Sonntag, März 09, 2008

Tischandrang

B"H

Perfektes Schabbatwetter mit über 20 Grad erwartete uns alle.
Die Bäume stehen längst in voller Blüte und es herrschte geradezu ein Hauch von Sommer. Selbst die Nächte sind derzeit schon verhältnismässig warm. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass es erst Anfang Mätz und der Winter somit noch nicht vorüber ist.

Mit einer Freundin begann ich den Schabbat beim Abendgebet (Maariv) der Chassidim von Karlin - Stolin in Mea Shearim. In meinem englischen Blog steht Karlin - Stolin weit abgeschlagen auf dem ersten Platz der Synagogenanfragen. Religiöse jüdische Touristen fragen regelmässig an, wie sie zur Synagoge der Karliner Chassidim kommen. Obwohl die Karliner auch in New York vertreten sind, scheinen dennoch viele sie in Mea Shearim in voller Action sehen zu wollen, denn ihre Gebetsservice sind berühmt für ekstasische Gebete. So intensiv, dass die Worte geradezu herausgeschrien werden. Ein bewegendes Schauspiel, welches uns auch an diesem Erev Schabbat wieder erwartete. Karlin - Stolin gehört für uns fast schon zum Ritual. Die Chassidim sind sehr freundlich und es ich leicht, Kontakte aufzubauen. Übrigens verfügt die ursprünglich aus Lithauen stammende chassidische Gruppe über ihr eigenes Sidur (Gebetbuch).

Nach Karlin - Stolin machten wir uns auf zum Schabbatessen bei Rabbi Mordechai Machlis. Ein weiteres Ritual am Erev Schabbat. Obwohl der Rabbi am Schabbat keine politischen Reden in seinem Haus haben will, begann das Essen vorerst mit ein paar Eindrücken zum Terrorattentat auf die nationalrelig. Yeshiva (relig. Schule) Mercaz HaRav im Stadtteil Kiryat Moshe, bei der acht Studenten erschossen worden waren. Der Rabbi hatte ca. 30 Minuten vor dem Attentat das Gebäude verlassen und ein gemeinsamer Bekannter von uns befand sich während des Attentates im oberen Stockwerk des Gebäudes, wo alle Anwesenden dachten, dass jemand unten Knallkörper herumwerfe. Wenig später wurden sie dann Zeuge von dem, was wirklich passiert war.

Nach dem Essen, was relativ spät endete (22.30 Uhr), gingen wir direkt zur chassidischen Gruppe Dushinsky. Deren Synagoge liegt nur fünf Minuten vom Machlis - Haus entfernt. Leider war fast die gesamte Frauenempore überfüllt und wir konnten kaum sehen, was im Erdgeschoss bei den Männern vor sich ging. Ein kurzer Blick auf Rebbe Yosef Zvi Dushinsky und das war es auch schon. Wir versuchten es weiter bei der ebenso nahegelegenen Synagoge der Kretchnifer Chassidim. Gück gehabt. Die Frauenempore war fast leer und kurz darauf kam die Rebbitzen mit ihrem Familienanhang herein.
Das Problem bei Kretchnif ist die Mechitzah (Trennwand zu den Männern). Obwohl Metallstäbe die Sicht etwas versperren, war es bis vor einigen Wochen möglich, alles gut zu überblicken. Dann kam man auf die fatale Idee, die Sicht zusätzlich mit einer Art Plane zu versperren und wer jetzt länger durch die Plane schaut, dreht sich irgendwann im Kreis. Die Mischung zwischen Papier und Plastik ist nicht besonders gut für die Augen.

Nach ca. 20 Minuten zogen wir davon, denn ich wollte unbedingt schauen, ob es bei den Shomrei Emunim (den "Hütern des Glaubens" und der Ursprung der extremen Gruppe Toldot Aharon) einen Tisch gibt. Deren Rebbe Avraham Chaim Roth wohnt in Bnei Brak und kommt nur alle Jubeljahre einmal nach Jerusalem. Leider hatten wir Pech und es gab keinen chassidischen Tisch.

