Samstag, März 29, 2008

"Aus dem Nichts" oder "Die unerwartete Normalität"

B"H

Normalerweise berichte ich nach jedem Schabbat, an welchen chassidischen Tischen meine Freundin und ich teilnahmen bzw. in welchen Synagoge wir waren. Diesesmal ist es genau umgekehrt. Ich berichte über ein Ereignis, will jedoch auf keinen Fall den Namen der chassidischen Gruppe nennen. Nur soviel: Die Gruppe ist in Mea Shearim beheimatet, gilt aber als eher offen.

Eines kann ich dennoch offen sagen: Zum freitaglichen Abendgebet (Erev Schabbat) waren wir, wie immer, in der Synagoge der Chassidut Karlin - Stolin. Nach dem Schabbatessen bei Rabbi Mordechai Machlis machten wir uns zu einem chassidischen Tisch auf. Wir besuchten eine Gruppe, bei der wir häufig zugegen sind, obwohl ich ausgerechnet gestern Abend plante, eine andere Gruppe aufzusuchen. Ein Bekannter aber meinte, er gehe zu der Gruppe und so entschieden wir uns spontan, auch dorthin zu gehen.

Der Tisch des Rebben verlief wie immer, nur schien es, dass die Chassidim noch müde von Purim waren. Alles kam nur schwer in Gang, obwohl der Rebbe alle Anwesenden zum Mitsingen aufrief. Einige Zeit später kam dann tatsächlich mehr Schwung hinein.
Die Frauenempore war mehr als spärlich besucht, aber meine Freundin und ich fanden zuerst keinen richtigen Sitzplatz und so standen wir neben einigen hinter der Mechitzah (Trennwand zu den Männern) sitzenden chassidischen Frauen.
Wie aus dem Nichts stand plötzlich ein junges Mädchen neben meiner Freundin und sprach sie auf Jiddisch an. Ein Mädchen aus besagter Gruppe. Meine Freundin, die weder des Jiddischen noch des Hebräischen richtig mächtig ist und ausschließlich Englisch spricht, vermittelte das Gespräch an mich weiter. Und so kam ein längeres intensives Gespräch zwischen mir und dem etwa 13 - jährigen Mädchen zustande. Ebenso aus dem Nichts lud sie uns zu sich nach Hause ein. Ihr Vater habe in einem anderen israel. Landesteil eine Yeshiva (relig. Schule) für jene relig. Studenten, welche in ihren eigenen relig. Familien nicht zurecht kamen und sogar aus den Yeshivot geflogen waren. Bevor solche relig. Jugendlichen ganz verloren gehen (siehe hier), richtete ihr Vater eine Institution ein, welche versucht, die Betroffenen wenigstens in der Religion zu halten. Ich fand das überaus interessant, denn gerade ich berichte mehr als häufig zu dem Thema. Außerdem führe ihr Vater fast jeden Schabbat Schabbatmahlzeiten mit vorwiegend amerik. Gästen durch und wir seien jederzeit herzlich eingeladen.

Einige Gesprächsfetzen:
Ich: Ich dachte immer, dass keine auswärtigen Gäste bei solchen Gruppen wie der Euren eingeladen werden. Alles liefe nur noch über Yeshivaschüler oder es sei denn, man stehe einer chassidischen Gruppe sehr nahe.
Sie: Nein, das stimmt nicht. Es gibt viele Plätze in Mea Shearim. Man muss nur wissen, wie.
Sie: Ich will Englisch lernen, denn daheim haben wir ständig amerik. Yeshivaleute zu Gast.
Ich: In der Schule lernt ihr kein Englisch, richtig ?
Sie: Richtig, aber ich will es privat lernen.
Sie: Es ist wichtig, dass relig. Jugendliche, die Probleme in der relig. Gesellschaft haben, auch weiterhin relig. bleiben. Mein Vater nimmt sie in seiner Yeshiva aus, damit sie nicht auf Abwege geraten.
Ich: Ich kann solche Leute durchaus verstehen, denn nicht jeder, der in die chassidischen Gesellschaft hineingeboren wird, passt auch hinein. Nicht jeder muss gerade Satmar sein. Manche haben Schwierigkeiten mit dem Gruppendruck und sich selbst.
Sie: Ja, das stimmt.

Wir redeten mindestens 15 Minuten und in der Zwischenzeit hatten sich andere Mädels aus der Gruppe bzw. einige Frauen zu uns gesellt, um dem Gespräch zu lauschen. Wiederum plötzlich tauchte wie aus dem Nichts ein ca. 15 - jähriges Mädchen auf und flüsterte meiner Gesprächspartnerin etwas ins Ohr. Ich ahnte, dass es nichts Gutes war. Kurz darauf sagte meine junge Gesprächspartnerin "Schabbat Schalom" zu mir und eilte davon. Meine Freundin schien sogleich die Lösung parat zu haben. Es gebe zwei ältere Frauen der Gruppe, welche uns die ganze Zeit über permanent angestarrt hatten. Aus welchen Gründen auch immer schienen sie die "Abgesandte" geschickt zu haben, um das offene Gespräch zu unterbinden.

Schon des Öfteren hatten wir bemerkt, dass uns gerade diese zwei Frauen missmutig anstarren. Warum ? Keine Ahnung. Nie haben wir je mit ihnen etwas zu tun gehabt geschweige denn mit ihnen gesprochen. Ich denke mir, dass es sich einfach um zwei, im Engl. sagt man "Miserable", Frauen handelt, die nichts anderes zu tun haben als alles unter Kontrolle zu halten. Meine Freundin meinte, dass sie vielleicht die Gruppe schützen wollen. Vielleicht. Aber immerhin könnten sie ja persönlich etwas sagen und keinen "Sklaven" vorbeischicken.

Danach geschah gar nichts. Wir blieben aus Absicht weiterhin dort und liessen uns nicht hinausdrängeln. Der Vorgang schien sich schnell herumgesprochen zu haben und viele Frauen nickten uns freundlich zu. Selbst die Rebbitzen.
Nur die zwei Missmutigen schwiegen. Das betroffene Mädchen hörte aus ihrem Winkel, in dem sie sass, nicht auf, mich anzustarren. Nach einer halben Stunde ging sie und tippte mir von der Seite auf die Schulter. Sie ginge heim und "Schabbat Schalom". Wir beide hatten unsere Konversation sehr genossen und anscheinend ließ sich sich nicht von den Aufseherdamen kleinkriegen.

So sind wir nun diese Woche am Überlegen, ob wir am kommenden Schabbat wieder hingehen oder nicht. Hingehen auf alle Fälle, denn wir lassen uns von den zwei "Damen" nicht rausekeln. Nur stellt sich die Frage, ob wir das Mädchen wiedersehen und unser Gespräch vielleicht anderswo fortführen können. Die Einladung täten wir schon gerne annehmen und mit dem Vater würde ich sehr gerne über seine Yeshivatätigkeit sprechen.

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