Mittwoch, Januar 16, 2008

Hochkonjunktur der Stereotype

B"H

"Was, so habe ich mir das nicht vorgestellt."

"Was, das habe ich ja noch gar nicht gewußt."

Diese Sätze bekomme ich fast täglich von allerlei Leuten zu hören, sobald ich von der haredischen bzw. chassidischen Gesellschaft berichte. Insbesondere natürlich an der Uni, wo die Professoren gewöhnlich ihre Vorlesungen vorbereiten, indem sie Bücher lesen und sich durch jegliche Literatur quälen. Das Witzige ist jedesmal, dass niemand von ihnen auch nur auf die Idee kommt, sich einmal in der haredischen Gesellschaft zu nähern und besonders mit den Chassidim eine Weile zu verbringen. Wenn ich hier wiederholt von Chassidim rede, dann meine ich damit NICHT Chabad oder Breslov, sondern den Hardcore, wie man vielleicht in der Umgangssprache sagen würde. Hardcore bedeutet in dem Fall Vishnitz, Toldot Aharon, Avraham Yitzchak, Gur, Belz, Dushinsky, Satmar und viele viele weitere.

Einmal traf ich einen deutschen Professor, der ein Buch über die Chassidim von Karlin schrieb. Als ich ihn fragte, ob er denn selbst einmal bei Karlin in Mea Shearim vorgesprochen habe, schaute er mich entgeistert. Nein, er habe doch hier seine Bücher und das reiche ja aus.

Wenn ich solche Ansichten höre, drehe ich jedesmal fast durch. Was würde geschehen, wenn besagter Prof in Deutschland seine Referate über Karlin hält und ein richtiger Chassid anwesend ist. Der Prof würde in Grund und Boden geredet werden. Aber wie sagte jemand zu mir: Solche Leute, die meinen, sie kennen alles und waren nie dort, referieren eh nur vor einem Publikum, welches eh nicht weiß, ob der Referent die Wahrheit sagt oder nicht. Was wissen deutsche Zuhörer von Satmar ? Da kommt halt jemand vorbei und referiert bzw. schreibt einen Artikel und den Stoff dazu hat er sich aus dem Internet oder anderer Literatur gezogen. Okay, die Leute glauben was er sagt. Säße dagegen jemand von Satmar dabei, dann käme es zum Krach, was denn der Referent da für einen stereotypen Müll von sich gebe.

Warum schreibe ich das alles alle paar Monate wieder ?

Weil ich gestern zufällig auf einen Artikel über Haredim (Ultra - Orthod.) im Internet stieß. Verfasst von einer Deutschen, die absolut keinerlei Ahnung bzw. Zugang zum Thema hat. Okay, das kommt ständig vor. Was soll man sich da noch groß aufregen ?

Das Problem aber beginnt damit, dass sie mich bzw. von meiner Site Hamantaschen zitierte. Falsch, wohlgemerkt.

Eine e - mail Adresse war leider nicht aufzufinden, sonst hätte ich der Dame etwas getippt.

Laut dem Artikel fuhr die Dame mit dem Bus in die überwiegend haredische Stadt Bnei Brak bei Tel Aviv und dachte so bei sich: "Oh, das sind also die Haredim hier auf der Straße und die sind alle gegen den Staat Israel".

Zitiert hatte sie zusätzlich einiges aus einem meiner früheren Artikel.

Ich weiß nicht, wie oft ich es schon erklärte und vielleicht muß ich mich halt daran gewöhnen, es immer wieder aufs Neue zu tun:

Nicht alle Haredim sind gleich.
Es gibt Hunderte verschiedener Gruppen und Ansichten.
Nicht alle sind anti - zionistisch, nicht alle liegen faul herum und arbeiten nicht und nicht alle sind dämlich und von der Welt abgeschottet.


