharit legen Maenner keine Tefillin, sondern erst zum Nachmittagsgebet Mincha.

7. Das Thorastudium ist am Tisha Be' Av verboten. Stattdessen sollten die Megillath Eicha, das Buch Iyov (Hiob) oder der Talmud Traktat Taanit gelernt werden.

8. Abends und morgens wird in den Synagogen die Megillath Eicha gelesen. Eicha ist die Prophezeihung des Propheten Jeremiah (Yirmeyahu) und beschreibt die Zerstoerung des Ersten Tempels und die Zeit danach.

9. Ausserdem werden KINOT gelesen, wobei hier zwischen ashkenasischen und sephardischen Kinot zu unterscheiden ist. In den Kinot sind viele Schicksalsereignisse in der Geschichte des Judentums aufgelistet.
Wer in Jerusalem zur Klagemauer kommt und keine Kinot dabei hat, der kann sie vor den Eingaengen fuer ca. 10 Shekel erstehen. Allerdings werden dort fast nur sephardische Kinot angeboten, was aber nicht von so grosser Relevanz ist. Hauptsache Kinot. Waehrend dem Lesen der Kinot sitzen die Leute vor der Klagemauer gewoehnlich auf dem Boden.

Ueberhaupt nimmt Jerusalem am Tisha Be' Av einen besonderen Status ein, denn hier vor der Klagemauer befinden wir uns am Originalschauplatz. Viele Leute stellen sich beim Aufblicken auf den Tempelberg schon den Dritten Tempel vor.
Tausende machen sich am Montag Abend auf zur Klagemauer und der gesamte Platz an und um die Kotel ist jedes Jahr vollkommen ueberfuellt. Nicht wenige bringen Matratzen oder Schlafsaecke mit, denn sie schlafen die ganze Nacht ueber vor der Klagemauer. Der ganze Platz gleicht einem riesigen Campingplatz. Wer keinen Schlafsack dabei hat, der setzt sich auf das Pflaster und liest Kinot.
Es sei jedem anzuraten, rechtzeitig zur Kotel zu gehen, denn schnell werden saemtliche Plaetze belegt sein.

Ein zweiter Brauch in Jerusalem ist der "Marsch um die Stadtmauer", welcher von der Vereinigung der Women in Green, einer rechtsorientierten Organisation, organisiert wird. Seit vielen Jahren ist der Marsch Tradition und ich nehme jedesmal immer wieder gerne daran teil. Ist es doch fuer viele, auch fuer mich, die einzige Gelegenheit im Jahr, durch Ostjerusalem zu laufen und die dortige alte Stadtmauer zu sehen.
Der Marsch beginnt dieses Jahr um 20.30 Uhr vor dem neuen Rathaus. Tausende von Menschen, vor allem die Nationalreligioesen, kommen aus allen Landesteilen zu dem Ereignis angereist. Zuerst wird die Megillath Eicha von mehreren Rabbinern abwechselnd vorgelesen. Maenner und Frauen sind dabei voneinander getrennt. Danach wird sich zum Marsch aufgestellt (Maenner und Frauen sind dabei nicht mehr nach Geschlechtern getrennt). In diesem Jahr werde ich, wie ueblich, mit mehreren Freunden dabei sein.
Wie sich sicher jeder vorstellen kann, wird der Marsch streng bewacht; fast alle fuenf Meter steht ein Soldat. Es geht hinunter zum Damaskus – Tor hin bis zum Loewen – Tor, wo einige Politiker Reden halten werden. Im Jahre 2001 war noch Ehud Olmert als Buergermeister dabei und proklamierte ganz gross, dass er Jerusalem niemals abgeben werde. Heutzutage sind wir uns dessen bei ihm nicht mehr allzu sicher. Die Hauptrede wird, wie gewoehnlich, der Knessetabgeordnete der Ichud HaLeumi, Aryeh Eldad, halten.
Endziel ist die Klagemauer.

Jedesmal wieder geniessen wir alle diesen Marsch. Der Aussicht wegen, denn es ist ein tolles Ereignis, hinauf auf den Oelberg zu schauen oder hinunter zum Grab von Koenig David's Sohn Avshalom. Die Leute setzen sich an die Strassenraender und schauen auf die herrliche Aussicht. Wenige Meter nach dem Damaskus – Tor befand sich der Haupteingang zum Tempel.

Warum genau wurden beide Tempel zerstoert und warum ist das heute noch so wichtig fuer das Judentum ?