Zuvor jedoch hatten wir die Synagoge der geheimen chassidischen Gruppe "Mishkenot HaRoim" passiert. Wenn man sie überhaupt eine chassidische Gruppe nennen darf, denn eigentlich sind die Mischkenot HaRoim eine Art Zusammenschluß oder Organisation mit Rabbi Chaim Rabinovicz als Oberhaupt. Sie sind die geheimste Gruppe in der anti - zionistischen Dachorganisation "Edah HaCharedit" und geben sich äußerst bedeckt.

Als wir ihr Gebäude passierten, standen alle Türen einladend offen und im Inneren wurde gesungen. Das große Problem ist nur, dass beide Eingänge auschließlich für Männer sind und wir als weibliche Wesen keine Chance sahen. Auch ein Suchen nach einem dritten Eingang war erfolglos. Also dachte ich mir, dass ich auf anderem Wege Näheres herausfinde. Nämlich dann, wenn ich die Synagoge der Neturei Karta besuche.

Und was war wohl unser nächstes und letztes Ziel ?
Genau, der Tisch des Rebben der Toldot Aharon, Rebbe David Kahn. Aber dort war es mehr als gerammelt voll. Hunderte Frauen drängten sich auf den Metalltribünen und wir quetschten uns nur ca. eine halbe Stunde hinter die Glasmechitzah. Im Erdgeschoß befanden sich Hunderte von Chassidim sowie viele Gäste von ausserhalb, die mit dem Rebben den chassidischen Tisch feierten. Kurz gesagt, bei dem schönen Wetter herrschte der totale Andrang, denn alle waren ausgezogen, etwas zu sehen.

Zum Morgengebet Schacharit lag die Versuchung nahe, zur Neturei Karta Synagoge zu gehen, was ich dann aber auf den nächsten Schabbat verschob. Irgendwie landete ich doch wieder bei den Toldot Aharon, wo ich diesesmal nicht unbedingt einen spirituellen Synagogenservice verbrachte. Als ich ankam, war es genauso voll wie am Abend zuvor. Platz fand ich auf der Hinterbank und ob es jemand glaubt oder nicht, ich war fast drei Stunden dort und sah nichts von dem, was unten bei den Männern vor sich ging. Zu hören war auch kaum etwas und so kämpfte ich die ganze Zeit über mit meinem Gehör, um vielleicht annähernd herauszufinden, in welchem Teil des Gebetes wir uns gerade befanden. Mehr oder weniger erfolglos.
Dafür fand ich genügend Zeit mich ein wenig zu unterhalten und den Frauen zuzuschauen. Ihre Kleidung auseinanderzuhalten und ein paar ganz junge Mädels hatten frisch geheiratet. Sie konnten nicht älter als 18 Jahre alt gewesen sein und nicht alle von ihnen sahen unbedingt happy aus.

Und dann berichtete mir meine Banknachbarin, dass auch heute wieder ein Schabbat Chatan sei. Ein Schabbat an dem diejenigen Männer, die in der kommenden Woche heiraten werden, zur Thora aufgerufen werden. Da ich nichts sah, zählte ich zumindest mit und es werden wenigstens drei Hochzeiten stattfinden, wenn nicht sogar vier.

Am nächsten Schabbat werde ich ganz sicher nicht mein Morgengebet bei den Toldot Aharon verbringen, obwohl einige Frauen fragten, ob ich wiederkomme. Ich hätte gerne etwas vom Synagogenservice gesehen und vor allem das Wesentliche mitbekommen. Aber wer bei den Toldot Aharon nicht pünktlich um 9.00 Uhr früh auf der Matte steht, hat kaum noch eine Chance. Vielleicht findet er einen guten Sitzplatz, doch gibt es keine Garantie für das Hören der Gebete.

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