Dienstag, Januar 29, 2008

Ein Dank an den Rabbiner

B"H

Vor einigen Jahren, als ich noch etwas jünger war, fuhr ich auf einen Kurztrip ins nordisraelische Safed, wo ich im Chabad Hostel Ascent nächtigte. Im Hostel traf ich dann auch auf zwei junge Frauen aus Jerusalem. Sie waren Mitte Zwanzig und lernten allabendlich in einer haredischen (ultra - orthod.) Yeshiva (relig. Schule)in Jerusalem.

Es stellte sich heraus, dass die jungen Damen erst im späteren Verlauf ihres Lebens religiös geworden waren. Seither lernten sie neben ihrem Job an einer Yeshiva im haredischen (ultra - orthod.) Stadtteil Kiryat Mattersdorf / Jerusalem.

Genau zu der Zeit suchte ich nach einigen Neuerungen in meinem Leben, hatte allerdings noch keine konkrete Vorstellung, was diese Neuerungen denn beinhalten sollten.

Soweit hatte ich in nationalreligiösen Instituten gelernt und ging fast allabendlich zu Shiurim (Vorträgen) von haredischen Rabbinern. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich jemals in der nationalrelig. Gesellschaft heimisch fühlte, obwohl ich öfters auch die Schriften des Rabbi Avraham Yitzchak Kook (der erste aschkenazische Oberrabiner Israels und Zionist) lerne. Dennoch liegt mir die nationalrelig. Mentalität überhaupt nicht. Dann traf ich auf die zwei Mädels in Safed und sie luden mich zu ihrer haredischen Yeshiva ein. Zuerst verbrachte ich einen Schabbat mit ihnen und kurz darauf suchte ich ihre Schule auf, um mich umzusehen und mir einen Eindruck zu verschaffen.

Kiryat Mattersdorf ist ein ausschließlich haredischer Stadtteil, in dem man alles finden kann: chassidische und litvish. Nebenan liegt Kiryat Belz mit seiner gigantischen Synagoge und weitere haredische Stadtteile wie Sanhedria und die Bar Ilan Street liegen auch nicht weit entfernt.

Um in die Yeshiva zu gelangen, mußte ich erst einen Hinterhof mit spielenden Kindern durchqueren. Ich war die Einige, die nicht unbedingt haredisch gekleidet war und fiel auf. Eine der zwei Mädels, A., erwartete mich schon ungeduldig. Sie war sephardischer Abstammung und überaus warmherzig. Stolz führte sie mich sogleich durch das kleine Gebäude und stellte mich allen möglichen Leuten vor.

Bei der Yeshiva handelte es sich irgendwie um den israelischen weiblichen Gegenpart zur Männeryeshiva Ohr Sameach und der Unterricht wurde ausschließlich auf Hebräisch erteilt. Die Schülerinnen, von denen die meisten zwischen 20 - 35 Jahre alt waren, hatten erst im späteren Verlauf ihres Lebens die Religion entdeckt. Ihr Eltern und Geschwister waren hingegen noch sekulär.

Schon im Treppenhaus trafen A. und ich auf eine etwas befremdlich wirkende Frau. Sie schien irgendwann einmal der Hippie - Kultur angehört zu haben und war auch im richtigen Woodstock - Alter. Mindestens 50 Jahre alt. Geistesabwesend stand auf einer Stufe und ihre Gedanken waren überall, nur nicht in dieser Welt.

A. flüsterte mir zu, dass die Frau "Alona" heiße.

Ich: "Okay".

A. fuhr fort: "Das ist Alona".

Ich: " Ja, ich habe vernommen, dass das Alona ist".

Doch A. ließ nicht locker und flüsterte nochmals, dass die Frau Alona hiesse. Als ich immer noch nichts verstand fragte A., ob ich denn die Story nicht kenne.

Als nicht in Israel geboren war mir die Story gänzlich unbekannt und A. klärte mich auf.

Es stellte sich heraus, dass Alona die Ex - Frau des berühmten israelischen Popsängers Arik Einstein war. Arik Einsteins bester Freund, der Trivialschauspieler Uri Zohar, wurde vor mehr als 25 Jahren religiös. Uri Zohar war in den sechziger und siebziger Jahren zu vergleichen mit dem Part des David Hasselhoff in Baywatch. Plötzlich jedoch entschied er sich religiös und sogar Haredi zu werden. Uri Zohar gab seine Karrier auf und widmete sich fortan dem Thorastudium in einer Yeshiva. Seine Fans verstanden die Welt nicht mehr und wollten ihren alten Uri zurück. Doch der sträubte sich und lief in schwarzem Anzug und mit Bart herum. Die Fans fühlten sich betrogen und wollten nicht einsehen, dass es den alten Uri nicht mehr gab. "Wie kann einer von uns zu diesen dämlichen Religiösen überlaufen", so die stereotype Meinung vieler sekulärer Israelis.