Dass die Fragen immer wieder neu aufkommen, ist völlig okay. Aber wenn ich als Unwissender etwas wissen will, dann frage ich professioneller und wende mich nicht an jemanden anderen, der auch keine Ahnung hat, aber vorgibt eine zu haben. So, wie ich das zum Beispiel in einigen Foren oder anderen Blogs erlebe.

Wer über die ultra - orthod. Gesellschaft als Ganzes berichten will, der muß sich die Mühe machen, jahrelang intensiv mit ihr zu tun zu haben. Mit Leuten reden, in die Synagogen gehen, über das Judentum lernen, die Hintergründe, die Gebetbücher, das Erziehungewesen….Das geht nicht von heute auf morgen und eben mal so kurz für ein Doktorat. Neulich las ich im Internet ein Doktorat eines Deutschen über die Chassidim. Ich weiß nicht, ob er seinen Doktortitel wirklich bekam, aber seine Arbeit war eine einzige Katastrophe. Alle stereotype der Literatur waren in seinem Werk vorhanden und nichts stimmte mit der realen chassidischen Gesellschaft überein.

Derzeit lese ich zwei Bücher parallel. Da ist zum einen ein Buch eines relig. Autoren über die Chassidut Satmar. Der Autor beschäftigte sich bisher mehr als 30 Jahre mit den Satmarer Chassidim und bekam irgendwann die Erlaubnis des ehemaligen großen Satmarer Rebben, Rabbi Yoel Teitelbaum, der Gesellschaft beizuwohnen und in ihr zu leben, um darüber zu berichten. Der Autor bringt das Leben der Satmarer auf wunderbare Weise dem Leser näher, eben weil er sich in der Gesellschaft befindet und dies seit Jahren.

Das zweite Buch, mit dem ich mich beschäftige ist eigentlich ein Manuskript einer Doktorarbeit. Eine junge israel. Soziologiestudentin der Bar Ilan University schrieb ihr Doktorat über die Frauen der extremen chassidischen Gruppe Toldot Aharon. Man merkt leicht den Unterschied zwischen den beiden Bücher. Der relig. Satmar - Autor bringt dem Leser mehr herüber als das akademische Faktenbuch der Doktorantin. Die Studentin hat zwar gute Arbeit geleistet, aber nicht mehr und nicht weniger. Doktortitel bekommen, aus und weg. Plan erfüllt.

Leider gab sie keine Adresse in ihrem Manuskript an, aber ich werde versuchen, sie persönlich zu erreichen und mit ihr sprechen. Allein schon deshalb, weil sie in nicht wenigen Fällen etwas anders darstellte als ich es real erlebte. Kann sein, dass bei ihr die Umstände anders lagen, aber gerne täte ich mich mit ihr unterhalten.

Dennoch besteht zwischen ihr und mir ein Unterschied. Für sie war es eine Doktorarbeit und mehr nicht. Für mich ist die chassidische Welt mehr als das und ich komme nicht eben mal vorbei, dann veröffentliche ich etwas und danach bin ich auch schon wieder weg. Die Artikel, die ich schreibe sind aufklärerischer Natur und ich identifiziere mich mit der Gesellschaft. Nicht, dass ich mich einer der Gruppen anschliesse, aber die Gesellschaft und der Chassidismus sind dennoch ein Teil von mir.

Die zwei erwähnten Autoren von Satmar und Toldot Aharon einmal ausgenommen; allgemein gilt, dass wenn ich mein Wissen über die Chassidim nur aus Literatur oder dem Internet ziehe, ich mich nicht Experte nennen kann. Wer keine persönliche jahrelange Ahnung hat, der soll es lieber lassen über die Gesellschaft zu schreiben oder zu referieren. Denn genau durch diese falschen Stereotypen entstehen noch mehr Mißverständnisse und noch mehr Vorurteile, durch welche die Gesellschaft an sich geschädigt wird.

Anerkannte Autoren zur chassidischen Welt:

Yitzchak Alfassi, David Assaf, Rivka Schatz - Uffenheimer oder Rachel Elior.

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