Viele der Antworten darauf finden wir im Talmud.
Der Erste Tempel, welcher von Koenig Salomon erbaut worden und im Jahre 586 vor der Zeitrechnung von den Babylonier zerstoert worden war, hatte eine wesentliche wichtigere Bedeutung als der Zweite Tempel. Zu der Zeit waren Wunder allgegenwaertig. Die Bundeslade befand sich noch im Allerheiligsten (Kodesh HaKedoshim) und G – ttes Praesenz (Shechinah) war ueberall. Es gab Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Propheten und das Feuer vom Altar (Mizbeach) reichte direkt hinauf in den Himmel. Kabbalistisch betrachtet verband diese Wolke die untere mit den spirituellen oberen Welten.

Warum wurde der Erste Tempel zerstoert ?
Aufgrund von drei Vergehen. Goetzendienst, sexuelle Perversionen und Mord (Talmud Yoma 9b). Die Juden vergassen G – tt, die Thora und die Mitzwot und wandten sich lieber anderen G – ttern zu. Vor allem die Tofet, ein Ort gleich ausserhalb der Stadtmauer, erlangte traurige Beruehmtheit, denn in der Tofet opferten sie ihre Kinder an fremde G – tter.
Einige Kommentare lauten, dass sie die Menschenopferungen an G – tt geopfert haetten, denn faelschlich meinte sie, dass dies so sein muesse.

G – tt duldete dieses Treiben nicht mehr und veranlasste die Zerstoerung des Temples. Doch wie wir aus der Thora wissen, tut G – tt soetwas nie von heute auf morgen, sondern gibt den Menschen Hinweise. Wenn die Menschen die Hinweise wahrnehmen und zu G – tt umkehren (Teshuva machen), aendert G – tt seine Meinung. Falls dies nicht geschieht, nimmt das Schicksal seinen Lauf.
Laut dem beruehmten Rabbiner Aharon Kotler glaubten die meisten Juden an die Thora, aber sie sahen keinen Sinn in ihr und somit kam das Spirituelle der Thora nicht mehr herueber.

Das chassidische Buch Bnei Yissachar sowie der Talmud lehren uns, dass sich die Gesichter der zwei Cherubim (Engel mit Kindergesichtern auf der Bundeslade) ansahen, wenn die Juden G – ttes Willen erfuellten. Sobald sie sich von G – tt abwandten, schauten die beiden Cherubim in gegengesetzte Richtungen. Allein schon diese Tatsache haette den Juden eine Warnung sein muessen.
Nach der Zerstoerung des Ersten Tempels wurden die Juden fuer 70 Jahre ins babylonische Exil geschickt. Nach Ablauf der 70 Jahre war es ihnen freigestellt, nach Israel zurueckzukehren und den Tempel wieder aufzubauen. Die Gemara im Talmud Yoma lehrt uns, dass der Erste Tempel nicht vollkommen zerstoert worden war. Mehr oder weniger war fast nur das Dach beschaedigt. Ezra etc. bauten den Tempel wieder auf und spaeter wurde er von Herodes erweitert. Im Jahre 70 nach Beginn der Zeitrechnung wurde er von den Roemern zerstoert.

Gab es einen Unterschied zwischen dem Ersten und Zweiten Tempel ?

Ja, eindeutig, und das nicht nur architektonischer Art.
Nur 42.360 Juden waren mit Ezra aus dem babylonischen Exil nach Israel heimgekehrt, was die Gemara in Yoma 10a als einen der Gruende ansieht, warum der Zweite Tempel weniger an Kedusha (Heiligkeit) besass. G – tt war aergerlich ueber die im Exil verbliebenen Juden, die sich in Babylon eine Heimat aufgebaut hatten und dort ihr Leben geniessen wollten.

Im Talmud Yoma heisst es, dass es fuenf Unterschiede zum Ersten Tempel gab:

1. Es gab keine Bundeslade mehr. Bis heute wurde die Bundeslade nicht gefunden und der Talmud listet unterschiedliche Lokalitaeten der Lade auf.

2. Das Feuer vom Altar (Mizbeach) reichte nicht mehr hinauf in den Himmel.

3. Es gab keine Shechinah (G – ttes) Praesenz mehr.

4. Die Zeit der Propheten war vorueber. Stattdessen haben wir bis heute eine sogenannte Bat Kol, welche Rashi als das Echo einer himmlischen Stimme bezeichnet.

5. Auch gab es kein Urim ve Turim mehr. Eine Schriftrolle mit den Namen G – ttes. Diese wurde in das Choshen des Cohen HaGadol (Hohepriester) gesteckt und aufgrunddessen war er in der Lage, Fragen zu beantworten. Er brauchte nur zu sehen, welche Buchstaben auf dem Choshen aufleuchteten und schon hatte er G – ttes Antwort. Der Ramban und die Tosafot vertreten die Meinung, dass es kein Urim ve Turim ohne Ruach HaKodesh (ein bestimmter Level der Prophezeihung) geben kann.