Auch Arik Einstein verstand gar nichts mehr und wollte keinen relig. Freund. Irgendwie kippte die Freundschaft und zerbrach ganz. Arik Einstein trauerte so sehr, dass er über die Tragik, die er empfand, einen berühmten Song schrieb.

Aber nicht nur Ariks Freund Uri schien auf und davon; auch Ariks Frau Alona verließ ihn samt Kinder. Auch sie wurden religiös.
Bis heute hat Arik Einstein Kontakte zu seiner Ex. Der Kinder wegen. Mit Uri Zohar dagegen wechselte er nie wieder ein Wort.

Das ist die berühmte Story, die A. mir berichtete. Ganz Israel habe damals Kopf gestanden. Und ich stand vor Alona Einstein und sagte "Hi". Das wars.

Das Klassenzimmer, wenn ich es einmal so nennen darf, war bis auf den letzten Platz überfüllt. An den Inhalt des Unterrichtes kann ich mich nicht mehr erinnern, doch fragte der unterrichtenden Rabbiner, wie denn die Mädels ihren Schabbat verbracht hatten. Sie kicherten und ich verstand erst nicht, dass die Frage ironisch gemeint war. Sie alle hatten Eltern und Geschwister, die den Schabbat nicht gerade in relig. Stimmung verbrachten. Es störte mich, dass alle hier darüber zu kichern schienen. Wer heute als Tochter oder Sohn relig. wird, der braucht sich nicht unbedingt über den sekulären Rest der Familie lustig zu machen.

Die Mädels hörten sich den Vortrag an und häkelten dabei fleißig Kipot (Käppis). Um es einmal aus einem Yeshivasarkasmus heraus zu sagen: Ihre Augen leuchteten geradezu und ich sah wie sie nur an das eine dachte. "Wer wird der Zukünftige sein, der diese Kipa tragen darf (der Ehemann) ?

Auf mich machte das alles eher den Eindruck eines Hausfrauenclub. A. war etwas anders und bestand darauf, mich mit dem Yeshivaleiter bekannt zu machen. Für mich gab es kein Entkommen mehr, denn schon schleifte mich A. in sein Büro.

Der Leiter war Amerikaner und sprach Hebräisch mit einem starken amerikanischen Akzent. Ich wollte ihm alle Leiden ersparen und bot ihm an, dass ich ja auch Englisch könne. Doch er schaute mich nur böse an und wies mir einen Stuhl zu.

Was ich denn lernen wolle ? Talmud ? Da sei ich aber hier an der falschen Adresse. Es war nur allzu offensichtlich, dass er gar nicht daran dachte, mich in den Hausfrauenclub aufzunehmen. Anscheinend sah ich aus wie ein Troublemaker mit meinen eigenen Gedanken. Außerdem konnte ich nicht häkeln und hatte keine glänzenden Augen.

Zuerst habe ich mich über das Verhalten des Rabbis geärgert, doch als ich später nach Deutschland zurückkehrte, war ich heilfroh, nicht im Club geendet zu haben. Allen Ernstes wollte ich dem Rabbi sogar eine Dankeskarte senden. Eine eventuelle Aufnahme in die Yeshiva hätte sich im Nachhinein als einzige Katastrophe herausgestellt. Nach seiner Absage fand ich eh einen besseren Platz, wo ich auch Talmud lernte.

Wenn wir im Leben Absagen bekommen oder etwas nicht nach Wunsch klappt, tendieren wir dazu, uns zu ärgern oder enttäuscht zu sein. Nicht selten aber stellt sich gerade diese Absage hinterher als das Beste heraus, was uns jemals hätte passieren können.

Nach dem Gespräch mit dem Yeshivaleiter nahm ich noch weitere drei Male am Unterricht teil und danach nie wieder.

Ich hörte, dass A. seit längerem glücklich verheiratet ist.
Alona ist bestimmt noch Teil der Yeshiva.
Arik Einstein singt immer noch und Uri Zohar gibt Vorträge auf einem religiösen sephardischen Radiosender.

Die Yeshiva gibt es sicher auch noch, aber ich bin happy, niemals akzeptiert worden zu sein.

Ich habe immer noch keine glänzenden Augen und auch das Häkeln habe ich immer noch nicht erlernt.

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Nur kurz zur Klarstellung: In Israel werden Thorainstitute für Frauen "Michlalot" genannt, doch blieb ich im Verlauf des Textes bei dem Wort "Yeshiva".

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