Mir persoenlich ist noch der Shamir eingefallen, der nach der Zerstoerung des Ersten Tempels verschwand. Mit dem Shamir, einem offenbar kleinen Wurm, der alles zerschnitt, was ihm in den Weg kam, baute Koenig Salomon den Ersten Tempel. Niemand weiss, was genau der Shamir war und im Talmud gibt es verschiedene Meinungen.
Ein juedischer Tempel darf niemals mit Metallwerkzeugen gebaut werden, da diese Waffen repraesentieren. Daher benutzte Koenig Salomon den Shamir, von dem es heisst, dass er nur fuer diesen Zweck von G – tt erschaffen worden war.

Seit der Zerstoerung des Zweiten Tempels warten wir Juden auf die Ankunft des Meschiach, der den Dritten und somit letzten und ewigen Tempel bauen wird. Laut dem Rambam ist der Tempel schon im Himmel gebaut und kommt in der Zeit des Meschiach hinab auf den Tempelberg.

Warum wurde der Zweite Tempel zerstoert ?

Die Antwort gibt uns wiederum der Talmud Yoma 9b. Aufgrund von gegenseitigem Hass liess G – tt es zu, dass der Tempel zerstoert wurde. Die Juden hielten zwar die Thora ein, doch hassten sie sich gegenseitig und jeder wollte besser sein als der andere. Rabbi Yonatan Eibeschuetz ist der Meinung, dass der Bruch innerhalb der Gesellschaft auf den Bruch zwischen den Thoragelehrten und den nichtreligioesen Juden zurueckzufuehren ist. Viele einfache Leute waren neidisch auf die Gelehrten.
Spaeter bildeten sich die Sadduzaer (Zadukim), welche die muendliche Ueberlieferung (die Mishna im Talmud) und die Autoritaet der Rabbiner nicht anerkannten. Ein Trugschluss, denn wer die Thora verstehen und einhalten will, der kann auf G – ttes muendliche Ueberlieferung an Moshe (die Mishna) nicht verzichten. Erst durch sie erfahren wir, wie wir genau die Gesetze einhalten und ausfuehren.

40 Jahre vor der Zerstoerung des Zweiten Tempels gab G – tt die ersten Zeichen, welche die Juden nicht sehen wollten und ignorierten (Talmud Yoma 39b). u.a. oeffneten sich die Tore zum Innenhof (Heichal) von allein, was andeutete, dass der Feind leichten Einlass haben wird (Rashi). Nach dem Tode des grossen Cohen HaGadol (Hohepriesters) Shimon HaZaddik gab es keinerlei Wunder mehr (Maharsha).
Auch loeschte die Tempelmenorah von allein ihre Kerzen.
Umkehren zu G – tt taten die Juden nicht und so nahm das Schicksal seinen Lauf. Ein Schicksal, unter dem wir noch heute leiden. Hoffen wir, dass der Meschiach bald kommen wird und den Dritten Tempel baut.

Zum Schluss noch ein paar aufmunternde Worte vom ersten Oberrabbiner Israels, Rabbi Avraham Yitzchak HaCohen Kook (Kuk). Er schrieb, dass die Hoffnung auf die Geulah (Erloesung) das Volk Israel auch in der Disapora am Leben erhaelt. Eine Funke G – ttes ist in jedem von uns, der mit uns in die Diaspora geht. Der Funke erinnert uns immer an Israel und wirkt wie in Magnet darauf.

In den USA gedenkt man am Tisha Be' Av gleichzeitig auch dem Holocaust. Der Holocaust ist ein weiteres juedisches Desaster in unserer juengsten Geschichte. In Israel kommen ab und an Diskussionen auf, ob der Tisha Be' Av nicht auch hier der offizielle Holocaust – Gedenktag werden soll.

Wie ich zuvor schon einige Male erwaehnte, sollten wir trotz allem unseren Blick in die Zukunft lenken und hoffen, dass die Geulah bald eintreffen wird.

Kleine Anmerkung: Ich habe nur die wichtigsten Halachot aufgelistet, ohne auf Details wie Tisha Be' Av am Freitag oder am Shabbat einzugehen.

In Israel sind am Tisha Be' Av viele Geschaefte geoeffnet und Leuten arbeiten. Allerdings gilt, dass Leute, die arbeiten, ihr Geld spenden sollen. Man sollte keinen Nutzen von dem erwirtschafteten Geld an dem Tage haben.
Die Busse fahren ganz normal und grundsaetzlich gelten nicht die Regeln wie am Shabbat. Ausser den o.g. Halachot.

Ich wuensche allen ein leichtes Fasten – Zom Kal.

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